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Es könnte alles so schön sein …

23. Februar 2024

Sind Deutschland und Europa am Ende? Derzeit gibt es keine Aussichten auf eine gute Zukunft. Die Politik ist so unvernünftig und unfähig wie schon lang nicht mehr. Werte, die vor Kurzem noch hochgehalten wurden – Frieden, Demokratie, Gemeinwohl – sind vergessen. Stattdessen wird auf Mittel aus dunkler Vergangenheit – Militarismus, Propaganda, Rassismus – zurückgegriffen. Das erzeugt die Gefahren, die inzwischen hier für alle real sind: von Krieg, Diktatur und wirtschaftlichem Niedergang.

Stillhalten und abwarten, ob es vielleicht doch irgendwie gut geht, wird uns wahrscheinlich nicht retten. Sich zu Kundgebungen gegen Rechtsradikalismus zu versammeln, aus denen nichts folgt, hilft ebenso wenig. Es kommt darauf an, miteinander zu sprechen und gemeinsam etwas Sinnvolles zu tun. Gebraucht werden Ideen, Einsatz, Zusammenhalt, Mut, eine neue Bewegung. Die Aufgaben sind in der globalisierten Welt so schwierig wie nie zuvor, aber angesichts der Gefahren müssen wir sie anpacken. Viele sind beruflich oder in der Familie sehr beschäftigt und sollten sich dennoch Zeit nehmen, um an besseren Bedingungen für das Leben und Überleben mitzuwirken.

Miteinander reden – ebenso mit denen, die anderer Ansicht sind

Der Neuanfang beginnt mit dem Gespräch: Alle, die es wollen, versammeln sich in Kreisen, laden persönlich dazu ein, sind vielleicht erst zu dritt oder zu viert, dann treffen sich in den Runden, privat, in Lokalen oder auf öffentlichen Plätzen überall im Land, gerade so viele, dass alle ausreichend zu Wort kommen können. Sie beraten darüber, was für sie die wichtigsten Aufgaben sind, die politisch bewältigt werden müssen. Die Runden könnten „Auf!-Kreise“ genannt werden, denn es soll mit unserem Land und unserer Gesellschaft wieder aufwärts gehen, mithilfe von Menschen, die aufgeschlossen sind für gute Lösungen und sie erreichen wollen, wobei ihr Handeln Kreise zieht.

Danach muss das Gespräch mit den Menschen gesucht werden, die andere Ansichten haben. An allen möglichen Orten wird dazu eingeladen, über vorhandene Vorschläge und gegensätzliche Meinungen von politisch links bis rechts zu diskutieren, in kleineren oder grösseren Veranstaltungen. Dabei wird versucht, tatsächliche Probleme und Bedürfnisse herauszufinden, die oft hinter polemischen Aussagen verborgen sind. Nützlich ist, dass Fachleute für Kommunikation teilnehmen, die neutral zwischen den verschiedenen Standpunkten vermitteln, für gegenseitiges Verständnis sorgen und zum jeweiligen Schluss der Debatte gemeinsam getragene Ergebnisse feststellen.

Die Kreise, Runden und anderen Veranstaltungen werden sich vernetzen, untereinander und mit Organisationen, die für die Themen kompetent sind. Informationen und Vorschläge werden mitgeteilt. Es wird entschieden, welche politischen Aufgaben am wichtigsten und dringendsten sind.

Aufstehen und politischen Druck machen

Demonstrationen, Petitionen und medienwirksame Aktionen sind erprobte Mittel, wenn die Bevölkerung ihre Parlamente und Regierungen auf notwendiges Handeln hinweisen will. Davon lassen sich aber die Herrschenden oft zu wenig beeindrucken. Besser sind Volksabstimmungen, mit denen Forderungen demokratisch, eindeutig und verbindlich geltend gemacht werden. Für die deutsche Bundespolitik gibt es das allerdings nicht, und in Ländern und Gemeinden umgehen die Regierenden solche Mehrheitsbeschlüsse nicht selten. Deshalb ist spürbarer Druck mit Blockaden, Streiks, Boykott oder Besetzungen legitim, weil das Volk seinen Willen nicht anders deutlich machen kann. Hierbei ist darauf zu achten und öffentlich zu erklären, dass die Aktion nicht für Interessen kleiner Gruppen unternommen wird, sondern für Anliegen, die für die meisten Menschen wichtig sind. Diese Anliegen sollen Rückhalt und Zustimmung auch in der weniger aktiven Bevölkerung haben.

Gute Lösungen für alle einführen

Dies sind dringende politische Aufgaben und ihre möglichen Lösungen für allgemeines Wohlergehen:

  • Die Macht der Herrschenden vor allem in der Wirtschaft beschränken – mit wirksamen Lobby-Regeln, Aufteilung grosser Konzerne, Rückübertragung privatisierter Unternehmen in allgemeines Eigentum, Übernahme weiterer Unternehmen durch die Allgemeinheit, hohe Reichtumssteuern. Denn die weltweite und zunehmende kapitalistische Macht zerstört die Umwelt, beutet Menschen aus, verhindert Gerechtigkeit und Demokratie.
  • Wohlstand neu gestalten – für Gesundheit, Ökologie, Klima und Gerechtigkeit schädliche Industrien abbauen, nachhaltige und humane Arbeitsplätze bereitstellen, Arbeitszeiten verkürzen, Naturverbrauch und Mengenwachstum beenden, mit optimalen Leistungen für Soziales, Bildung, Pflege, Sicherheit, Verkehr, Kultur und allgemeines Wohlbefinden sorgen.
  • Humane Bildung gewährleisten – indem Kindertagesstätten und Schulen bestens für die Bildung von Persönlichkeiten und Vernunft ausgestattet werden und politische Bildung gestärkt wird. Diese ist eine Voraussetzung für gute Politik. Ausbildungs- und Umschulungsprogramme unterstützen Menschen beim Wechsel in für sie bessere und für die Gesellschaft wichtigere, vor allem soziale und pädagogische berufliche Tätigkeiten.
  • Demokratie erneuern – die Beteiligung aller interessierten Menschen an politischen Entscheidungen soll zur Regel werden. Dies beugt Unzufriedenheit, Aggressionen und autokratischen Tendenzen vor. Regierungen sollen weniger bestimmen, die Abgeordneten der Parlamente mehr für das Gemeinwohl zusammenarbeiten.
  • Frieden schaffen – in Konflikten helfen nur zivile Lösungen. Dafür ist immer auch die eigene Seite verantwortlich. Ungelöste Konflikte sind gefährlich und verschwenden Ressourcen, Zeit und Aufmerksamkeit. Über Grenzen und im eigenen Land ist Gemeinschaft gut für Sicherheit, Entwicklung und Lebensgenuss.

Nicht vergessen: Es könnte alles so schön sein! Wenn wir das Richtige tun.

Matthias Kunstmann / maximil
Foto: Christoph Soeder / Montag Stiftung Denkwerkstatt

> Bürgerrat Bildung und Lernen

[Dazu:
So viel ist möglich ...
Wir regieren uns selbst am besten!
Neues demokratisches Glück
Fragen zu Krieg und Frieden
Die Industrie abwickeln!]

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

2024

1. Januar 2024

maximil

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

Die Industrie abwickeln!

9. November 2023

Als die Industrie aufkam, verliessen Männer, Frauen und Kinder aus Handwerker- und Bauernfamilien ihre Dörfer und gingen in die nächstbeste Stadt, um in Fabriken zu arbeiten und damit ihr Einkommen zu sichern. Sie mussten dort genau das tun, was ihnen befohlen wurde, immer wieder die gleichen Handgriffe, im Takt der Maschinen, mit grösster Anstrengung, zwölf und mehr Stunden am Tag und sechs Tage in der Woche, in wenig beleuchteten Hallen mit Rauch, Staub und Lärm. Dafür gab es etwas mehr Geld, als sie zuvor verdienen konnten, aber wenn jemand krank wurde oder einen Unfall erlitt, gab es keines. Abgase zogen durch die Siedlungen und Abwässer vergifteten die Flüsse.

Heute sieht die Industrie in den modernen Ländern sauber und sozial aus, zeigt sich mit eleganten Werksanlagen und Büros und gilt als entscheidender Faktor für den Wohlstand der gesamten Bevölkerung. Aber das täuscht. Inzwischen haben die schädlichen Wirkungen der Industrie ein Ausmass erreicht, dass sie die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstören. Die Industrialisierung ist eine Fehlentwicklung der Zivilisation. Dies muss Konsequenzen haben.

»Eisenwalzwerk«, Gemälde von Adolph Menzel, 1872-75, Alte Nationalgalerie Berlin. Dargestellt ist ein Betrieb der Königshütte beim nach ihr benannten Ort in Oberschlesien (heute Chorzów). Sie gehörte zu den ersten mit Dampfkraft betriebenen Hüttenwerken in Europa ausserhalb von England, wo die Industrialisierung begonnen hatte. In der Walzfabrik stellten die Arbeiter Eisenbahnschienen her.

Wie Industrie tötet

Die Chemie-Industrie hat neben manchen nützlichen Produkten eine Vielzahl schädlicher Stoffe in die Welt gebracht. In ihren Laboren erfindet sie Substanzen, die ohne objektive Prüfung der Wirkungen massenhaft vermarktet werden und die menschliche Gesundheit sowie die Umwelt angreifen. Schneller als Kontrollbehörden solche Stoffe aufspüren und verbieten können, setzt diese Industrie weltweit neue giftige Produkte frei. Bekanntere unter ihnen, alte und neue, sind das Insektizid und Nervengift DDT, das in die Muttermilch gelangte; die »Holzschutzmittel« PCP, das herzschädigend ist, und Lindan, das Krebs erzeugt – sie schwächen ausserdem das Immunsystem; PCB als Isolier- und Hydraulikmittel, die ebenfalls grossflächig in die Umwelt geraten sind, sich im menschlichen Körper anreichern und unter anderem Krebs auslösen können; Bisphenol A in Lebensmittelverpackungen und Kinderspielzeug kann schon in kleinen Mengen die Hormone beeinflussen und krank machen.

Es gibt Tausende weitere Produkte der chemischen Industrie mit hohem Risiko. Sie wirken sofort auf das Leben in Katastrophen wie bei der BASF in Ludwigshafen-Oppau 1921 und 1948, wo durch Explosionen jeweils Hunderte Menschen starben, in Seveso (Italien) 1976, wo in der Umgebung einer Fabrik des Schweizer Konzerns Roche viele teils todkrank wurden, oder als Gift einer mehrheitlich dem US-Konzern Union Carbide gehörenden Produktionsanlage in Bhopal (Indien) 1984 geschätzt bis zu 25000 Menschen tötete. Meistens schädigen die gefährlichen Chemikalien schleichend, auf verschiedene Weise und so, dass die genaue Ursache nicht nachweisbar ist.

Vor allem Pestizide für die Landwirtschaft, Müll aus der gigantischen Plastikproduktion in grösseren Teilen oder als Mikro- und Nanopartikel sowie Rückstände von Reinigungsmitteln und Kosmetika haben sich bis in die entlegensten Winkel der Erde und über alle Weltmeere verbreitet. Sie sind mittlerweile in Pflanzen, Tieren und Menschen zu finden, und dies zunehmend, weil sie nur langsam abgebaut werden und immer mehr von solchen Substanzen hinzukommt. »Ewigkeitschemikalien« werden industrielle Stoffe wie die PFAS genannt, die zum Beispiel in Textilien verarbeitet sind und als abgeriebene Fasern Jahrhunderte lang in der Luft, den Ackerböden und im Wasser bleiben werden – mit unabsehbaren Folgen für das Ökosystem und das Leben.

Verbunden mit der Chemieproduktion, oft im selben Konzern, ist die Pharma-Industrie. Geschäfte mit Arzneimitteln bringen besonders hohe Gewinne, weil für viele Menschen, wenn nicht die meisten, die Gesundheit das höchste Gut ist. Sie sind bereit, viel dafür zu bezahlen, oder lassen dies die Krankenversicherungen tun. Der Arzt oder die Ärztin muss bei einem Rezept nicht auf den Preis schauen, die Versicherung auch nicht, solange sie die nötigen Beiträge erhält. Die Industrie pflegt deshalb enge Kontakte zu den Arztpraxen. Sie macht daneben riesige Umsätze mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln, die oft nutzlos sind, teils abhängig machen und meist eine gesundheitsfördernde Lebensweise vermeiden helfen. An der Corona-Pandemie haben Pharma-Unternehmen mit Impfstoffen dank staatlicher Zuschüsse weltweit enorme Summen verdient.

Viele Pharma-Produkte werden verkauft, um durch Chemikalien verursachte Gesundheitsschäden zu heilen. Zugleich führen Nebenwirkungen von Medikamenten nach Angaben von Pharmakologie-Fachleuten jährlich in Deutschland zu Tausenden bis Zehntausenden Todesfällen. Dies alles sollte dazu veranlassen, der Industrie nicht mehr das übliche Vertrauen zu schenken, wenn es um gute Medizin und gesundes Leben geht.

Die Lebensmittel-Industrie braucht die industrielle Landwirtschaft. Diese zerstört mit chemischen Spritzmitteln und aus Erdgas hergestelltem Kunstdünger die natürliche Artenvielfalt, eine der menschlichen Lebensgrundlagen. Das weltweit massenhaft angewendete sogenannte Pflanzenschutzmittel Glyphosat und seine Zusatzstoffe verbreiten sich mit Wind und Regen und vernichten nicht nur unerwünschte Pflanzen, sie töten auch Tiere wie Bienen, Amphibien und Fische, verunreinigen Lebensmittel, dringen mit der Atemluft und über die Haut in den menschlichen Körper ein und können Krebs verursachen. Der Bayer-Konzern und andere Unternehmen bekommen für ihr Milliardengeschäft damit trotz aller Bedenken und Proteste seit vielen Jahren immer wieder die staatlichen Zulassungen.

Protest gegen Spritzmittel im Weinbau, Bremm an der Mosel 2019. Foto: Stephan Tournay, Lizenz CC BY-SA 4.0

In vielen Ländern legt die internationale Agrar-Industrie grossflächige Plantagen und Viehweiden an und holzt dafür natürliche Wälder ab, die auch Lebens- und Wirtschaftsraum der einheimischen Bevölkerung sind. Landwirtschaftliche Industriebetriebe zwingen mit ihrer Marktmacht überall kleinere, naturnäher arbeitende Bauernhöfe zum Aufgeben. Ein grosser und wachsender Teil der agrarischen Erzeugnisse ergibt keine Lebensmittel, sondern Rohstoffe für andere Waren wie Textilien aus Baumwolle, Kosmetika aus Palmöl, Treibstoff aus Raps, Industriechemikalien aus Mais.

Die Bau-Industrie ist auf den nicht vermehrbaren Boden angewiesen. Mithilfe der Politik kann sie für ihr Wachstum aber immer mehr Bodenflächen verwerten. Dies geht auf Kosten der Landwirtschaft, der Natur und menschlicher Erholungsgebiete. Für Baumaterialien werden zunehmend begrenzte natürliche Rohstoffe verbraucht.

Die Produkte der Auto-Industrie sind fast überall zu sehen, wo Menschen sich aufhalten. Mit Autos sind die Städte und Siedlungen vollgestellt, wenn nicht auf den Strassen und Plätzen, dann in Parkhäusern. Im Verkehr mit ständiger Unfallgefahr beherrschen und verlärmen sie Wohngebiete und Naturlandschaften. Vor allem erzeugen sie mit ihren seit über hundert Jahren gängigen Verbrennungsmotoren giftige Abgase. Bedenkenlos missachten die Autokonzerne zusammen mit der Mineralöl-Industrie die Gesundheit der Menschen. Bis 1996 wurde noch toxisches Blei in die Umwelt und die Lungen geblasen. Durch Abgase und Feinstaub von Kraftfahrzeugen sterben in Deutschland jedes Jahr etwa 14000 Menschen vorzeitig, wie Modellrechnungen des Internationalen Rates für sauberen Verkehr (ICCT) ergeben haben.

Dennoch brachten die Hersteller schwerpunktmässig übergrosse Fahrzeuge mit hohem Treibstoffverbrauch und entsprechenden Abgasmengen auf den Markt. Die Automafia hat darüber hinaus Millionen ihrer Produkte betrügerisch mit falschen Schadstoffangaben verkauft, weil die Mengen im Verkehr weitaus höher waren. Viele der eingebauten Motoren halten trotz Nachrüstungsversuchen weiterhin die Grenzwerte nicht ein. Für die verantwortlichen Personen und Unternehmen hatte dies keine angemessenen rechtlichen Folgen, und die Politik hat kaum reagiert – schliesslich hat die Auto-Industrie in Ländern wie Deutschland eine mächtige Lobby und mindestens zwei Minister in der Regierung (mit dem Verkehrs- und dem Wirtschaftsressort). Staatliche Unterstützung ist ihr sicher.

Die tödlichste Industrie ist die der Rüstung. Sie gehört teils zur Auto-, Maschinenbau-, Elektronik- und Chemie-Industrie. Im Ersten Weltkrieg zeigte sie erstmals ihre Leistung, indem sie nie dagewesene Zerstörungsmittel bereitstellte: Panzer, Flugzeuge, Luftschiffe, U-Boote, Giftgas, unterstützt durch Funktechnologie. Die Rüstungs-Industrie kann sich bis heute in Kriegs- und Friedenszeiten darauf verlassen, dass für ihre hochpreisigen Produkte die Staaten Unsummen an Steuergeld ausgeben. Dafür erforschen und entwickeln Heere von Fachleuten immer neue und tückischere Waffensysteme. Was im eigenen Land oder Militärbündnis nicht abgenommen wird, ordern korrupte Herrschende anderer Länder. Sicherheit für Gesellschaften und Menschen garantiert dies nicht, im Gegenteil: Rüstung ist eine ständige Todesdrohung, die im Kriegsfall Vernichtung wird.

Hinter allen Industriebranchen steht die Finanz-Industrie. Ohne Kapital, Investitionen damit und Handel mit ihm geht in der industriellen Wirtschaft nichts. Die Banken und Börsen, die selbst nur Geld produzieren, haben die Macht, das gesamte wirtschaftliche Geschehen zu steuern. Dabei können sie mit nur wenigen Beschränkungen den kapitalistischen Prinzipien folgen: maximaler Profit, Rationalisierung, Innovation um jeden Preis, Wachstum ohne Grenzen. So betreibt die Finanz-Industrie – es gibt einige weniger industrielle Ausnahmen – die wirtschaftliche Globalisierung mit der Verschwendung von Rohstoffen, der Zerstörung der Natur, der Produktion sinnloser Waren für den Konsum, der Ausbeutung armer Länder, schädlichen Technologien und Aufrüstung.

Die grössten Finanzkonzerne gelten für den Staat als »systemrelevant«, der Staat ist wie die Wirtschaft von ihnen abhängig und sie können von ihm jede Unterstützung erwarten. Auch nach staatlichen Milliardenzahlungen in der Finanzkrise 2007/8, als spekulative Experimente in ein Desaster führten, konnten die Banken Regulierungen ihrer Aktivitäten verhindern.

Leben in der verunsicherten Welt

Die Industrialisierung hat in Europa und Nordamerika um das Jahr 1800 mit dem Einsatz von Motoren und Maschinen in immer grösseren Fabriken begonnen und mit der Elektrifizierung ab etwa 1880 einen immensen Schub bekommen. Schon anfangs gab es begründete Kritik und Widerstand: Handwerker und Arbeiter, die bisher in Werkstätten und Manufakturen gut verdient hatten, demolierten Maschinen von Textilfabriken, um gegen niedrigere Einkommen und Arbeitslosigkeit oder schlechtere Arbeitsbedingungen infolge der neuen Produktionsmethoden zu protestieren. Der Staat bestrafte sie teils hart, zugleich versuchte er, die sozialen Probleme zu lösen.

Arbeitskampf mit Maschinenbeschädigung, England um 1812

Das Ergebnis der Industrialisierung ist heute: Sie hat die Welt und die Lebensbedingungen so sehr verändert, wie es früher auch in viel längeren Zeiträumen nicht geschehen war, und sie verändert immer mehr. Das ist für Menschen angenehm, wenn sie Vorteile davon haben – sehr viele sind aber überfordert und verunsichert, vertrauen der Gesellschaft nicht mehr und fühlen sich unfrei.

Der industrielle Fortschritt hat schon im vorigen Jahrhundert die Bevölkerung vieler Länder verstört und fatale politische Reaktionen ausgelöst. Nachdem der Erste Weltkrieg mit seinem ungeheuren Einsatz moderner industrieller Entwicklungen die Mehrzahl der Überlebenden tief erschüttert hatte, entstanden politische Bewegungen, die gesellschaftliche Zustände der Vergangenheit wiederherstellen wollten: eine vermeintlich heile Welt der Familien, dörflichen Gemeinschaften und für sich lebenden Völker mit einer festen Ordnung, die Fremde ausschliessen sollte. Besonders nach der Weltwirtschaftskrise um 1930 kamen nicht nur in Deutschland rückwärtsgewandte, rechtsgerichtete und faschistische Parteien an die Macht. Eine ähnliche politische Stimmung verstärkt sich heute wieder und wirkt weltweit destruktiv. Dem lässt sich nur entgegenwirken, wenn bei den wirtschaftlichen Ursachen angesetzt wird.

Falsche und richtige Interessen

Die Industrie hat den meisten Menschen Wohlstand gebracht, aber viele befürchten Verluste. Ab einem gewissen Grad kann die Verfügung über Geld und Konsumgüter auch die Zufriedenheit nicht mehr erhöhen – besonders wenn eine verlässliche Lebenswelt und andere Werte fehlen. Stattdessen ergibt sich Überdruss. Industrie, Wohlstand und Waren gewährleisten keinen Lebenssinn, sie lenken eher davon ab. Dabei werden die entstandenen krassen Unterschiede zwischen Reich und Arm als extreme Ungerechtigkeit empfunden.

Zudem sind demokratische Mitgestaltungsmöglichkeiten durch industrielle Interessen massiv eingeschränkt. Viele Industriekonzerne sind längst mächtiger als Staaten und bestimmen die Politik. Im Einzelnen bestimmt die Industrie über das Gesundheitswesen, die Inhalte der Schulbildung, die wissenschaftliche Forschung, die Energieversorgung, Projekte des Städtebaus und des Verkehrs, die Digitalisierung fast aller Lebensbereiche. Regierungen und gewählte Abgeordnete sehen sich zumeist in der Pflicht, die Interessen der Industrie vorrangig oder hauptsächlich zu bedienen. Regelmässig sollen Arbeitsplätze und Wohlstand eine solche Politik rechtfertigen – diese Phrasen sind auch erpresserisch. So erscheint die Politik alternativlos und ist die Demokratie wirkungslos. Menschen und Gruppen, die eine bessere Gestaltung der Lebensbedingungen wünschen und dafür gute Vorschläge haben, fühlen sich ohnmächtig.

Aus allen diesen Gründen ergibt sich das notwendige Vorhaben: Die Industrie abwickeln!

Für neues Wohlbefinden

Das Ziel muss sein, die Konzerne zu entflechten, sie aufzuteilen und daraus wieder überschaubare Unternehmen zu machen, die der Demokratie und dem Gemeinwohl verantwortlich sind. Statt Grossbetrieben mit übermässiger Arbeitsteilung und langen Pendlerwegen soll es wohnortnahe Werkstätten und Dienstleistungfirmen geben, in denen selbstbestimmtes und ganzheitliches Arbeiten möglich ist. Menschen sollen sich nicht den Maschinen und der Automatisierung anpassen müssen. Massenproduktion für den Weltmarkt soll wieder ersetzt werden durch die Herstellung hochwertiger und dauerhafter Güter für den individuellen Bedarf in der Region. Handwerk kann persönliche Unikate schaffen und bewährte Gegenstände reparieren oder kreativ umgestalten – das verdient mehr Anerkennung. »Industria« bedeutete früher einfach bewusste, zielgerichtete Tätigkeit.

Zu erreichen ist diese menschengerechte Zusammenarbeit, indem grosse Unternehmen merklich höher besteuert werden und Wirtschaftsförderung nur noch Unternehmen geringer Grösse erhalten. Auch Kartellregeln würden helfen. Arbeit für das allgemeine Wohl, für soziale und kulturelle Zwecke muss Vorrang haben. Dazu gehören entsprechende Ausbildungen und Verdienstmöglichkeiten. Auch wenn die Machtverhältnisse dem noch entgegenstehen – dieses Vorhaben muss bewusst sein und im Gespräch bleiben, damit es bei jeder Gelegenheit vorankommt.

So würde eine andere Art von Wohlstand wachsen: ohne die gegenwärtigen Schäden, Verluste und existenziellen Bedrohungen, ohne die sozialen Spaltungen, Ungerechtigkeiten und Herrschaftsstrukturen, ohne die bisherigen Folgekosten, mit Wohlbefinden, mit viel Sinn und mit genug zum guten Leben für alle.

Salvatore Gentilesco

> Gemeinwohl-Ökonomie

[Dazu:
Wir regieren uns selbst am besten!

Fällige Kritik des Wachstumsdenkens]

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Bewegte europäische Intelligenz

4. August 2023

Die Rezeption des Surrealismus in der deutschen Literatur 1924-1933

Neues Buch

Surrealistische Bilder faszinieren immer wieder ein großes Publikum. In der bildenden Kunst wird der Surrealismus seit nunmehr über hundert Jahren bewusst fortgeführt, kaum eine andere künstlerische Strömung ist so dauerhaft. Das Wort »surreal« wird, von solchen Bildern abgeleitet, oft für Situationen und Erlebnisse im Alltag gebraucht. Meist wird aber nicht daran gedacht, dass der Surrealismus von Schriftstellern ausgerufen worden ist und seitdem einen höheren Anspruch hat, als neue, seltsam bekannte Bilder zu erzeugen. Es ging von Anfang an auch nicht einfach um Kunst. Das Vorhaben war, das Verhältnis der Menschen zur Welt zu ändern, inmitten von Zivilisationskrisen und darüber hinaus. Ein bestimmtes Wahrnehmen sollte Möglichkeiten entdecken und entsprechendes Handeln veranlassen, das befreiend, belebend und gestaltend wirkt.

Das Buch präsentiert die Reaktionen auf die Pariser Surrealistischen Manifeste von 1924 und 1930 in Deutschland, in den letzten zehn Jahren der Weimarer Republik. Diese erste deutsche Demokratie hat sich besonders durch ihr intensives und vielfältiges kulturelles Leben ausgezeichnet. Dabei ist der Surrealismus zwar nicht als Bewegung aufgetreten, aber er wirkte sich bewegend aus. Wie hier in der Mitte Europas damals Intellektuelle sich mit den Anregungen des Surrealismus auseinandersetzten, sich auf verwandte deutsche Traditionen bezogen, an dieser und anderen Bewegungen teilnahmen oder davon auf Abstand gingen, wie Literaten über Grenzen hinweg Themen der Kultur, Politik, Philosophie, Ästhetik und Ethik diskutierten, die langfristig wichtig waren, wie sie einander kritisierten oder bestärkten, wie sie schrieben und handelten, vergegenwärtigt das Buch mit zahlreichen aussagekräftigen Zitaten, mit Analysen, Interpretationen und aktuellen Schlussfolgerungen.

Eine nachhaltig wirkende ästhetische, philosophische und politische Bewegung wird aus diesen Reaktionen, Kommentaren oder Diagnosen besser verständlich und neu wahrnehmbar.

Leseprobe

> Matthias Kunstmann: Bewegte europäische Intelligenz, BoD Norderstedt 2023, auch als E-Buch

maximil

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Papillons
Surreales entdecken]

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Gutes oder schlechtes Ende?

17. Mai 2023

Soll eine Geschichte gut ausgehen oder schlecht? Im eigenen Leben ist das üblicherweise keine Frage: Ich möchte, dass ein Risiko nicht schadet, dass meine Unternehmung etwas bringt und mein Einsatz erfolgreich ist, ich will, dass ein Problem gelöst oder ein Konflikt beendet wird. Bücher, Artikel, Sendungen, Kurse, die entsprechenden Rat zu den verschiedensten Lebensthemen geben, erhalten grosses Interesse.

In Romanen, Theaterdramen oder Filmen sieht das anders aus. Es gab Zeiten, da musste ihr Ende tragisch sein, wenn sie ernst genommen werden sollten. »Romeo und Julia«: Am Schluss sind die jungen Liebenden tot. Die Welt war gegen ihre Liebe, und ohne diese Liebe wollten sie nicht leben. »Emma Bovary«: Ihre Wünsche sind ihr Schicksal, als sie aus dem Unglück nicht mehr herausfindet, bringt sie sich um. »Easy Rider«: Zwei lebenslustige, unangepasste junge Männer werden schliesslich von beschränkten Bürgern erschossen. In den 1960er- und 1970er-Jahren führten viele Filme zu einem ähnlichen Ende.

Der gedankenreiche Alexander Kluge hat zu seinem filmischen Essay »Die Macht der Gefühle« von 1983 erklärt: »Ich bin überzeugt, dass es eine unternehmungslustigere Kombination geben müsste: sowohl in der Oper wie im klassischen Kino bleiben die Gefühle gegenüber der Macht des Schicksals ohnmächtig.« Auf Gefühle sollte geachtet werden. Sie lassen mich spüren, wie es mir geht. Darauf kann ich mit dem Verstand reagieren. Und versuchen, eine Geschichte durch gefährliche Verhältnisse zu einem gewünschten Ausgang zu steuern.

Eine bis heute beliebte Oper mit tragischem Ende ist »Carmen«: Die Frau will frei leben, aber ein Liebhaber tötet sie. Das Kino hat viel aus der Operntradition übernommen, nicht nur die Musik, die exzessive Gefühle steigert. Das Melodram ist eine bedeutende und zugkräftige Art des Films geworden.

»Carmen«, letzter Akt: Sammelbild aus Packungen von »Liebigs Fleischextrakt«, 1895

Auf der Bühne wurde das genannte Musikdrama bei der ersten Aufführung 1875 als »Komische Oper« angeboten und hat das Publikum, das Entsprechendes erwartete, irritiert. Komödien haben regelmässig ein glückliches Ende. Dafür sind sie nicht ernst zu nehmen. Gebildete Kreise bewerteten sie meist als Unterhaltung für das einfache Volk. Doch stellen Komödien oft moralische Fragen, sie können kritisch parodierend und karikierend sein, dem Publikum einen Spiegel vorhalten, soziale und politische Verhältnisse angreifen.

Was nach dem Ende kommt

Das Happy End von Geschichten ist in häufiger intellektueller Sicht eine sentimentale und täuschende Befriedigung des Volkes. Das unglückliche Ende gilt dagegen als ein realistischer und Probleme verdeutlichender Anstoss für die Elite. Kurt Tucholsky hat in seinem Gedicht »Danach« beschrieben, was nach einem Happy End kommt: neue Schwierigkeiten, Probleme und Konflikte. »Un darum wird beim Happy-end im Film jewöhnlich abjeblendt.« Ein glückliches Ende währt also nur kurze Zeit. Kann es auch ein Moment einer wünschenswerten Entwicklung sein?

In der Literatur wie im Theater oder Kino ist es kaum machbar, eine heile Welt glaubhaft darzustellen. Vielmehr kommt es auf die Absicht an, mit der eine Geschichte erzählt wird. Wenn sie nur problematische Verhältnisse der Welt wiedergeben soll, kann sie vielleicht aufklären und überlässt es jedenfalls dem Publikum, Schlüsse daraus zu ziehen oder ratlos zu sein. Wenn die Geschichte auch Möglichkeiten, Versuche und neue Wege zeigen soll, wird es wahrscheinlicher, dass sie Gespräche, Ideen, Motivation und Einsatz auslöst.

Bei Tragödien steht der Tod am Ende, bei Krimis steht er am Anfang. Danach muss aufgeklärt werden, wie und warum und durch wen er geschehen ist. Wenn der Täter oder die Täterin gestellt ist, bedeutet das ein gutes Ende. Die Nachfrage nach Krimis in Büchern, im Fernsehen und in Filmen hat stark zugenommen. Damit verbreiten sich wahrscheinlich bei vielen in der Fantasie mehr als in der äusseren Wirklichkeit Verbrechen, Gewalt und Bedrohungen. Zugleich wirkt das Bedürfnis, diese Gefahren in den Griff zu bekommen, Ängste zu bewältigen und die rechtmässige Ordnung gesichert zu wissen.

Wirklichkeit in der Fantasie und den Medien

Die journalistischen Medien berichten schon immer besonders über reale Kriminalfälle sowie Unfälle und Unglück aller Art. Ein Verbrechen ist in jedem Fall das schlechte Ende einer Geschichte, und öfters wird es lange nicht oder nie aufgeklärt. Obwohl solche Nachrichten auf grosses Interesse der Bevölkerung treffen, wird den Medien immer wieder vorgeworfen, dass sie ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit vermitteln, dass sie damit Angst erzeugen und dass der Journalismus sich übermässig mit Missständen, Krisen und Katastrophen beschäftigt. Wo ist das Positive?

Darauf wird geantwortet: Die Menschen interessieren sich für tatsächliche Gefahren und Probleme, um gewarnt zu sein und sich schützen zu können. Im Unterschied zur fiktiven Literatur oder dem Film, die nach den persönlichen Bedürfnissen Erkenntnisse und Erfahrungen ermöglichen, geht es bei den journalistischen Nachrichten um Anlässe für das aktuelle, konkrete Verhalten. Missstände und Skandale müssen zudem Thema sein, damit Justiz oder Politik sie abstellen.

Inzwischen wird mehr über »konstruktiven Journalismus« nachgedacht. Das bedeutet, dass Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen, Internet positive Entwicklungen beobachten sowie nach Vorschlägen für Lösungen suchen und darüber informieren, auch wenn das nicht gleich sensationell ist. Es kann aufwendigere Recherchen erfordern und mehr Geduld. Solche Arbeit macht Ideen, Möglichkeiten und vorbildliche Projekte bekannt und trägt dazu bei, dass sich die Wirklichkeit trotz Gegenmacht, Hindernissen und Zwischenfällen wunschgemäss verändert.

Wie es weitergehen soll

Ob diese Veränderung in der Politik gewollt wird, ist eine beunruhigende Frage. Es kann scheinen, dass die Weltgeschichte auf Katastrophen zusteuert. Und zwar weil die politisch Entscheidenden es nicht anders wollen, weil sie Macht- und Vermögensverhältnisse für unveränderbar halten und Ideologien für wahr, weil sie glauben, dass es weitergehen kann wie bisher. Womöglich haben sie dabei sogar eine Mehrheit der Menschen hinter sich. Zu anderen Zeiten waren die meisten für eine bessere Welt. Derzeit ist »Weltverbesserer« ein Schimpfwort wie »Gutmensch«. Denjenigen, die so reden, gefällt es anscheinend mehr, wenn Menschen schlecht sind und unsere Welt ruiniert wird. Es könnte eine kollektive Depression sein, dass viele wie schon zu oft in der Geschichte Krieg als eine Lösung sehen: Tod, Zerstörung, Untergang … »Dass es ›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe«, bemerkte zu Beginn eines neuen Weltkrieges der Kulturphilosoph Walter Benjamin.

Es kann auch sein, dass Werte bei allen Konsequenzen bewahrt werden sollen. Dann wäre aber zu prüfen, ob es humane Werte sind und die Folgen für das eigene Leben getragen werden, ohne dass andere darunter zu leiden haben. Gewalt gegen Menschen und Natur ist wertlos, sie verursacht teils weit reichende und kaum auszugleichende Schäden. Damit ist kein Problem gelöst. Stattdessen sollen gemeinsame wie persönliche Geschichten ein Ende finden, mit dem alle gut leben können. Das ist dann auch ein guter Anfang.

Matthias Kunstmann / maximil

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Wie die Energiewirtschaft den Strompreis hochtreibt

27. Januar 2023

Strom ist schon vor dem Ukraine-Krieg deutlich teurer geworden. Der Preis ist gestiegen, obwohl es einen grossen Zubau von Wind- und Sonnenenergieanlagen gab, die viel billigeren Strom produzieren konnten als die Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke. Wie ging das zu?

Die Energiekonzerne haben noch in den letzten Jahren in Deutschland neue Kohle- und Gaskraftwerke in Betrieb genommen und wollen die hohen Kosten mit dem Strompreis wieder hereinholen. Ihre verbleibenden Atomkraftwerke haben die Investitionskosten zwar schon lang ausgeglichen, die extrem aufwendige Technik macht aber die Instandhaltung teuer. Dieselben Konzerne erzeugen auch zunehmend günstigen Strom aus Wind- und Sonnenenergie, richten den Preis am teuren Fossil-Strom aus Kohle und Gas und am Atomstrom aus und erzielen so zusätzliche hohe Gewinne.

Vier Unternehmen mit jährlichen Milliarden-Gewinnen dominieren die deutsche Energiewirtschaft: E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall. E.ON als umsatzstärkstem dieser Konzerne gehört das noch betriebene Atomkraftwerk Isar, EnBW das in Neckarwestheim, RWE das AKW Emsland. EnBW, fast vollständig in öffentlichem Besitz, verwertet zu mehr als 40 Prozent erneuerbare Energien, aber auch Steinkohle. RWE ist teilweise im Besitz des Emirats Katar, baggert im Rheinland weiter Braunkohle für seine zu zwei Dritteln fossile Stromproduktion ab und liess dafür zuletzt das Dorf Lützerath räumen; der Konzern ist einer der grössten CO2-Verursacher in Europa. Vattenfall hat den Abbau und die Verstromung von Braunkohle in Ostdeutschland an ein tschechisches Unternehmen verkauft, nutzt aber weiter überwiegend fossile Energie.

Die vier Konzerne hatten um das Jahr 2000 in grossen Teilen Deutschlands jeweils das Monopol. Dann wurde die Energieversorgung liberalisiert, andere Unternehmen bekamen Zugang zu den Strom- und Gasnetzen, die Preise sollten sich am Markt bilden und angeblich für die Energieverbrauchenden günstiger werden. Ein freier Markt zwischen Nachfrage und Angebot bestand aber nur kurze Zeit und teilweise. Längst wird der Markt wieder von der alten Fossilenergiewirtschaft beherrscht, die nach wie vor die Preise bestimmt.

Zugunsten der Altenergien und hoher Preise, die jedenfalls die Haushalte und weniger die Industrie zu zahlen haben, hat die Politik Einrichtungen und Regelungen geschaffen. Dazu gehört besonders die Europäische Energiebörse in Leipzig. Die Bezeichnung als Börse täuscht: Diese Institution ist nicht so etwas wie die Frankfurter Börse.

Die Börse Frankfurt ist ein Marktplatz für Wertpapiere, speziell Aktien. Dort wird anhand von Angebot und Nachfrage der aktuelle Wert einer grossen Zahl von Unternehmen ermittelt, die verschiedene Produkte herstellen. Die Energiebörse bildet dagegen hauptsächlich für das Produkt Strom, das von verschiedenen Unternehmen bereitgestellt wird, einen aktuellen Preis.

Dieser Preis für den Strom ist entscheidend abhängig von der Angebotsseite, also den Vorgaben der produzierenden Unternehmen. Denn an der Strombörse sind die Verhältnisse anders als an einer Wertpapier- oder einer sonstigen Warenbörse, wo nicht unbedingt gekauft oder verkauft werden muss – an Strom besteht ein existenzieller Bedarf, die nachfragenden Handelsunternehmen müssen ihre Kundschaft versorgen und deshalb den festgesetzten Preis akzeptieren.

Festgesetzt wird der Strompreis keineswegs als Durchschnitt der verschiedenen Angebotspreise, vielmehr mit dem Preis des teuersten Angebots, das für den Bedarf gebraucht wird. Da kann noch so billiger Strom aus Wind und Sonne angeboten werden, der hohe Angebotspreis eines Gaskraftwerks gilt. Offenbar lässt sich der Börsenpreis auch manipulieren, etwa indem billige Angebote zurückgehalten werden, damit teure zum Zug kommen; oder ein Strom anbietendes Unternehmen fragt zu demselben Zweck seinerseits eine gewisse Menge nach und erreicht mit dem finanziellen Einsatz einen viel höheren Erlös. Nach dem aktuellen Preis richten sich auch die Stromhandelsverträge, die ausserhalb der Börse abgeschlossen werden.

Bei einem grossen Angebot von Wind- und Sonnenstrom gerät der Börsenpreis öfters zeitweise ins Minus. Meistens wird er aber vom teuren Strom aus Kohle und inzwischen besonders aus Gas bestimmt.

Ökostrom produzierende Unternehmen (nicht nur die alten Konzerne), die viel günstiger anbieten könnten, machen sich gern die hohen Preise zu eigen. Damit unterstützen sie quasi im Kartell die Renditen von Kohle-, Gas- und Atomenergie. Es entsteht der Eindruck, dass die erneuerbaren Energien ebenso in der Krise sind wie die fossilen Energien.

Jetzt will der deutsche Staat ausserdem eine Strompreisbremse betätigen, die zwar den Stromkundinnen und -kunden wie den Haushalten und der Wirtschaft kurzfristig hilft, aber die Verteuerung des Stroms nicht wirklich bremst. Damit wird sogar riskiert, den Preis weiter hochzutreiben.

Wie könnte es besser gehen? Möglich wäre, die Energiewirtschaft (ähnlich wie schon EnBW und das Fossilstromunternehmen Uniper) in allgemeines Eigentum zu überführen, und zwar so, dass sie ohne geschäftliche Rücksichten unverzüglich auf klimafreundliche Produktion umstellt und dem Gemeinwohl dient. Ebenso ist es möglich, dass üblich wird, was viele schon machen: den Strom für den eigenen Bedarf selbst erzeugen.

Matthias Kunstmann / maximil
Fotos: Ra Boe, Lizenz
CC BY-SA 3.0 (links); Florian Gerlach, Lizenz CC BY-SA 3.0 (rechts)

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Fragen zu Krieg und Frieden

9. Januar 2023

Wollen wir keinen Frieden mehr?

Deutschland hat lange Zeit seine Rüstungsexporte beschränkt. Waffen und Munition sollten nicht in Konflikt- und Krisengebiete geliefert werden. Das wurde damit begründet, dass Deutschland nicht Kriege befeuern, sondern sich für den Frieden in der Welt einsetzen wolle.

Kriegswaffenlieferungen waren nur für zuverlässige Staaten vorgesehen, deren Militär wie die Bundeswehr lediglich der Abschreckung und Verteidigung zu dienen hatte. Es galt auch zu verhindern, dass deutsche Waffen womöglich gegen deutsche Interessen gerichtet werden.

Diese Rüstungskontrolle wurde genauso wenig eingehalten wie der Friedensauftrag der Bundeswehr. Deutschland gehört zu den Nationen mit den meisten Rüstungsexporten und liefert auch an Diktaturen wie Katar und kriegführende Staaten wie die Türkei (gegen kurdische Verbände); auf die mit deutschem Gerät aufgerüsteten Regimes von Saudi-Arabien und Ägypten trifft beides zu, sie töten im Jemen Kinder.

Die Bundeswehr hat sich 1999 am Angriffskrieg der NATO gegen Serbien beteiligt und ab 2001 an der Invasion in Afghanistan. Deutschland hat die USA bei ihren Irak-Kriegen finanziell und logistisch unterstützt. Inzwischen schickt Deutschland militärisches Material, derzeit noch mehr Panzer, in die Ukraine, bewusst für den Krieg.

Wie damit Frieden erreicht werden soll, kann niemand erklären. Dass es damit noch mehr Gewalt, Tod und Zerstörung geben wird, ist offensichtlich.

Es muss gefragt werden: Ist diese Politik nur dumm? Ist sie verantwortungslos? Ist sie kriminell?

Ist für viele Menschen, die dieser Politik zustimmen, Krieg interessanter geworden als Frieden? Neigen sie zu Depression oder zu masochistischen Verhaltensweisen?

Wer ausser vielleicht den Führungskräften und Beschäftigten von Rüstungskonzernen und denen, die deren Aktien besitzen, kann damit glücklich sein?

André Schmidt

[Dazu:
Kleine Schreckensgeschichte der Nation
Werte bilden Persönlichkeiten und Kulturen]

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2023

1. Januar 2023

maximil

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Seele der Musik

28. September 2022

»Worin der beschämendste Mangel an unsrer Erziehung und der eigentliche Grund ihrer Unfähigkeit, aus dem Barbarischen herauszuheben, liegt: es fehlt ihr die bewegende und gestaltende Seele der Musik.«
Friedrich Nietzsche, »Unzeitgemäße Betrachtungen«, Viertes Stück, 5

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Kleine Schreckensgeschichte der Nation

12. August 2022

„Nationalismus ist Krieg.“ Emmanuel Macron, damals Kandidat für die französische Staatspräsidentschaft, 4.4.2017 („Le nationalisme, c’est la guerre.“)

Der Nationalstaat ist eine europäische Erfindung, die seit etwa 400 Jahren entwickelt wird, inzwischen weltweit verbreitet ist und der Menschheit wenige Vorteile gebracht, aber gewaltige Zerstörungen angerichtet hat. Es gibt bessere Formen des Zusammenlebens.

In vorgeschichtlicher Zeit lebten Gruppen von Menschen, Stämme, Clans in wenig besiedelten Naturräumen nebeneinander, regelten ihre inneren Angelegenheiten und versuchten Konflikte mit benachbarten Gemeinschaften etwa um Jagdgründe oder Viehweiden entweder durch Gewalt zu lösen oder durch Handel und Austausch.

Dann entstanden bei zunehmender Bevölkerung weltweit durch Zusammenschlüsse, Wanderungen und Eroberungen grosse Reiche, die oft schnell wieder zerfielen, aber mit geeigneter Organisation und Politik längere Zeit bestehen blieben. In solchen Reichen lebten viele verschiedene Völker und Gemeinschaften zusammen, ohne dass zwischen ihnen besondere Unterschiede gemacht wurden. Der entscheidende Unterschied war immer und ist bis heute der zwischen oben und unten, zwischen den Mächtigen, den weniger Mächtigen und denen, die keine Macht haben.

Nach dem Mittelalter wurden in Europa Staaten organisiert, die umfassend geordnet und verwaltet sein sollten, um wirtschaftlich möglichst leistungsfähig zu werden und Herrschaft im Inneren sowie nach aussen zu sichern. Dazu wurden Fabriken und Verkehrswegenetze gefördert, Polizei eingerichtet und die Grenzen kontrolliert. Es ergab sich Wohlstand, für die einen mehr, für die anderen weniger.

Vor allem in Frankreich kam in der Aufklärungszeit die Idee ins Gespräch, dass es im Staat auf die Nation ankommt, die Gemeinschaft seiner Menschen. Es war ein sozialer Gedanke: Die Bürger (erst viel später auch die Bürgerinnen, sie wurden wie die Kinder zunächst von den Männern vertreten) sind zusammen entscheidend für die Leistungen des Staates. Sie haben deshalb auch Anspruch auf Rechte. Die Menschenrechte wurden entwickelt. Mit ihnen wurde begründet, dass in der Staatsnation grundsätzlich alle Menschen, egal welcher Abstammung, Hautfarbe oder Weltanschauung, gleich sind.

Dieser Nationalgedanke wurde in Deutschland übernommen, jedoch bald überwiegend anders verstanden. Hier sollte die Nation der Zusammenschluss der Deutschen sein. Ähnlich wurde in anderen europäischen Ländern die Nation als Gemeinschaft eines bestimmten Volkes definiert, in der Menschen in Minderheiten und von anderer Herkunft nicht gleichberechtigt sind. Sie werden ausgegrenzt, während wissenschaftliche Theorien sowie Mythen und Ideologien den Vorrang des eigenen Volkes bekräftigen sollen. So können Nationalismus und Rassismus zu Diskriminierung, Gewalt, Pogromen, Krieg und Völkermord führen. Deutscherseits geschah dies im letzten Kaiserreich und seinen Kolonien, im Ersten Weltkrieg und im Nationalsozialismus. Frankreichs Militär hat danach in seinem Kolonialgebiet Massaker begangen.

Die Nationalstaaten haben sich von Europa aus in aller Welt verbreitet, besonders bei der Auflösung der europäischen Kolonien. Aus ihnen wurden Staaten nach europäischem Vorbild, die meist nicht zu den kulturellen, historisch-traditionellen und natürlichen Bedingungen dieser Länder passten. Unzählige gewaltsame Konflikte um Grenzen, Zugehörigkeit und Vorherrschaft waren die Folge.

Europa hat versucht, politisch zu lernen und weiterzudenken. Das Ergebnis war nach dem Ersten Weltkrieg die Demokratie, die es bis dahin nur als Ausnahme wie in der Schweiz oder ansatzweise gab. Die ersten demokratischen Verfassungen einiger Staaten endeten allerdings nach wenigen Jahren in Diktaturen. Das Ergebnis des Denkens nach dem Zweiten Weltkrieg war die Europäische Union. Sie sollte die nationalen Grenzen überwinden, die Völker zusammenbringen, durch Zusammenarbeit Wohlstand vermehren und dauerhaften Frieden gewährleisten. Dies ist über Jahrzehnte weitgehend gelungen und war ein Gewinn für alle beteiligten Länder.

Währenddessen hat der in Deutschland und Russland entwickelte Kommunismus die Gleichheit der Menschen über staatliche Grenzen hinweg obenangestellt. Er wollte den Internationalismus. Die Menschen, die in den meisten Ländern Osteuropas und anderswo den Kommunismus unterstützten, waren zumeist darin einig, dass nationale Politik durch internationales Zusammenwirken zu ersetzen war.

Nach dem Ende des Kommunismus um 1990 hat in Europa und darüber hinaus der Nationalismus wieder um sich gegriffen und bestimmt seither verbunden mit dem Kapitalismus in vielen Ländern zunehmend die Politik. Ursachen sind immer schnellere und intensivere Veränderungen in der globalisierten Welt, von denen viele Menschen sich getrieben und verunsichert fühlen. Über den so genannten Fortschritt und die täglich neuen Modernisierungen können sie ebenso wenig entscheiden wie über die Lösung sozialer und politischer Probleme. Hinzu kommen Wohlstandsüberdruss und gesellschaftliche Sinnkrisen. In der Folge wird versucht, eine vermeintlich heile Welt der Vergangenheit wiederherzustellen. Dabei werden als störend empfundene Menschen und Verhaltensweisen ausgeschlossen und von autoritären Führungspersonen wird erwartet, dass sie für Ordnung und gemeinsame Gefühle von Macht und Stärke sorgen. Reale allgemeine Probleme und Krisen werden so eher verschärft als bewältigt. Etwas anderes ist es, sinnvolle Werte im Denken und Handeln zu bewahren.

In den Balkankriegen der 1990er-Jahre wirkte der neue Nationalismus sich bereits mörderisch aus. Massaker an missliebigen Volksgruppen oder Vertreibungen wurden dort als „ethnische Säuberungen“ bezeichnet. Nationalistische Politik läuft auf zerstörerische Trennungen hinaus und vergisst die Möglichkeiten schöpferischen Miteinanders. Dies zeigt sich auch in den europäischen Staaten, die sich von den USA und der NATO gegen Russland aufrüsten liessen. Im Fall der Ukraine hat solche Politik wieder einen Krieg in Kauf genommen.

Zuvor hat die EU als Ganzes einen nationalistischen Kurs eingeschlagen, indem sie die Aussengrenzen für Geflüchtete sperrte und eine eigene Militärmacht aufbaute. Großbritannien trat aufgrund nationalistischer Emotionen aus der EU aus. In Katalonien prallen eigener und spanischer Nationalismus aufeinander.

Berechtigt sind Selbstbestimmung und Eigenständigkeit. Regionen von Staaten müssen unabhängig werden können. Demokratisch und friedlich, am besten im Konsens: Eine Volksabstimmung unter internationaler Aufsicht in der betreffenden Region muss zunächst den Wunsch ausdrücken, dann verhandeln der Staat und die Region über Einzelheiten und danach muss eine weitere Abstimmung die Selbstständigkeit bestätigen. Die internationale Gemeinschaft, zu der ein Land gehört, etwa die EU oder die UNO, hat darüber zu wachen, dass für alle und überall die Menschenrechte gleichermassen gelten. Auch in der staatlichen Unabhängigkeit ist es zudem von allgemeinem Interesse, dass die Grenzen offen sind, dass die Menschen verschiedener Zugehörigkeit sich miteinander verständigen – dass Zusammenarbeit und Austausch allen Vorteile bringen.

Matthias Kunstmann / maximil
Foto: Gabi Schoenemann / pixelio.de

[Dazu:
Wirksamer Einsatz für Demokratie und Menschenrechte
Die Menschenwürde gilt für alle
Gespräch über Grenzen
Beim Erinnnern wird es klar]

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