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Das Wunder des Lebens aus dem Stein schlagen
Der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon

Der Schweizer Paul Nizon wird in Frankreich zu den bedeutendsten lebenden Schriftstellern deutscher Sprache gerechnet, während ihm hierzulande entsprechender Ruhm bisher nicht zuteil geworden ist. Das liegt daran, dass Nizon in einer französischen Literaturtradition schreibt, die sich mit Baudelaire und dem Surrealismus benennen lässt, für die es in Deutschland auch Sympathien gibt, deren Verbindung von schonungsloser Weltsicht mit utopischem Verlangen in sprachlicher Ausdruckskraft hier aber nicht wie dort vertraut wurde. Es ist auch leicht, ein Werk zu unterschätzen, das oft kurze Texte bietet, die keine Lyrik und kein großer Roman sind, dafür bei angemessener Aufmerksamkeit hochkonzentrierte, bewegende Aussagen über das Dasein.

Solche Prosagedichte versammelt das letzte Buch Nizons, "Die Innenseite des Mantels". Er offenbart darin Niederschriften, die ursprünglich nicht zur Veröffentlichung vorgesehen waren, erlebte Szenen, Traumaufzeichnungen, Reflexionen der schriftstellerischen Arbeit in kritischen Momenten, Erinnerungen. In einer Nachbemerkung zu diesem "Journal" teilt er mit, dass das Material, "mehr oder weniger blind hingeworfene Notate", wie ein Film geschnitten und montiert, aber nicht verändert wurde - das Ergebnis sind also Dokumente spontanen Schreibens, das möglichst unmittelbar aus der erfahrenen Realität kommen soll, und doch zeigen sie klare Souveränität im Umgang mit der Sprache. Wenn Nizon dann auch noch in mündlichen Anmerkungen, ebenso bescheiden und wie selbstverständlich, weitere Einzelheiten zu persönlichen Hintergründen der Texte preisgibt, wirkt der 1929 geborene Autor bei aller Intensität seines Lebens und Arbeitens als Mensch wie du und ich.

Als ob er so die Einsamkeit überwinden könnte, die für ihn zu dieser Existenz gehört - denn er nimmt die Klage vieler Schriftsteller vor ihm auf, dass das Schreiben sie auf sich selbst zurückwerfe und von der Welt entfremde, dass diese ihnen einzig gemäße Form der Tätigkeit und Kommunikation sie an einer direkteren Mitmenschlichkeit hindere. Dabei kann er seine Existenz auch nur als ein Beispiel für die Entfremdungen auffassen, die in den modernen Gesellschaften immer krasser werden und sich in Ängsten, dem Gefühl der Heimatlosigkeit und Sinnkrisen spürbar machen.

Die einschlägigen Zerreißproben sind bei Nizon in präziser Deutlichkeit beschrieben. Im Traum ist er einer, der nur noch drei Tage zu leben hat, alle wissen es, aber niemand interessiert sich weiter dafür. Das oberflächliche Interesse lässt das reale Unfähigsein zur Gemeinsamkeit umso bestürzender erscheinen: Vergewaltigung, Mord oder Diebstahl in der Pariser Metro können unter den Augen un­beteiligter Fahrgäste begangen werden.

Immer wieder ist insbesondere Misserfolg dem Versuch beschieden, sich als Mann auf eine Frau einzulassen: Er lädt eine Unbekannte ins Kino ein, es ist ein Horrorfilm, sie lehnt sich im Schrecken kurz an ihn, bleibt sonst teilnahmslos, und als beide in einem Hotelzimmer sind, fürchtet er plötzlich Ansteckung und hält sich zurück. Immerhin schenkt er ihr etwas zum Abschied. Der Text entstand nach den Worten des Autors im Zusammenhang mit dem aufgegebenen Projekt eines "Frauenbuchs, in dem es nicht nur um Eros und Sexus gehen sollte". Ein Besuch bei der alternden Mutter macht bewusst, wie Illusionen, Schwäche und mühsames Festhalten an der Würde die Summe eines Lebens sein können.

Indessen ist da an anderer Stelle das Gefühl der Nähe zu Leuten in einem Großstadtviertel, "die bei sich sind", eine "Elysiumsstimmung" beim Gang durch die Straßen, zwischen "papierleichten Fassaden". Nizon fasst die verheißungsvolle Empfindung von Schönheit in bildhafte, einander mitreißende Worte (er hat sich viel mit Malerei, Zeichnung und ihrem Bezug zu Psychologie und Weltanschauung beschäftigt).

"Mit Dichtung das Wunder des Lebens aus dem Stein zu schlagen", von diesem Wunsch ist bei Nizon trotz alledem die Rede, und davon, der "Sauerstoff" der Lesenden zu sein. Zur Literatur gehöre der Glanz, das Unerhörte, das Neue, und, darauf besteht der Autor, auch wenn es vielleicht die stotternde Erklärung eines Heruntergekommenen sei, die Liebe. Von seinen literarischen Vorläufern hebt ihn ab, dass er solche Erwartungen angesichts des Zustands der Welt und eigenen Unvermögens noch einmal relativiert hat und sein Anspruch an die Wirkung des Schreibens umso höher ist.

© Matthias Kunstmann

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