Keine Nachrichten. Im Radio ist nur Rauschen, auf dem Fernsehbildschirm Flimmern, statt Internetverbindung wird ein Ladefehler angezeigt. Die letzte E-Post ist von gestern, das Telefon bleibt ruhig, neue Zeitungen und Zeitschriften gibt es nicht. Wir sprechen darüber, fragen einander, rätseln, Gerüchte gehen um, aber langsam lässt das Interesse nach. Sonst fehlt uns nichts, Lebensmittel sind erhältlich, Arbeit ist zu leisten, die Kinder lernen in der Schule, Leute treffen sich in Lokalen, feiern Feste, in der Nachbarschaft und auf den Plätzen ist immer etwas los. Neuigkeiten brauchen wir nicht, wir leben im Hier und Jetzt, dabei regeln wir alles Wichtige.
Ein Gedankenexperiment. Sind die Menschen dann dumm, wenn sie nichts Neues erfahren, nichts mitbekommen aus dem Rathaus, dem nächsten Ort, der Hauptstadt, aus anderen Ländern, ausser sie begeben sich selbst dorthin? Nicht unbedingt, denn vom gegenwärtigen Leben, seinen Konflikten und verschiedenen Lösungen wissen sie viel. Sie beschäftigen sich mit der Natur, dem Sport, der Kunst. Auch von der Geschichte verstehen sie etwas, lesen Bücher, entdecken vielleicht im Kino einen bisher selten gezeigten alten Film, denken über das Glück nach.
Wenn keine Nachrichten kommen, kann es so scheinen, als würden auch woanders Konflikte irgendwie gelöst, als würde die Regierung akzeptabel funktionieren, als würde die Menschheit jede Katastrophe überstehen…
Doch, wir wollen die Welt kennen. Was woanders nicht geregelt ist, kann Folgen für uns hier haben. Das Ungewohnte erinnert daran, dass wir in unserem Bereich etwas verändern können. Wir brauchen Informationen, um richtig zu reagieren und etwas zu verbessern. Wie Menschen in anderen Kulturen sich verhalten, zeigt, dass es viele Möglichkeiten gibt.
Leider können wir viel wissen, aber das heisst noch längst nicht, dass wir dementsprechend mitbestimmen können: weil das Recht oder die Mittel es nicht erlauben. Deshalb sind Nachrichten oft eher Grund zur Klage als Anreiz zum Handeln.
Der Medienausfall ist vorüber. Es wird weiter berichtet. Auch über Geschehnisse und Zusammenhänge, die zu wenig beachtet werden, lässt sich etwas herausbekommen. Trotzdem - es war angenehm, einmal abzuschalten und durchzuatmen…
> Marietta Slomka, “Nachrichtenblock” (Die Zeit 22.4.2004)
maximil
1 Kommentar bis jetzt ↓
1 anana nagorny // 28. März 2011, 23:50 Uhr
Stille ist etwas, wovon nicht alle Menschen profitieren könnten. Sich zu spüren, bedingt manchmal des Gebrauchs der eigenen Sinne - für Tinnitus-Patienten wie mich heisst “Geräuschkulisse ist gleich loslassen von den Kopfgeräuschen” - Medienausfall müsste ich dennoch niemals fürchten: am liebsten ist mir immer noch, aus meiner “unendlichen Schatztruhe vieler im Laufen meines Lebens abgespeicherten Melodien” schöpfen zu können und federleicht per Gesang zu reproduzieren.. Ich bin sozusagen in der Lage, mir eigene musikalische Botschaften zu senden. Durchatmen wäre in meinem Falle also etwas anderes als Marietta Slomka andeutete.
Anana alias Anita Nagorny
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