Veröffentlichungen...
|
Mönche
in Booten, ein Dichter im Turm Bei der Überfahrt mit der Fähre über das Keltische Meer in der Abenddämmerung dachte ich daran, dass hier vor Hunderten von Jahren Mönche in kleinen Booten zwischen Irland, Wales und Schottland kreuzten. Einige dieser frühen Christen hatten sich auf winzigen Felseneilanden im Ozean niedergelassen, wo sie in Askese für ihren Glauben lebten. In der Nacht erreichte ich die irische Hauptstadt Dublin. Zwei Charakterzüge bestimmten sie: Da war einmal das Proletarische, das in den Vierteln der Mietskasernen aus Ziegelsteinen zum Ausdruck kam, mit außenliegenden Abwasserrohren, verwahrlosten öden Hinterhöfen und vor dem Fenster aufgehängter Wäsche, oder in dem staubigen Gewirr der Docks, die den Blick auf das Meer versperrten. Auf den Straßenmärkten verkauften Frauen aus zweckentfremdeten klapprigen Kinderwägen Tomaten, ein kleines Mädchen saß auf dem Pflaster, sang eine melodiöse, langgezogene Volksweise und hielt dabei die Hand auf. Es wurde deutlich, dass Irland ein armes Land im reichen Norden Europas war, den unterentwickelten Regionen Süditaliens und Spaniens vergleichbar. Doch es gab auch das kulturelle Dublin, die Universität, die vielen kleinen Theater, die Pubs, in denen sich seit jeher Schriftsteller und Studenten trafen. Zahlreichen bekannten Namen lässt sich da nachspüren, George Bernard Shaw, Samuel Beckett, James Joyce. Die Guinness-Brauerei befindet sich in unmittelbarer Nähe der St. Patrick's Church, in der der Satiriker Jonathan Swift Pfarrer war. Ein Sonntag in Kildare, einer kleinen Ortschaft um eine Straßenkreuzung. Bedeutendstes Bauwerk war die stattliche romanische Kathedrale der protestantischen "Kirche von Irland". Auf zwölf Uhr mittags war dort der Gottesdienst angesetzt, zu dem sich etwa 15 Menschen in einem Seitenschiff versammelten. Auf einem Zettel an der Tür bat die Gemeinde um Spenden für das Gotteshaus, das von nur 25 Familien am Ort unterhalten werden müsse. Nicht weit davon entfernt wurde in der wesentlich jüngeren katholischen Kirche eine Jugendmesse gefeiert; an das Gebäude war bereits an zwei Seiten angebaut worden, die Bänke waren alle gefüllt. Der Katholizismus hat sich gegen die einst von England verordnete Reformation behauptet. Irland war schon lange vor den anderen Gebieten Mitteleuropas ein Zentrum christlichen Lebens und der damit verbundenen Kultur, die sich in Hunderten von klösterlichen Gemeinschaften über die ganze Insel verstreut entfaltete. Um der Welt das Heil zu verkünden, wurden die irischen Mönche zu den Missionaren des europäischen Festlandes. So wirkten in Bayern der heilige Kilian von Würzburg, Ruprecht von Worms (der "Apostel der Baiern"), Korbinian von Freising und Emmeram von Regensburg. In Irland erinnern an sie die unzähligen größeren und kleineren Klosterruinen. Eine der heiligsten Stätten ist Clonmacnoise, mit freistehenden schmalen Rundtürmen und feinverzierten Hochkreuzen in grandioser Einsamkeit zwischen den Mäandern des Shannonflusses, einigen sandigen Uferhöhen und weiten Moorflächen gelegen. Vielerorts auf der Insel sind sie anzutreffen, mit Caravans und großen Autos an den Nationalstraßen oder mit hölzernen, bunt bemalten Tonnenwagen und Ponygespann an den engen Feldwegen - die Tinkers, die irischen Zigeuner, die anders als die bei uns aus dem irischen Volk selbst stammen. Doch weiß niemand, durch welche Umstände sie zu Außenseitern und Kesselflickern wurden. Die Kinder, langhaarig, tragen bunte Kleider, die Alten sitzen um eine Feuerstelle, während Strümpfe und Hemden auf den nächsten Büschen trocknen und die Ponys sich's in einem Getreidefeld gutgehen lassen. Die Kinder bettelten um einen Penny, die Erwachsenen fragten mich beiläufig nach einem "Bob", das war ein irisches Pfund, obwohl ich mich mit dem gepäckbeladenen Fahrrad fast wie einer von ihnen fühlte. Sie forschten mich aus, wo ich herkomme, wo ich hinfahre. Ich hatte gehört, dass viele unter ihnen im Winter schwere Not leiden. Nur zufällig entdeckt man einen Platz, abseits der Straßen, auf den nichts als ein unscheinbares Schild hinweist: den Turm, in dem der romantische Schriftsteller und Nobelpreisträger William Butler Yeats lange Jahre seines Lebens verbrachte, ein mächtiger vierstöckiger Wehrturm, über den sich uralte Bäume neigen. Das Geviert des Hofes mit dem Rosenstrauch betrachtete Yeats als sein Kloster, in dem er schöpferische Gedanken empfing. Drei Frauen betreuten bei meinem Aufenthalt das Anwesen, eine das Teehäuschen gegenüber, eine führte die wenigen Besucher ein, und eine ältere Dame, die sehr spezielle Bücher über keltisch-irische Kultur verkaufte, wusste viel von dem mystischen Dichter zu erzählen. Von der Zerstörung der Kirchenburg auf dem St.-Patrick's-Felsen von Cashel können die Studenten, die dort die Führungen machen, berichten, dass der englische Diktator Cromwell im 17. Jahrhundert 3000 Männer, Frauen und Kinder, die hinter den Mauern Schutz gesucht hatten, massakrierte. Irlands Geschichte ist gezeichnet von Blut und Tränen, sie war, im nördlichen Teil bis in die letzten Jahrzehnte, eine Abfolge von nationalen, religiösen und sozialen Kriegen und Bürgerkriegen. Ein dermaßen geschwächtes Volk vermochte sich schließlich nicht mehr ausreichend zu ernähren, so dass nach einer Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts, die viele zur Auswanderung trieb, von acht Millionen Iren nur noch drei Millionen übrig blieben. Es verwundert, dass die Iren und Irinnen trotz alledem meist fröhliche Menschen sind, hilfsbereit und immer freundlich. Jedesmal grüßten sie, wenn wir einander begegneten, vom Straßenrand, an der Milchsammelstelle, an der sie sich mit ihren Kannen eingefunden hatten, oder vom Traktor: entweder mit einem "How are you", mit einer seitlichen Kopfbewegung oder mit einem leichten Anheben des Zeigefingers. © Matthias Kunstmann
|
|
maximil
. Agentur für Kommunikation . Matthias Kunstmann . Karlsruhe
. Deutschland |