Strom ist schon vor dem Ukraine-Krieg deutlich teurer geworden. Der Preis ist gestiegen, obwohl es einen grossen Zubau von Wind- und Sonnenenergieanlagen gab, die viel billigeren Strom produzieren konnten als die Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke. Wie ging das zu?
Die Energiekonzerne haben noch in den letzten Jahren in Deutschland neue Kohle- und Gaskraftwerke in Betrieb genommen und wollen die hohen Kosten mit dem Strompreis wieder hereinholen. Ihre verbleibenden Atomkraftwerke haben die Investitionskosten zwar schon lang ausgeglichen, die extrem aufwendige Technik macht aber die Instandhaltung teuer. Dieselben Konzerne erzeugen auch zunehmend günstigen Strom aus Wind- und Sonnenenergie, richten den Preis am teuren Fossil-Strom aus Kohle und Gas und am Atomstrom aus und erzielen so zusätzliche hohe Gewinne.
Vier Unternehmen mit jährlichen Milliarden-Gewinnen dominieren die deutsche Energiewirtschaft: E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall. E.ON als umsatzstärkstem dieser Konzerne gehört das noch betriebene Atomkraftwerk Isar, EnBW das in Neckarwestheim, RWE das AKW Emsland. EnBW, fast vollständig in öffentlichem Besitz, verwertet zu mehr als 40 Prozent erneuerbare Energien, aber auch Steinkohle. RWE ist teilweise im Besitz des Emirats Katar, baggert im Rheinland weiter Braunkohle für seine zu zwei Dritteln fossile Stromproduktion ab und liess dafür zuletzt das Dorf Lützerath räumen; der Konzern ist einer der grössten CO2-Verursacher in Europa. Vattenfall hat den Abbau und die Verstromung von Braunkohle in Ostdeutschland an ein tschechisches Unternehmen verkauft, nutzt aber weiter überwiegend fossile Energie.
Die vier Konzerne hatten um das Jahr 2000 in grossen Teilen Deutschlands jeweils das Monopol. Dann wurde die Energieversorgung liberalisiert, andere Unternehmen bekamen Zugang zu den Strom- und Gasnetzen, die Preise sollten sich am Markt bilden und angeblich für die Energieverbrauchenden günstiger werden. Ein freier Markt zwischen Nachfrage und Angebot bestand aber nur kurze Zeit und teilweise. Längst wird der Markt wieder von der alten Fossilenergiewirtschaft beherrscht, die nach wie vor die Preise bestimmt.
Zugunsten der Altenergien und hoher Preise, die jedenfalls die Haushalte und weniger die Industrie zu zahlen haben, hat die Politik Einrichtungen und Regelungen geschaffen. Dazu gehört besonders die Europäische Energiebörse in Leipzig. Die Bezeichnung als Börse täuscht: Diese Institution ist nicht so etwas wie die Frankfurter Börse.
Die Börse Frankfurt ist ein Marktplatz für Wertpapiere, speziell Aktien. Dort wird anhand von Angebot und Nachfrage der aktuelle Wert einer grossen Zahl von Unternehmen ermittelt, die verschiedene Produkte herstellen. Die Energiebörse bildet dagegen hauptsächlich für das Produkt Strom, das von verschiedenen Unternehmen bereitgestellt wird, einen aktuellen Preis.
Dieser Preis für den Strom ist entscheidend abhängig von der Angebotsseite, also den Vorgaben der produzierenden Unternehmen. Denn an der Strombörse sind die Verhältnisse anders als an einer Wertpapier- oder einer sonstigen Warenbörse, wo nicht unbedingt gekauft oder verkauft werden muss – an Strom besteht ein existenzieller Bedarf, die nachfragenden Handelsunternehmen müssen ihre Kundschaft versorgen und deshalb den festgesetzten Preis akzeptieren.
Festgesetzt wird der Strompreis keineswegs als Durchschnitt der verschiedenen Angebotspreise, vielmehr mit dem Preis des teuersten Angebots, das für den Bedarf gebraucht wird. Da kann noch so billiger Strom aus Wind und Sonne angeboten werden, der hohe Angebotspreis eines Gaskraftwerks gilt. Offenbar lässt sich der Börsenpreis auch manipulieren, etwa indem billige Angebote zurückgehalten werden, damit teure zum Zug kommen; oder ein Strom anbietendes Unternehmen fragt zu demselben Zweck seinerseits eine gewisse Menge nach und erreicht mit dem finanziellen Einsatz einen viel höheren Erlös. Nach dem aktuellen Preis richten sich auch die Stromhandelsverträge, die ausserhalb der Börse abgeschlossen werden.
Bei einem grossen Angebot von Wind- und Sonnenstrom gerät der Börsenpreis öfters zeitweise ins Minus. Meistens wird er aber vom teuren Strom aus Kohle und inzwischen besonders aus Gas bestimmt.
Ökostrom produzierende Unternehmen (nicht nur die alten Konzerne), die viel günstiger anbieten könnten, machen sich gern die hohen Preise zu eigen. Damit unterstützen sie quasi im Kartell die Renditen von Kohle-, Gas- und Atomenergie. Es entsteht der Eindruck, dass die erneuerbaren Energien ebenso in der Krise sind wie die fossilen Energien.
Jetzt will der deutsche Staat ausserdem eine Strompreisbremse betätigen, die zwar den Stromkundinnen und -kunden wie den Haushalten und der Wirtschaft kurzfristig hilft, aber die Verteuerung des Stroms nicht wirklich bremst. Damit wird sogar riskiert, den Preis weiter hochzutreiben.
Wie könnte es besser gehen? Möglich wäre, die Energiewirtschaft (ähnlich wie schon EnBW und das Fossilstromunternehmen Uniper) in allgemeines Eigentum zu überführen, und zwar so, dass sie ohne geschäftliche Rücksichten unverzüglich auf klimafreundliche Produktion umstellt und dem Gemeinwohl dient. Ebenso ist es möglich, dass üblich wird, was viele schon machen: den Strom für den eigenen Bedarf selbst erzeugen.
Matthias Kunstmann / maximil
Fotos: Ra Boe, Lizenz CC BY-SA 3.0 (links); Florian Gerlach, Lizenz CC BY-SA 3.0 (rechts)
[Dazu:
Inflation - ein Anstoss zum Handeln
So viel ist möglich ...]
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