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Dramaturgie mit dem Publikum
Literatur und Theater Europas im Widerstand

Was richten Literatur, Theater, Kunst aus, wenn sie die geltende Macht nicht bestätigen, sondern ihr gegenüberstehen? Wie weit können sich Menschen im Widerstand gegen die Verletzung ihrer Würde auf Mittel der künstlerischen Kommunikation verlassen? Die Fragen fordern Kulturschaffende und Kritik seit langem heraus, aber nach den geschichtlichen Erfahrungen der letzten hundert Jahre stellen sie sich in aller Schärfe. Beim Symposium zu Europäischer Kultur und Widerstand anlässlich der Europäischen Kulturtage in Karlsruhe, zu dem sich fünf Literaturwissenschaftler aus Österreich, Italien, Frankreich, Ungarn und Deutschland im Badischen Staatstheater zusammenfanden, ließen sich Antworten nur andeuten, doch zumindest wurden im Streiflicht einige weniger bekannte Aspekte des Problems sichtbar.

Die Herrschaft des Nationalsozialismus hat immer wiederkehrende Zweifel am Sinn von Literatur ausgelöst. Obwohl im Exil eigentlich gerettet, lebten verfolgte Schriftsteller deutscher Sprache dort im Widerstand gegen Existenznot und Verzweiflung, den viele von ihnen nicht durchhielten. Wie andere tötete sich Walter Benjamin selbst; sein "Passagen-Werk" griff später Christoph Hein auf, der in der DDR das Theaterstück "Passage" über das Schicksal der Exilanten verfasste, als Versuch und Aufruf, dem Vergessen zu widerstehen. Fabrizio Cambi, Germanist an der Universität Florenz, erläuterte die Absicht Heins, mit dieser Miniaturchronik in Form eines Kammerspiels "das Zeitpsychogramm zu erhellen". Hein betreibt "Wirklichkeitserfindung" und setzt das Verfahren der Montage ein, damit das Stück Jahrzehnte danach die innere Wahrheit der Geschichte bestätigen kann; das Moment des Fantastischen gehört für ihn dazu.

Die Zeit der autoritären Herrschaft im Österreich der Dreißiger Jahre vor dem Anschluss an das Deutsche Reich nahm sich Jürgen Doll vor, der in Le Mans Germanistik lehrt. Künstlerischen Widerstand leisteten damals Kleinkunstautoren, laut Doll in ihrer Mehrheit als liberale Demokraten zu bezeichnen, die mit kabarettistischen Szenenfolgen die verordnete völkische Kultur attackierten, als es für direkte Kritik an der Staatsideologie der Vaterländischen Front schon keine Freiräume mehr gab. In ihrer räumlichen Wirksamkeit beschränkt auf Kaffeehauskeller, griffen sie auf das Volkstheater städtisch-kritischer Tradition zurück und wandten es gegen die überhandnehmenden Blut-und-Boden-Stücke. Ihr Säulenheiliger war Nestroy, den sie beispielsweise in einem Dialog mit Lessing doppelsinnig äußern ließen, das Publikum komme sehr wohl ohne Staats-Theater aus.

In einem ihrer Stücke resümierte 1935 noch ein alter Jude: "Wer hierzuland stirbt, wählt das kleinere Übel." Aus einem theatralischen Gespräch zwischen Deutscher Eiche und Judenbuche lässt sich andererseits die Warnung an die österreichischen Juden entnehmen, nicht zu konziliant gegenüber dem Austrofaschismus zu sein, der nur offiziell nicht antisemitisch war und sich immer mehr auf den rassistischen Nationalsozialismus zubewegte.

Doll gab die spätere Selbsteinschätzung des Wiener Kabarettisten und Essayisten Hans Weigel wieder: "Wir waren politisch, aber wir haben nichts vom Theater erwartet." Weder inhaltlich noch dramaturgisch seien in den Stücken die Verhältnisse analysiert worden, immer wurden sie nur illustriert, und zwar zum Teil auf amüsante Weise, so Doll - das Publikum habe wohl nichts lernen können, was es nicht schon wusste; allerdings sei nicht mehr genau nachzuvollziehen, wie es reagierte.

Die Ausnahme unter den Kellerautoren der Zeit war der marxistisch denkende Jura Soyfer. Er fragte nach den Gründen für den Erfolg der Nazis in der Bevölkerung und nach den Fehlern der sozialistischen und sozialdemokratischen Linken. In seinen Stücken praktizierte er dabei, wie Doll es nannte, eine Art Publikums-Dramaturgie. Soyfers wichtigster dramaturgischer Trick sei gewesen, Helden auf die Bühne zu stellen, die von Anfang bis Ende in Irrtümern befangen sind. Das Publikum könne daraus immerhin den Schluss ziehen, dass es empfehlenswert sei, sich anders zu verhalten.

Auf das monumentale Unternehmen von Peter Weiss, nachträglich mit dem Grauen des Nazireiches umzugehen, das sich nicht mehr abschütteln lässt, verwies der Karlsruher Brecht-Forscher und Leiter des Symposiums Jan Knopf. Aus Weiss' "Ästhetik des Widerstands" lasse sich folgern: Humanität besteht darin, sich bewusst zu werden, dass Geschichte Zerstörung und Grauen ist.

In einem Durchgang durch die Literaturgeschichte Ungarns stellte Tamás Lichtmann von der Universität Debrecen, ebenfalls Germanist, den Zusammenhang dar, den es zwischen der Entwicklung einer nationalen Kultur und dem Widerstand gegen Fremdherrschaft geben kann. Die ungarischsprachige Literatur bildete sich erst im 16. Jahrhundert heraus. Dichtung sei als Teil des öffentlichen Lebens Medium des Kampfes um die Identität der Nation geworden, sie habe in Ungarn eine wichtigere Rolle als in glücklicheren Nationen gespielt, sagte Lichtmann. Von der widerstehenden Literatur zu einer staatstragenden, die Instrument der Unterdrückung wird, ist es in solchen Fällen allerdings nicht weit. Lichtmann betonte demgegenüber die dauerhafte Verantwortung der Intellektuellen - dieselben, die in Ungarn zu Zeiten der Sowjetherrschaft in der Opposition waren, befänden sich jetzt erneut im Widerstand.

Auf die Bedrohung der Kunst durch die moderne Massenkommunikation ging der Wiener Literaturwissenschaftler Herbert Arlt ein - angesichts der gegenwärtigen Ästhetisierung der Politik habe die kritische Kultur immer mehr Schwierigkeiten, überhaupt wahrgenommen zu werden. Jedoch sei zu beobachten, dass sie immer wieder zu unvorhergesehener Wirkung gelange. Literarischer Widerstand: So wie ihn die Veranstaltung zeigte, kennt er die Spannung zwischen den Bühnensätzen "Auf uns kommt's an" (Soyfer) und "Warten wir noch einen Moment" (Hein).

© Matthias Kunstmann

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