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Gespräch über Grenzen

30. Juni 2016

Wenn ein Land seine Grenze deutlich machen will wie Großbritannien in der Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Europa, lässt sich das verstehen. In diesem Fall liegt die Trennlinie nach wie vor im Wasser und verschwimmt – was sich ändern soll, ist noch nicht entschieden. Aber Grenzen haben immer zwei Seiten, und sie sind wichtig.

Andere Lebewesen kennen ihre Grenzen besser als Menschen. Die neigen dazu, persönlich, politisch, ökonomisch zu missachten, was sie als Hindernis oder Beschränkung empfinden, und richten damit Schaden an, bei sich selbst und der Mitwelt. Für Kinder ist es natürlich, von Grenzen erst einmal nichts zu wissen, und die Erwachsenen haben die Aufgabe, sie ihnen zu erklären. Manche der Älteren gehen in der Arbeit über Leistungsgrenzen und brauchen dann Therapie. Im Sozialen und Zwischenmenschlichen ist Grenzüberschreitung ein Fehlverhalten.

Grenzen sprengen ist gewalttätig und Grenzen verschieben oder erweitern kann, wenn es nicht einvernehmlich geschieht, Betrug sein. In der Geschichte haben Länder ihre Grenzen durch Eroberung, Besetzung und Kolonisierung erweitert, auf Kosten der Besiegten und mit dramatischen Konsequenzen bis heute. Für die Wirtschaft haben Fachleute schon lang „Grenzen des Wachstums“ aufgezeigt, und nachdem die roten Linien inzwischen überschritten sind, hat die Menschheit unter anderem unwiderruflich mit den Folgen des Klimawandels zu tun.

Ohne Grenzen gibt es keine Identität. Deshalb gelten sie selbstverständlich oder werden nach Bedürfnissen und Möglichkeiten definiert: Hier ist mein Eigenes oder das sind unsere Besonderheiten, und jenseits sind die Rechte der Anderen. Die europäische Kultur will die individuelle Persönlichkeit entwickeln, aber sie hat auch die expansive kapitalistische Wirtschaft erfunden, die weltweit das Besondere gleich macht und Lebensweisen vereinheitlicht. Das fordert dazu heraus, auf die eigenen Werte zu achten.

Die grossen Wirtschaftsunternehmen akzeptieren keine Grenzen. Dies zeigt sich in der Geschichte der Europäischen Union: Sie begann als „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“, und die Grenzen zwischen den Ländern wurden zuerst für das Kapital und den Warenverkehr aufgehoben und danach für die Menschen. Der Wettbewerb hat sich seither verschärft, regionale Unternehmen vernichtet und zu härteren Arbeitsbedingungen geführt. Konzerne und Regierungen vereinbaren darüber hinaus unter Ausschluss der Öffentlichkeit internationale Freihandelsabkommen mit weitreichenden Auswirkungen auf das Leben.

Das Gute der Union war, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg Frieden zwischen den europäischen Völkern gebracht hat – allerdings haben ihre Mitglieder später verstärkt Kriege ausserhalb betrieben, und gerade die alte Kolonialmacht Großbritannien stand mit Militäraktionen gegen Argentinien oder im Irak wiederholt an vorderster Front. Angesichts der Flüchtlinge, die auch wegen solcher Konflikte kommen, macht Europa seine Aussengrenzen zur Abwehr von Menschen dicht. Mauern und Zäune, die ausgrenzen, sind asozial, und als Zeichen von Feindschaft lösen sie Probleme nicht.

Die politischen Bewegungen, die sich in Europa für selbstbestimmtes Leben einsetzen, riskieren, dass die Wirtschaft weniger wächst oder zurückgeht. Damit zeigen die Beteiligten, was ihnen vorrangig ist. Vielen ist das offenbar gar nicht bewusst. Sie bekämpfen die Anderen, speziell die Fremden, statt das Eigene und die Gemeinschaft zu gestalten. Gespräche und Diskussionen, privat und organisiert im öffentlichen Raum, in den Ländern und über Grenzen hinweg, sollten das zu klären helfen. Und dann muss möglich sein, dass alle demokratisch entscheiden, wie sie leben wollen, für sich und zusammen.

maximil

[Dazu:
Fällige Kritik des Wachstumsdenkens
Wirtschaft ist nicht alles]

Themen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

1 Kommentar bis jetzt ↓

  • 1 Sylvie Natalicia // 5. Juli 2016, 11:33 Uhr

    Ich sage es so: Viele, die in Europa gegen andere, speziell die Fremden, kämpfen, erkennen nicht, wo sie stattdessen ansetzen müssten. Eher unbewusst zeigen sie es, indem sie riskieren, dass die Wirtschaft weniger wächst oder zurückgeht. Vorrangig ist, das Eigene und die Gemeinschaft zu gestalten. Das sollte in Gesprächen und Diskussionen deutlich werden, privat und organisiert im öffentlichen Raum, in den Ländern und über Grenzen hinweg. Dabei wird es gute Ideen geben und Wege, um sie versuchsweise wirklich werden zu lassen. Und dann muss möglich sein, dass alle demokratisch selbst bestimmen, wie sie für sich und zusammen leben wollen.

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