Soll eine Geschichte gut ausgehen oder schlecht? Im eigenen Leben ist das üblicherweise keine Frage: Ich möchte, dass ein Risiko nicht schadet, dass meine Unternehmung etwas bringt und mein Einsatz erfolgreich ist, ich will, dass ein Problem gelöst oder ein Konflikt beendet wird. Bücher, Artikel, Sendungen, Kurse, die entsprechenden Rat zu den verschiedensten Lebensthemen geben, erhalten grosses Interesse.
In Romanen, Theaterdramen oder Filmen sieht das anders aus. Es gab Zeiten, da musste ihr Ende tragisch sein, wenn sie ernst genommen werden sollten. »Romeo und Julia«: Am Schluss sind die jungen Liebenden tot. Die Welt war gegen ihre Liebe, und ohne diese Liebe wollten sie nicht leben. »Emma Bovary«: Ihre Wünsche sind ihr Schicksal, als sie aus dem Unglück nicht mehr herausfindet, bringt sie sich um. »Easy Rider«: Zwei lebenslustige, unangepasste junge Männer werden schliesslich von beschränkten Bürgern erschossen. In den 1960er- und 1970er-Jahren führten viele Filme zu einem ähnlichen Ende.
Der gedankenreiche Alexander Kluge hat zu seinem filmischen Essay »Die Macht der Gefühle« von 1983 erklärt: »Ich bin überzeugt, dass es eine unternehmungslustigere Kombination geben müsste: sowohl in der Oper wie im klassischen Kino bleiben die Gefühle gegenüber der Macht des Schicksals ohnmächtig.« Auf Gefühle sollte geachtet werden. Sie lassen mich spüren, wie es mir geht. Darauf kann ich mit dem Verstand reagieren. Und versuchen, eine Geschichte durch gefährliche Verhältnisse zu einem gewünschten Ausgang zu steuern.
Eine bis heute beliebte Oper mit tragischem Ende ist »Carmen«: Die Frau will frei leben, aber ein Liebhaber tötet sie. Das Kino hat viel aus der Operntradition übernommen, nicht nur die Musik, die exzessive Gefühle steigert. Das Melodram ist eine bedeutende und zugkräftige Art des Films geworden.
»Carmen«, letzter Akt: Sammelbild aus Packungen von »Liebigs Fleischextrakt«, 1895
Auf der Bühne wurde das genannte Musikdrama bei der ersten Aufführung 1875 als »Komische Oper« angeboten und hat das Publikum, das Entsprechendes erwartete, irritiert. Komödien haben regelmässig ein glückliches Ende. Dafür sind sie nicht ernst zu nehmen. Gebildete Kreise bewerteten sie meist als Unterhaltung für das einfache Volk. Doch stellen Komödien oft moralische Fragen, sie können kritisch parodierend und karikierend sein, dem Publikum einen Spiegel vorhalten, soziale und politische Verhältnisse angreifen.
Was nach dem Ende kommt
Das Happy End von Geschichten ist in häufiger intellektueller Sicht eine sentimentale und täuschende Befriedigung des Volkes. Das unglückliche Ende gilt dagegen als ein realistischer und Probleme verdeutlichender Anstoss für die Elite. Kurt Tucholsky hat in seinem Gedicht »Danach« beschrieben, was nach einem Happy End kommt: neue Schwierigkeiten, Probleme und Konflikte. »Un darum wird beim Happy-end im Film jewöhnlich abjeblendt.« Ein glückliches Ende währt also nur kurze Zeit. Kann es auch ein Moment einer wünschenswerten Entwicklung sein?
In der Literatur wie im Theater oder Kino ist es kaum machbar, eine heile Welt glaubhaft darzustellen. Vielmehr kommt es auf die Absicht an, mit der eine Geschichte erzählt wird. Wenn sie nur problematische Verhältnisse der Welt wiedergeben soll, kann sie vielleicht aufklären und überlässt es jedenfalls dem Publikum, Schlüsse daraus zu ziehen oder ratlos zu sein. Wenn die Geschichte auch Möglichkeiten, Versuche und neue Wege zeigen soll, wird es wahrscheinlicher, dass sie Gespräche, Ideen, Motivation und Einsatz auslöst.
Bei Tragödien steht der Tod am Ende, bei Krimis steht er am Anfang. Danach muss aufgeklärt werden, wie und warum und durch wen er geschehen ist. Wenn der Täter oder die Täterin gestellt ist, bedeutet das ein gutes Ende. Die Nachfrage nach Krimis in Büchern, im Fernsehen und in Filmen hat stark zugenommen. Damit verbreiten sich wahrscheinlich bei vielen in der Fantasie mehr als in der äusseren Wirklichkeit Verbrechen, Gewalt und Bedrohungen. Zugleich wirkt das Bedürfnis, diese Gefahren in den Griff zu bekommen, Ängste zu bewältigen und die rechtmässige Ordnung gesichert zu wissen.
Wirklichkeit in der Fantasie und den Medien
Die journalistischen Medien berichten schon immer besonders über reale Kriminalfälle sowie Unfälle und Unglück aller Art. Ein Verbrechen ist in jedem Fall das schlechte Ende einer Geschichte, und öfters wird es lange nicht oder nie aufgeklärt. Obwohl solche Nachrichten auf grosses Interesse der Bevölkerung treffen, wird den Medien immer wieder vorgeworfen, dass sie ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit vermitteln, dass sie damit Angst erzeugen und dass der Journalismus sich übermässig mit Missständen, Krisen und Katastrophen beschäftigt. Wo ist das Positive?
Darauf wird geantwortet: Die Menschen interessieren sich für tatsächliche Gefahren und Probleme, um gewarnt zu sein und sich schützen zu können. Im Unterschied zur fiktiven Literatur oder dem Film, die nach den persönlichen Bedürfnissen Erkenntnisse und Erfahrungen ermöglichen, geht es bei den journalistischen Nachrichten um Anlässe für das aktuelle, konkrete Verhalten. Missstände und Skandale müssen zudem Thema sein, damit Justiz oder Politik sie abstellen.
Inzwischen wird mehr über »konstruktiven Journalismus« nachgedacht. Das bedeutet, dass Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen, Internet positive Entwicklungen beobachten sowie nach Vorschlägen für Lösungen suchen und darüber informieren, auch wenn das nicht gleich sensationell ist. Es kann aufwendigere Recherchen erfordern und mehr Geduld. Solche Arbeit macht Ideen, Möglichkeiten und vorbildliche Projekte bekannt und trägt dazu bei, dass sich die Wirklichkeit trotz Gegenmacht, Hindernissen und Zwischenfällen wunschgemäss verändert.
Wie es weitergehen soll
Ob diese Veränderung in der Politik gewollt wird, ist eine beunruhigende Frage. Es kann scheinen, dass die Weltgeschichte auf Katastrophen zusteuert. Und zwar weil die politisch Entscheidenden es nicht anders wollen, weil sie Macht- und Vermögensverhältnisse für unveränderbar halten und Ideologien für wahr, weil sie glauben, dass es weitergehen kann wie bisher. Womöglich haben sie dabei sogar eine Mehrheit der Menschen hinter sich. Zu anderen Zeiten waren die meisten für eine bessere Welt. Derzeit ist »Weltverbesserer« ein Schimpfwort wie »Gutmensch«. Denjenigen, die so reden, gefällt es anscheinend mehr, wenn Menschen schlecht sind und unsere Welt ruiniert wird. Es könnte eine kollektive Depression sein, dass viele wie schon zu oft in der Geschichte Krieg als eine Lösung sehen: Tod, Zerstörung, Untergang … »Dass es ›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe«, bemerkte zu Beginn eines neuen Weltkrieges der Kulturphilosoph Walter Benjamin.
Es kann auch sein, dass Werte bei allen Konsequenzen bewahrt werden sollen. Dann wäre aber zu prüfen, ob es humane Werte sind und die Folgen für das eigene Leben getragen werden, ohne dass andere darunter zu leiden haben. Gewalt gegen Menschen und Natur ist wertlos, sie verursacht teils weit reichende und kaum auszugleichende Schäden. Damit ist kein Problem gelöst. Stattdessen sollen gemeinsame wie persönliche Geschichten ein Ende finden, mit dem alle gut leben können. Das ist dann auch ein guter Anfang.
Matthias Kunstmann / maximil
0 Kommentare bis jetzt ↓
Dieser wäre der erste.
Kommentar