maximil-blog

maximil-blog

Geld fehlt Wert

30. November 2011

Geld regiert die Welt, das ist als Sprichwort schon für das Jahr 1616 dokumentiert, im Buch “Teütsche Sprach und Weissheit” von Georg Henisch. Gemeint ist üblicherweise, dass die Reichen die Politik bestimmen. Inzwischen scheint die Aussage wörtlich und grundsätzlich zuzutreffen. Das Geld ist zu einer entscheidenden Macht geworden, weder seine Besitzer noch die Börsen kontrollieren es mehr, und bedeutende Regierungen folgen seinen Vorgaben. Das Kapital, nach dem das herrschende Wirtschaftssystem benannt ist, dominiert in seiner absoluten Substanz, nicht mehr als Produktionsmittel wie Fabriken oder Maschinen oder als konkrete Produkte, sondern als Finanzkapital, das schliesslich nur noch in Zahlen ohne jeden greifbaren Gegenwert existiert. Massgeblich sind nicht mehr die Warenmärkte, es sind die Finanzmärkte. Sie treiben die Politik vor sich her - dies stellen auch etablierte Medien wie der Südwestrundfunk und die Süddeutsche Zeitung offen fest.

Philosophisch könnte gesagt werden: Das Geld ist der Geist des Materialismus. Es kann für eine quasi religiöse Kraft gehalten werden, die bei zunehmender Skepsis gegen die alten Religionen von der Menschheit immer mehr verehrt und dabei immer weniger fassbar wird.

In früheren Zeiten war das Geld nicht so bedeutsam, wie es in unserer Zivilisation geworden ist. Die Menschen als Mitglieder überschaubarer Gemeinschaften in Dörfern und kleinen Städten versorgten sich gegenseitig mit dem Lebensnotwendigen und Unterhaltung, ohne es in Geld zu berechnen. Der Handel über weitere Entfernungen mit vermittelnden Kaufleuten machte Geld erforderlich und nützlich, ebenso die Massenproduktion in Fabriken, wofür Tauschgeschäfte nicht mehr geeignet waren, ebenso musste in den neuen spezialisierten Arbeitsverhältnissen der Lohn in Geld ausgezahlt werden, und die gegenseitige soziale Unterstützung in besonderen Lebenslagen wurde von der Sozialversicherung mit Beiträgen und Geldleistungen abgelöst.

Damit ist das Geld insgesamt das Medium einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die auf seine Wirksamkeit angewiesen ist. Aber es hat eine eigene Dynamik, es kann zum Selbstzweck werden. Aus dieser Erkenntnis heraus haben an echten Werten interessierte Menschen die Naturalwirtschaft wiederentdeckt und Tauschringe eingerichtet. Auch neues Regionalgeld wird als Alternative ausgegeben, das sich nicht unbegrenzt vermehren, stattdessen gezielt einer menschenfreundlichen Wirtschaft zugutekommen soll.

Seit die ersten Banken am Beginn der Neuzeit in Europa Geld für unternehmerische Geschäfte vorgestreckt haben, hat sich die Wirtschaft intensiv entwickelt und Wohlstand erzeugt. Zugleich ist es zu Fehlentwicklungen mit fatalen Folgen gekommen. Denn geliehenes Geld verführt dazu, die mit ihm gewonnenen Vorteile zu geniessen, ohne noch an die Abhängigkeit von ihm zu denken. Es wird als eigenes Kapital angesehen und hat sich doch in Schulden verwandelt. Ein Unternehmen, das genug Gewinn macht, um mit einem Teil davon die Kreditzinsen zu bezahlen, hat kaum ein Interesse, die Schulden auszugleichen; im Interesse von kurzfristigem Genuss und längerfristigem Wachstum nimmt es stattdessen immer neue und größere Kredite auf. Die Banken sind dabei behilflich, weil sie selbst daran verdienen. Der Kredit, der als Begriff vom lateinischen Wort für “glauben” abgeleitet ist, bedeutet in der Wirtschaft für den Gläubiger nicht, dass er glaubt, der Schuldner werde das Darlehen in der vereinbarten Frist zurückzahlen - er glaubt vielmehr, ein dauerhaft wachsendes Unternehmen werde ihm immer höhere Profite bescheren. So bauen nicht nur Unternehmen und Konzerne oder Einzelpersonen, sondern ebenso Staaten statt auf festen Fundamenten auf immer grösseren Schuldenlöchern auf. Sie leben über ihre Verhätnisse.

Die Finanzwirtschaft kann aus Nichts Geld machen: das ist die “Geldschöpfung”. Diese Kreativität muss von Weisheit gelenkt sein, sonst kann sie Unheil zeitigen. In den letzten Jahren hat sich aber das Geld in den verschiedensten konkreten, abstrakten und fiktiven Formen so sehr vermehrt und verflüchtigt, dass es unsteuerbar scheint und fast alle Lebensbereiche beherrschen kann. Die Industrie produziert massiv auf Pump und ihre Bilanzen zeigen den Einfluss der Banken. Viele Unternehmen zielen in ihrem Geschäft statt auf Nutzen auf Luxus und Spekulation. Wirtschaft und Politik verursachen schon lange Schäden an Umwelt, Gesellschaft und Menschenleben und werden überraschend mit den unkalkulierten Kosten konfrontiert. Es wirkt absurd, dass mitten im grössten bisher erreichten Wohlstand unter dem Diktat des Geldes Firmen die Beschäftigten entlassen und im Gesundheitswesen, in den sozialen Diensten, in der Bildung, der Kultur und der Rechtspflege am Wichtigsten gespart wird.

Die angeblichen Kürzungsgründe, Rationalisierungsnotwendigkeiten und Sachzwänge sind zu bestreiten. Gegen die Macht des Geldes, der Geldbesitzenden und der vom Geld Besessenen gibt es persönlichen und politischen Widerstand. Wir brauchen Werte, die sich mit Geld nicht messen lassen. Geld ist nur ein Mittel von vielen, solche Werte zu schaffen und zu erhalten. Menschliches Wollen, Denken und Handeln sind dafür viel wichtiger.

> Jürgen Habermas, “Rettet die Würde der Demokratie”: zum Vorschlag einer Volksabstimmung in Griechenland in der Euro-Krise (Frankfurter Allgemeine Zeitung 4.11.2011)

> GLS Bank: “Geld ist für die Menschen da!”
> UmweltBank
> Triodos Bank: “Nachhaltigkeitsbank”

> Tauschringe
> Regiogeld

maximil

[Dazu:
Fällige Kritik des Wachstumsdenkens
Fortschritt?]

Themen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

0 Kommentare bis jetzt ↓

  • Dieser wäre der erste.

Kommentar