Als die ersten Filme mit Ton gedreht wurden, um das Jahr 1928, bekamen die bisher stummen Schauspieler und Darstellerinnen auf einmal eine Stimme. Das Publikum war oft überrascht. Viele im Kino hatten sich bei der früheren Pantomime derer, die sie kannten, andere Stimmen vorgestellt. Für manche der Schauspielenden wurde es schwierig, auch sprachlich zu überzeugen. Einige gewannen mit ihrer Stimme mehr Ausdruckskraft, Charme oder Faszination. Wenn die Filme allerdings seither in weiteren Sprachen gezeigt und dafür synchronisiert werden, können die Produktionsfirmen die vermeintlich passenden Stimmen wählen.
Bei der Aufnahme der alten, analogen Filme wurden die Stimmen, Geräusche und Musik ähnlich wie die Bilder fotografiert: Zunächst in elektrische Schwingungen umgewandelt, veränderten sie in der Tonkamera das Licht einer Lampe, das dann eine Zackenschrift auf den Filmstreifen zeichnete. Die Stimme wurde sichtbar. Das war das Lichtton-Verfahren.
Der Tonfilm konnte das Bild und die Stimme eines Menschen wieder zusammenfügen. Wie stumme Bilder schon seit Jahrtausenden Portraits von Persönlichkeiten über Entfernungen und Zeiten weitergeben, übertragen neuere Kommunikationsmittel umgekehrt unsichtbare, körperlose Stimmen: das Telefon, die Schallplatte, das Radio. Diese Stimmen regen noch mehr zu Vermutungen über die Personen an, die damit Zeichen geben, und öffnen weite Räume der Fantasie.
Roberto Benigni als Ivo Salvini in dem Film “La voce della Luna - Die Stimme des Mondes” von Federico Fellini, 1990: “Ihr habt es auch gehört - sie rufen mich, sie haben mich gerufen …”
Wer die eigene Stimme von einem Gerät aufzeichnen lässt und sie dann hört, empfindet sie erst als fremd. Der akustische Spiegel macht besonders deutlich, dass wir uns anders wahrnehmen, als wir auf unsere Mitmenschen wirken. Aus dieser Erkenntnis kann folgen, sich selbst aufmerksam und kritisch zu betrachten, anschliessend bewusster zu handeln und zu sprechen, insgesamt mit Gespräch und Empathie das Selbstbild und das Bild, das den anderen geboten wird, übereinstimmender zu gestalten.
Die Art des Sprechens ist wichtig dafür, wie jemand verstanden wird, welcher Eindruck vom Charakter und wie viel spontane Sympathie entstehen, wie weit Ziele zu erreichen sind. Deshalb ist es ratsam, die Stimme zu üben. Sie kann angespannt klingen oder locker, rau oder weich, zu hoch oder zu tief, zu laut oder zu leise, gehetzt oder träge, hell oder dunkel, nuschelig oder deutlich, brüchig oder fest, schneidend oder einschmeichelnd, tonlos oder klangvoll, monoton oder melodisch. In der Stimme kommen Emotionen zum Ausdruck, bis hin zum Lachen und Weinen.
Mit genau artikulierten Lauten, gezielt betonten Worten, geeigneten Pausen und Rhythmen wird das Sprechen zur Rede, zum Argument und zur Mitteilung. Vorausgesetzt sind Gedanken, die in treffende Aussagen geformt sind, mit der richtigen Wortwahl, klaren Sätzen und Aufmerksamkeit für das zuhörende Gegenüber. Manche hören sich gern reden und merken nicht, dass sie nerven … Eine angenehme Stimme, achtsames Sprechen und soziales Reden werden am besten schon im Kindesalter entwickelt.
Der Atem trägt die Stimme. Er bringt dem Organismus die Luft zum Leben, das ihn mit Lauten, Gesang, Botschaften wieder aussendet. Für gutes Sprechen und Singen setzt die Stimmbildung beim Atmen an.
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Der geschriebene Text liegt ruhig da. Manchmal flimmert er auf dem weissen Grund. Wie mit dem Finger in den Sand gezeichnet. Wind kommt auf … Atem. Behauche die Schrift, damit sie hält. Lies sie vor, solange sie da ist. Durch die Stimme wird daraus deine Geschichte. Du gibst sie wieder, vernehmlich, klangvoll. Schall und Rauch? Die gesprochenen Worte scheinen dahinzugehen und zu verschwinden. Diffuse Energie, Welle auf dem Ozean. Aber durch sie bist du gewachsen. Jemand hört zu und ist bewegt.
Claire Destinée
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Klangreiche, intensive oder dramatische Texte, gleich ob mündlich oder schriftlich übermittelt, verführen dazu, sie selbst zu sprechen, im Fall von Liedern zu singen, sie sich zu eigen zu machen und dabei die eigene Stimme zu fördern. Das geht beim Weitererzählen von Geschichten so, beim Lautlesen sprachstarker Passagen, beim Vorlesen und Rezitieren. Im Nachsprechen und Wiederholen religiöser Worte, Formeln und Texte können Menschen ihr Empfinden der Welt und des Daseins verändern, vertiefen oder steigern.
Die Stimme der Götter ist immer wieder durch Propheten, Heilige und Prediger hörbar geworden. Dabei entsprang das, was verkündet wurde, oft einem beschränkten menschlichen Verstand, und geistliche Führer sprachen wie weltliche Herren in eigenem Interesse. Die fernübertragene Stimme, die technisch möglich geworden ist und eine breite Öffentlichkeit erreichen kann, hatte anfangs etwas Magisches, und Mächtige konnten durch sie wie Götter wirken. Moderne Diktatoren nutzten Rundfunk und Lautsprecher für totale Macht: Die deutschen Nationalsozialisten brauchten für ihre Reden bei Massenveranstaltungen auf weiten Plätzen und in grossen Hallen die Beschallungsanlagen, um bis in die hintersten Reihen zu dringen und noch die Letzten anzusprechen, und sie verwendeten die “Volksempfänger”, um mit ihrer Propaganda auch in den Wohnungen präsent zu sein, wo die ganze Familie zuhörte.
In der Demokratie, wie sie danach neu entstand, kommt das Volk zu Wort, die Bürgerinnen und Bürger haben die Meinungsfreiheit und das Stimmrecht. Aber ihre Wahlstimme ist wenig aussagekräftig. Beim Wahlakt nennt sie meistens nur einen Parteinamen, gelegentlich noch Namen von Personen. Davor und danach ist sie für Jahre stumm, ohne an politischen Entscheidungen mitwirken zu können.
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Demokratische Resonanz bedeutet, dass die eigene Stimme im politischen Konzert zur Geltung gebracht werden kann, dass sie sich mit den anderen Stimmen vereinigt und dass sie auf einen Widerhall stößt, der oft genug auch ein scharfer Widerspruch sein kann, dass sie Folgen hat. Die Politikverdrossenheit, welche die Menschen auf die Straße oder auch zur AfD treibt, hat ihre Wurzel darin, dass die Bürger den Eindruck haben, ihre Stimme bleibe ungehört, sie finde keine Resonanz. (…) Die Stimme des Bürgers wird in der Wahlkabine „abgegeben“ und scheint dann verloren. Anders als in der etwa von Jürgen Habermas konzipierten Sphäre der Öffentlichkeit, in der sie sich als Stimme der Vernunft hörbar macht, oder in der politisierten Kultur der Nach-1968er-Jahre, als sie sich im Protestlied der Rebellierenden und in der Rockmusik wirkmächtig und fühlbar zu artikulieren verstand, wird die Stimme des Bürgers in der spätmodernen Welt vornehmlich in zwei Formen vernehmbar, die schon Entfremdung signalisieren: im Protestschrei der Wutbürger, der Widerhall sucht und dabei Repulsion, feindliche Ablehnung, zum Ausdruck bringt, und im medial erzeugten und verbreiteten (zynischen) Gelächter, das die diesseits und jenseits des Atlantiks so ungemein erfolgreichen politischen Comedy-Shows wie die „Heute-Show“ oder „Die Anstalt“ erzeugen und verbreiten. Der spätmoderne Bürger lacht aus Verzweiflung über eine Politik, die ihr nicht mehr antwortet, die ihr nichts zu sagen hat. (…) Das schließt indessen nicht aus, dass der in allen genannten Bewegungen hörbare Schrei nach Antwort den Beginn eines neuen politischen Zeitalters markieren könnte, das sich aufmacht, in der spätmodernen Welt angemessene Resonanzinstitutionen zu suchen und zu finden.
Hartmut Rosa, “Fremd im eigenen Land?”, Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.4.2015
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Dass Meinungen in verschiedener Form geäussert werden, ist zwar bedeutsam für die Diskussion und die Suche nach Lösungen, jedoch nehmen die Regierenden davon derzeit nur das auf, was ihnen zusagt. Die Stimme der Menschen in den Angelegenheiten der Gesellschaft wird erst dann vollwertig, wenn es bei allen wichtigen Themen regelmässige Beteiligung und gültige Abstimmungen gibt.
Matthias Kunstmann / maximil
> Phonorama - Ausstellung zum Medium Stimme, Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe 2004/2005
> Andra Joeckle, “O Stimmcoach, hilf! Ein vokaler Selbstversuch”, Deutschlandradio Kultur 21.11.2015
[Dazu:
Demokratie und was dran ist
Alle gewinnen mit Empathie]
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