maximil-blog

maximil-blog

Fällige Kritik des Wachstumsdenkens

17. September 2010

Wenn Lebewesen wachsen, ist das wunderbar.  Ein Kind wächst: Es entwickelt sich, gewinnt Fähigkeiten, lernt. Weizen wächst, bis die Körner reif sind und von Menschen als Lebensmittel geerntet werden können. Da nutzt ein Lebewesen ein anderes für sein Wachstum. In der Natur gibt es Werden und Vergehen und neues Wachsen. Bei vielfachem Austausch findet immer wieder ein Ausgleich statt. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel, heisst es sprichwörtlich.

In der Wirtschaft und ihrer Politik soll es anders sein. Immer grösser, immer mehr, immer mächtiger, solche Ergebnisse werden gewünscht: grössere Unternehmen, grössere Einkaufszentren, grössere Kraftwerke, mehr Strassen, mehr Bildschirme, vor allem mehr Geld. Sobald ein Ziel erreicht wird, ist es schon überholt. Das Ganze läuft immer schneller ab. Wohin führt das?

Dieses Wachstum bringt Wohlstand, Gesundheit, Freiheit, Luxus - einerseits. Andererseits bringt es, wie wir wissen, Luftverschmutzung, abgeholzte Wälder, Ölpest, Allergien und andere Zivilisationskrankheiten, Stress und Leistungsdruck, Armutsfluchten, Sinnkrisen. Lebensgrundlagen gehen verloren. Die Wirtschaftsweise, die derart unweise Wachstum betreibt, hat offensichtlich eine katastrophale Bilanz und setzt dabei auch den erreichbaren Wohlstand aufs Spiel. Zudem ist bekannt, dass ab einem gewissen Standard Wohlstandszuwächse nicht mehr glücklicher machen. Trotzdem wird in der Politik weiter das Wirtschaftswachstum beschworen.

Nur mit ihm gebe es Arbeitsplätze und Einkommen, wird gesagt. Aber hohe Unternehmensgewinne ermöglichen erst, in Maschinen und Rechner zu investieren und damit Arbeitsstellen wegzurationalisieren. Neue Arbeitsplätze werden überwiegend zu schlechteren Bedingungen als zuvor angeboten. Zugleich fliessen Milliarden-Geldströme in Finanzgesellschaften und werden auf Kosten der Allgemeinheit verspekuliert.

Den Massen von neuen Konsum-Produkten mit entsprechendem Umweltverbrauch, aber oft ohne Zusatznutzen wird gern das qualitative Wachstum entgegengehalten. Effizienterer Rohstoffeinsatz, erneuerbare Energien, Digitalisierung, Medientechnik, mehr Dienstleistungen sollen für mehr Wohlstand sorgen und schädliche Folgen vermeiden. So richtig viele dieser Ansätze sind, es wird doch inzwischen deutlich: Sie wirken nicht wie erwartet und nötig, solange mit wirtschaftlichem Wachstum gerechnet wird. Ein-Liter-Autos für Milliarden Menschen brauchen eine aufwendige Verkehrsinfrastruktur, Rechner und Medien verbrauchen ebenfalls Material und Energie, Dienstleistungen treiben oft wieder einen hohen Verkehrsaufwand.

Es wird auf einen anderen Lebensstil ankommen. Wo materielle Bedürfnisse überbewertet worden sind, lassen sich wichtigere Werte entdecken. Menschliches Miteinander, freiwilliger sozialer Einsatz, Natur und Kultur erleben, Bildung - das macht eher zufrieden. Genuss ist nicht auf Reichtum angewiesen. Weniger kann mehr sein, nämlich wenn es besser ist.

Eine entsprechende Weise des Wirtschaftens richtet sich nicht auf Wachstum, sondern auf Gleichgewicht. Die Beziehungen und der Austausch zwischen den Beteiligten und mit der Natur sollen stimmen. Dynamik kommt dabei in Kreisläufen zum Zug.

Die Wachstums-Ideologie ist zu verabschieden - dann kann das, was uns wirklich guttut, wachsen.

> Niko Paech: Postwachstumsökonomie

> Denkwerk Zukunft

> “Wachstum bis zum Kollaps?” (Kontext-TV 6.6.2011)

Erich Fromm, “Haben oder Sein”, DTV 2005

maximil

[Dazu: Fortschritt?
Geld fehlt Wert
Was tun für gutes Leben?]

Themen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

1 Kommentar bis jetzt ↓

  • 1 anana nagorny // 17. September 2010, 01:28 Uhr

    Meine Wachstumsideologie ist die Sinneslust wuchern zu lassen - alles andere hat zur Zeit keine Konjunktur, da wir vielen Medienschlagzeilen nicht mehr trauen können. Also höre ich auf mein Bauchgefühl. Das sagt mir: Sei eine Verbreiterin von Lebensfreude, Sinneslust und Empathie für die Kreativen, die Freelancer, die Freien Journalisten, die furchtlosen Galeristen wie den Phill Leicht, den ich in Ladenburg kennenlernen konnte.., die innovativen Musikschaffenden, die keine Angst vor Nischen haben..
    Ja. Es gibt immer mehr Kulturpessimisten - da sollte ich alle Ecken und Nischen nach kreatürlichen und begeisternden Ideen absuchen.. Gesagt - getan.