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Berührungen
mit Gegenständen des Alltags Die von Menschen gemachten Dinge beginnen überhandzunehmen, was Alltagssorgen abschaffen sollte, bereitet immer mehr Entsorgungsprobleme: es besteht Grund zu neuem Nachdenken über das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Erzeugnissen. In Frage gestellt ist dabei nicht zuletzt das Design. Dessen Geschichte zu erklären, sei nötig, um Zukunft möglich zu machen, lautete ein Fazit des Symposiums an der Fachhochschule für Gestaltung in Pforzheim, das sich mit "Berührungen" befasste - denn an den gestalteten Objekten ist nicht nur wichtig, dass sie einwandfrei handhabbar sind, sondern es fällt auch auf, dass sie selbst durch ihre ästhetischen, symbolischen, kommunikativen Qualitäten diejenigen berühren, die mit ihnen Umgang haben; darüber hinaus kommt es zu Berührungen und Wechselwirkungen des Designs mit seiner kulturellen Umwelt. Den Anteil an Kunst im Design und umgekehrt herauszufinden, wird ein Thema, nachdem die Postmoderne gezogene Grenzen verwischt hat: da war kurz nach 1900 die Scheidung von Kunst und Gewerbe gelungen, und "das späte 20. Jahrhundert bringt alles wieder durcheinander", so die Kunstkritikerin Dorothee Baer-Bogenschütz, Design wolle nicht mehr einfach benutzt, sondern außerdem sinnlich erfahren und intellektuell interpretiert werden, vielleicht sogar ethisch beeinflussen. Zunächst heißt das Fun statt Funktionalismus, in einer aus Drahtkörben gefertigten Bücherablage lässt sich dann ein sozikultureller Kommentar zum Mai '68 lesen, letzte Konsequenz ist ein kniender Stuhl, der nicht mehr zum Sitzen taugt, als Reflex religiöser Praktiken, während eine Sitzgelegenheit mit leuchtender Neonumrandung seit 30 Jahren im Museum ausgestellt ist. Zugleich werden Arbeiten von Künstlern begehbar, benutzbare Orte der Meditation und der Kommunikation. Wie Betrachtende oder Benutzende all das auffassen wollen, das stehe ihnen jetzt frei. Der künstlerische Wert sei zu einer Sache des subjektiven Empfindens geworden. Weiterhin werden indessen Unterscheidungen gebraucht, wie das Symposium offenbarte, nicht unbedingt wegen Wertansprüchen oder wissenschaftlicher Trennschärfe, eher um den gestalterisch Tätigen die Definition ihrer gesellschaftlichen Aufgabe zu erleichtern. Dies ist schon schwierig, weil bezweifelt wird, dass es eine einheitliche Gesellschaft in einer Epoche der Unverbindlichkeit und Beliebigkeit überhaupt noch gibt. Der Kunstpsychologe und Soziologe Friedrich W. Heubach versuchte gleichwohl, gesellschaftliche Entwicklungen in den Industriekulturen aufzuzeigen, die zur Verdinglichung von Menschen und zur Vermenschlichung der Dinge geführt haben, so dass beide sich eines Tages im "Humanomaten" treffen könnten. Kontaktsuchende beschreiben sich in Anzeigen als Autos, Waren sind mittlerweile weltweit verständliche Vokabeln und machen menschliches Sprechen tendenziell überflüssig. Auf den wenn auch hineinprojizierten "Ausdruck" der Dinge in ihrer jeweiligen Umgebung, der sich zuweilen bis zur "Ekstase" steigere, hatte der Philosoph Gernot Böhme hingewiesen. Da die massenhaft produzierten Gebrauchsgegenstände nichts mehr zur menschlichen Individualität beitragen können, richtet sich das Bedürfnis nach ihr laut Heubach auf andere Objekte, die wiederum von der Industrie geliefert werden, und in deren kommerziellem "Identitätsdesign" das "Besondere durch das Exklusive, das Originelle durch das Ausgefallene" ersetzt sei - Gegenstände mit lediglich imaginärem Gebrauchswert wie die Bauerntruhe neben dem Einbauschrank oder der doch auf asphaltierte Straßen beschränkte Geländewagen. Unerfüllte Bedürfnisse würden mit diesen bedeutungsgeladenen Produkten "abgefackelt". Parallel dazu erübrige sich durch die modernen Gerätschaften mit ihren Servofunktionen körperliche Tätigkeit, der Körper sei vor allem "Träger von Outfit", und die Antwort auf diesen Mangel an Körperlichkeit registriert Heubach im breitgefächerten Angebot an Sportgeräten. Er sprach sich dafür aus, dass Designer vorrangig pädagogisch aktiv werden sollten. An die Zeitdimension der Gegenstände und ihres Designs, die geschichtlich unterschiedlichen Gebrauchs- und Deutungsweisen erinnerte Wolfgang Ruppert als Kulturhistoriker: Angesichts der ökologischen Krise der Wegwerfgesellschaft sei es eine Schizophrenie, in der Gestaltung der Dinge keine entsprechenden Maßstäbe zu setzen. Die Produkte bräuchten Zeit schon in der Entwicklung, und dann dauerhaften Wert unabhängig von Moden, entgegen ökonomischen Zwängen. Gefordert sei "der Ausgang des Konsumenten aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit". Viel Beifall erhielt die niederländische Modepraktikerin und Historikerin Marjan Unger auf ihr Plädoyer für die "Schönheit des Unperfekten", für ein an Design aus ihrem Land demonstriertes subversives Gestalten in sozialer Toleranz und Rücksicht auf die Natur. Der Stilbruch wird nicht gescheut, weil er als inspirierend gilt, die Materialien können billig sein, Gebrauchtes wird mitverwendet wie bei dem schiefen Schrank aus alten Schubläden, die Produkte sind auf Dauer angelegt wie die lässige Berufskleidung für das Bahnpersonal, sie sollen schön altern. Warum das Unperfekte in der Kunst schön sein kann: weil es bei Menschen auch so ist. © Matthias Kunstmann
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