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Welches Gesicht zeigen? - Masken und die Wahrheit

3. März 2021

Fastnacht ist vorbei, mit wenig lustigen Masken, wenig bunten Kostümen und kaum Spass, meist im Abstand des Fernsehens oder Internets. Zusammensein und Feiern sind jetzt seit Langem nicht mehr zeitgemäss. Masken werden weiterhin getragen, mehr als jemals, in Schulen und Unternehmen, auf Strassen und Plätzen, vor Kameras: ernste Masken, als notwenig gefordert, nach kreativer Vielfalt am Anfang der Pandemie inzwischen immer mehr normiert und gleichförmig. Die Menschheit sieht anders aus als ein Jahr zuvor.


James Ensor, Selbstportrait mit Masken, 1899

Von Kind an können Menschen nicht nur ihre Umwelt kennenlernen, sondern mehr oder weniger auch sich selbst. Sie lernen es besonders, wenn sie etwas sagen oder tun und ihre Mitmenschen darauf reagieren. Dabei entsteht eine Selbsteinschätzung. Aber alle sehen sich anders, als die anderen sie sehen. Auch im Spiegel sehe ich nicht mein wahres Bild, es ist seitenverkehrt, gibt nur Augenblicke wieder und ist von meinen Ansichten und Stimmungen überblendet. Manche stören sich im Selbstbild an Verschiedenem, was anderen gar nicht auffällt, manche finden sich grossartig und gehen damit anderen auf die Nerven. Solches einigermassen zu verstehen und mit sich und anderen zurechtzukommen, ist eine Aufgabe fürs Leben.

Lebewesen wachsen, verändern sich und können sich verwandeln. Dazu haben Menschen weitreichende Fähigkeiten entwickelt. Sie sind die Wesen, die von sich selbst oder ihresgleichen hergestellte Kleidung tragen, von Kopf bis Fuss. Mit Fantasie verkleiden sie sich auch. Zu den ersten Körperbedeckungen gehörten Tierfelle, und in ihnen konnten Menschen sich als Bären, Rinder, Schafe fühlen, weil sie noch eng mit der Natur verbunden waren. Wenn sie mit dem Fell den Schädel eines getöteten starken Tiers aufsetzten, spürten sie dessen Kraft und fürchteten sich weniger vor Angriffen. Masken dieser und anderer Art wurden zu Elementen von Ritualen und Religiosität.

In der Kulturgeschichte kennzeichnete dann besondere Kleidung verschiedene Gruppen einer menschlichen Gesellschaft. Frauen trugen andere Kleidung als Männer, Bauern unterschieden sich von Handwerkern, Priester und Fürsten waren sofort zu erkennen. Vor allem Kopfschmuck konnte ein Zeichen von Macht sein. Schliesslich brachten auch Häuser und Fahrzeuge als Arten von erweiterten Masken den sozialen Status ihrer Inhaber und zudem deren individuelle Persönlichkeit zum Ausdruck.

Das Theater war ursprünglich der Ort, an dem das Maskentragen mit seinen kultischen und sozialen Bedeutungen bewusst wurde. Es liess sich exemplarisch auf- und vorführen sowie interpretieren. Das Wort »Person« leitet sich von den zugleich wahrhaftigen und künstlichen Theatermasken ab, die als Gesichter galten. Seitdem werden auf den Bühnen der Welt menschliche Erlebnisse, Gedanken, Gefühle und Handlungen auch ohne Maske oder Schminke schauspielerisch dargestellt, sodass das Publikum daraus seine Folgerungen ziehen kann. Und es ist möglich, im alltäglichen Leben theatralische Rollen in dramatischen Szenen zu beobachten und selbst an diesem Spiel teilzunehmen.

Figuren des volkstümlichen italienischen Theaters der »Commedia dell’arte« sind in den Karneval von Venedig und anderen Städten eingegangen. In Fastnacht und Karneval überdauern sonst alte religiöse Kulte und Bräuche, die inzwischen zum Spass und zur geselligen Unterhaltung betrieben werden. Anarchisches Verhalten war immer dabei, zeitweilig erlaubt oder geduldet und manches Mal verboten. Die moderneren Formen dieser Veranstaltungen beinhalten parodistische und satirische Kritik, und damit können auch hier Masken die Wahrheit sagen.


Basler Fasnacht, 2012 - Foto: Anirvan0419, Lizenz CC BY-SA 3.0

Andererseits verbergen Masken auch die Wahrheit, so wie jemand sein Gesicht und seine Worte verstellen kann. Eine Requisite des Theaters für spielerische Intrigen in Festgesellschaften war die Halbmaske, die den oberen Teil des Gesichts um die Augen verdeckt und so die Person zumindest nicht genau erkennen lässt. Frauen versteckten sich hinter einem Schleier. Manchen Flaneuren genügt für diesen Zweck eine grosse Sonnenbrille. Sturmhauben, die bis auf Schlitze für die Augen und eventuell den Mund den Kopf ganz verhüllen, wurden von Bankräubern verwendet, aber auch von militanten Demonstrierenden, die sich so nicht vermummen dürfen, und von gegen sie eingesetzten Polizeikräften, denen es gestattet ist. Jedoch können digitale Analyseprogramme für Kamerabilder Menschen schon an ihrem Gang wiedererkennen.

Gesichtsausdruck, Gesten, Kleidung und Accessoires sollen oft täuschen: Eine Person zeigt sich dann absichtlich anders, als sie sonst ist, um einen Vorteil zu erreichen. Gemäss dem Sprichwort »Kleider machen Leute« trat der »Hauptmann von Köpenick«, ein Schuhmacher in der Uniform eines Offiziers, im Jahr 1906 als Autorität auf und bekam den Inhalt der Stadtkasse ausgehändigt. Gemalte Portraits früher und heute Fotos oder Videos eignen sich als Wunschbild-Präsentation, die beschönigt und um Sympathie wirbt.

Die Sprache bietet darüber hinaus reichlich Mittel, um im sozialen Umfeld und in der Politik zu heucheln, zu lügen und Propaganda zu verbreiten. Gegebenenfalls muss die sprechende oder schreibende Person ihren Namen nicht nennen und kann sich mit einem Pseudonym tarnen oder ganz anonym bleiben. Es heisst gelegentlich, dass jemand »Kreide gefressen« hat wie der Wolf, der in Grimms Märchen die sieben Geisslein fressen wollte und die Stimme der abwesenden Ziegenmutter imitierte, damit die Jungen ihn ins Haus liessen. »Kreide« war einmal ein Mus aus Sauerkirschen, das gegen Heiserkeit empfohlen wurde. Dieser Wolf bereitete übrigens öfter seine Gewalttaten mit Tricks vor, so lauerte er als verkleidete Grossmutter auf das Rotkäppchen. Dabei profitierte er immer wieder von den Daten, die ihm seine Opfer freiwillig gaben.

Der Steinzeitmensch trug seinen Bärenpelz vermutlich sowohl aus magischen Gründen als praktisch zum Schutz vor Kälte und gefrässigen Tieren. Masken sollten fortan auch vor anderen Gefahren schützen wie dem Erkanntwerden. Pestdoktoren setzten erste Atemschutzmasken auf, vergleichbar sind Sonnenbrillen, Gehörschutz am Arbeitsplatz, Schutzhelme, Ritterrüstungen (deren wichtigere Träger in der Schlacht durch eine Helmzier zu unterscheiden waren), Feuerwehrschutzanzüge, Bandagen im Sport. Im Strassenverkehr von Metropolen waren Nase-Mund-Bedeckungen zum Schutz vor Staub und Russ schon lang üblich, bevor Corona kam.

Seit einiger Zeit ist in Europa über Kopftücher, Burkas und Nikabs von Frauen aus dem islamischen Kulturkreis diskutiert worden. Für ein Verbot solcher Kleidungsstücke wurde argumentiert: Wenn sie das Gesicht verhüllen, widerspreche das dem europäischen Grundsatz, das Gesicht zu zeigen. In allen Fällen werde eine Religion bekundet und damit der soziale Frieden gestört. Diese Argumente sind wenig glaubhaft, denn offenbar steckt die Absicht dahinter, bestimmten sozialen Gruppen die europäischen Freiheiten nicht zu gewähren. Zu diesen gehört seit Jahrhunderten, dass der Staat keine bestimmte Kleidung vorschreibt (ausser in frei gewählten Berufen, beim Militär und im Gefängnis) und keine Religion diskriminiert. Dennoch wurden verschiedentlich Kleidungsverbote angeordnet. Vermummungsverbote sollen es daneben für den Staat einfach machen, die Identität von Widerstandleistenden zu erfassen.

Die Maskenpflicht, mit der erstmals in der neueren Geschichte ein Kleidungsstück staatlich allgemein vorgeschrieben wurde, ist ein Bruch mit den europäischen Werten – zumal ein grosser Teil des Gesichts bedeckt werden muss. Sie kann als Verletzung der Menschenwürde angesehen werden. Es geht darum, Leben zu schützen. Das rechtfertigt nicht, dass Würde und Freiheit nicht mehr gelten. Freiwilliges Masketragen ist etwas anderes als Zwang, der das Gesicht verunstaltet. Die Vorschrift stellt jeden und jede ungeprüft unter den Verdacht, andere zu gefährden, gleich ob das zutrifft oder nicht. Eine Maske zum Schutz anderer kann nur dem Personal in der Medizin, der Pflege und der Gastronomie sowie nachweislich Ansteckenden vorgeschrieben werden. Wer jedoch nichts weiter verschuldet, als ein überzogenes Gebot nicht zu befolgen, wird mit Strafe bedroht. Die gesetzliche Regelung beachtet auch nicht, ob bei anderen Risiken für das Leben ebenso durchgegriffen wird. Somit hat die Politik bedenkenlos unverhältnismässig gehandelt und die Mehrheit der Menschen hat es fraglos hingenommen. Das zeigt, dass die Grundrechte wenig sicher sind. Und es muss zu denken geben.

Matthias Kunstmann / maximil

Themen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

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