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Nah dran und mitten drin - Leben in der Region

4. Juli 2014

Ich will wissen, wo dieses Hemd produziert worden ist, das im Textilgeschäft angeboten wird und mir gefällt: in was für einem Betrieb, unter welchen Bedingungen die Arbeiterinnen es genäht haben, wie die Pflanzen für den Stoff geerntet und zu Leinenfasern aufbereitet worden sind. Diese Äpfel, woher kommen sie, womit wurden sie behandelt, dass sie so glänzen? Hier die Tiefkühlpizza im Supermarkt, was ist da alles drin und drauf - vielleicht Palmfett von Plantagen, für die Tropenwald gerodet worden ist? Wurden die Eier, deren Verpackung einen urigen Bauernhof zeigt, von glücklichen Hühnern gelegt? Mich interessiert auch, welches Unternehmen die neue Waschmaschine verantwortet und wer mir so ein Gerät notfalls zuverlässig repariert. Der Strom kommt aus der Steckdose, aber vorher aus was für Energieanlagen? Eine andere Frage von vielen, die ich mir manchmal stelle: Welche Geschäfte macht meine Bank mit meinem Geld?

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Wir können nicht immer über alles informiert sein, aber Wissen ist doch angenehm. Es bedeutet im wirtschaftlichen Bereich: Die Auswahl fällt leichter, die Entscheidungen werden stimmiger, und ein Stück Welt lässt sich positiv beeinflussen.

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Vor 50 Jahren waren diese Angelegenheiten noch einfach und überschaubar. Es war normal, in Dörfern und kleinen Städten zu leben und sie wochenlang nicht zu verlassen. Was für den alltäglichen Bedarf gebraucht wurde, war da: Arbeitsplätze, eine Schule, mindestens eine Bäckerei, eine Metzgerei mit Milchverkauf, die von einer nahe gelegenen Molkerei beliefert wurde, eine Gärtnerei mit Gemüse und Obst, ein Geschäft für haltbare Lebensmittel sowie Reinigungsartikel, Werkzeug und andere Haushaltswaren, eine Schreinerei für Möbel nach Mass, eine Ziegelei für den Hausbau. Das Trinkwasser wurde auf dem Land für jedes Haus aus einem eigenen Brunnen gepumpt, von Hand oder oft schon mit Motor, und floss noch nicht über Kilometer durch Rohre einer zentralen Versorgung. Die wenigsten Menschen brauchten ein Auto, die Bauern, die ihre Kartoffeln und Eier auf dem Hof holen liessen oder unter die Leute brachten, hatten allerdings einen Traktor mit Anhänger und zusammen eine Dreschmaschine, und der Arzt aus der Stadt brauchte eines. Die Schulkinder haben das Lied von den fleissigen Handwerkern gelernt und mit der Lehrerin den Bäcker in der Backstube und den Schreiner in der Werkstatt besucht. Und das Dorf hatte noch einen eigenen Gemeinderat, um über seine Belange zu diskutieren und zu beschliessen.

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Ein solches Leben erscheint heute beschränkt. Wünsche nach so etwas sind aber immer wieder spürbar, nach einer Gegend, in der wir uns auskennen, in der wir Erinnernswertes erlebt haben, sodass sie uns vertraut ist - ein Ort, der uns Gemeinschaft schenkt, ein Land, in dem wir uns wohlfühlen. Deshalb ist es folgerichtig, dass wir uns auf die weiter oder neu vorhandenen Möglichkeiten, Ressourcen, Schätze gegebener Regionen besinnen, konkret auf das, was sich am Wohnort und in der Landschaft darum herum eröffnet.

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Ein Zugang sind die städtischen Wochenmärkte, auf denen Bäuerinnen und Bauern der Umgebung Lebensmittel anbieten. An den Ständen stehen ihre Adressen. Jedoch ist nicht alles auf ihren Höfen erzeugt: Sie kaufen oft im Grossmarkt zu, um ein rundes Sortiment vorweisen zu können, mit Früchten, die bei ihnen gerade nicht oder überhaupt nicht wachsen. Eigenes ist eventuell gekennzeichnet, wenn nicht, empfiehlt es sich zu fragen. Auch Supermärkte, speziell Biogeschäfte, bieten Regionales an. Da ist es eine Idee, bei einem Radausflug einen solchen Bauernhof einmal anzuschauen. Der hat häufig einen Hofladen mit Ware frisch vom Acker und aus dem Stall, mit Getreide, das zu Hause gemahlen aromatisches Vollkornmehl ergibt, mit getrockneten Hülsenfrüchten, mit Eiern und Milch von Tieren, die sich sehen lassen. In Weingegenden wird auf den Winzerhöfen das Genussmittel verkauft, das aus den Trauben als natürlichen Rohstoffen durch einen aufwendigen Weiterverarbeitungsprozess gewonnen wird. Wer sich interessiert, hat auf den Höfen des Weinbaus wie sonst der Landwirtschaft meistens die Gelegenheit zu weitreichenden Gesprächen. Übrigens liefern viele Betriebe ihre Erzeugnisse auch ins Haus.

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Es wird festzustellen sein, dass manche Lebensmittel kaum aus der Region zu bekommen sind. Butter, die sich eigentlich leicht von der Milch absahnen lässt, wird fast nur noch in den wenigen grossen Milchwerken hergestellt, die nach der Schliessung der vielen örtlichen Molkereien übrig geblieben sind. Auch Käsespezialitäten bereiten in weiten Gebieten nur verstreute Betriebe aus Milch der Nachbarschaft zu. Zucker ist ebenfalls ein stark zentralisierter Stoff, der nur zum Teil aus heimischen Rüben extrahiert wird. Dagegen ist Honig vielerorts von ansässigen Imkereien erhältlich. Bei Kaffee und Schwarz- oder Grüntee ist Europa ganz auf ferne Anbaugebiete angewiesen, diese anregenden Substanzen werden am besten aus fairem Handel bezogen; immerhin wird Rohkaffee hier wieder häufiger in lokalen Röstereien verfeinert.

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Wenn Wertschöpfungsketten in einer Region entstehen, zum Beispiel vom Dinkelgetreide anbauenden Betrieb zu einer nahen Mühle und von dort zu einer Bäckerei, die schliesslich ein gutes Landbrot aus dem Ofen zieht, dann nutzt das vielen: Arbeitsplätze werden erhalten, Einkommen werden gesichert, die Produzierenden kennen einander und haben kurze Wege, und wer ein solches Brot erwirbt, muss nicht an Fertigbackmischungen mit unverständlichen Zutaten denken. Vorteile ergeben sich nicht nur bei Nahrungsmitteln. Aus Wolle von Schafherden, die auf Magerwiesen weiden und damit die Pflanzenvielfalt dieser Lebensräume erhalten, fertigen Manufakturen schöne Jacken oder Mützen an. Es gibt noch einheimische Textilfabriken, deren Beschäftigte anständig behandelt werden. Und es gibt neben den Filialläden der Konzerne wieder kreative Schneidereien, Schuhateliers und Taschenwerkstätten … Handwerkerinnen und Handwerker können herstellen, einrichten, gestalten und nicht zuletzt defekte Dinge instandsetzen.

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Für Bauvorhaben ist zumindest Holz aus den Wäldern der Region verfügbar, die Sägewerke haben es für verschiedene Zwecke geeignet vorrätig. Sobald es um Steine geht, wird bei Nachforschungen deutlich, dass sie bis zum Baustoffhandel meist einen weiten Weg hinter sich haben; Natursteine werden aus China und Indien hertransportiert, damit stehen Häuser stilistisch eher zufällig in einer Landschaft, und wahrscheinlich mussten Kinder in den Steinbrüchen dafür schuften. Ein Gegenbeispiel: Die Nutzpflanze Hanf wächst hierzuland wieder vermehrt auf den Feldern, mit einer günstigen Ökobilanz, und aus ihr werden neben Textilien und Papier besonders Dämmelemente für den Hausbau hergestellt.

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Energie für das alles ist ganz nah zu bekommen: aus Sonne, Wind, Wasser … Es ist möglich, von den Energiekonzernen, den desaströsen Atom- und Kohlekraftwerken und von der untauglichen Politik unabhängig zu werden. In vielen Orten sind neue Stadtwerke für die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser in lokaler und regionaler Regie gegründet worden. Ökoenergieunternehmen werben genau mit “Regionalstrom”. Der klarste Fall sind Solarzellen auf dem eigenen Dach, ähnlich naheliegend ist ein Anteil an einer Gemeinschaftsanlage.

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Und was ist mit dem Geld und der Finanzwirtschaft? Da und dort ist “Regiogeld” unter verschiedenen Namen im Umlauf, mit nachvollziehbarem Nutzen für die Beteiligten, aber ansonsten bisher symbolisch. Regionale Banken sind die Sparkassen, sie finanzieren öffentliche Projekte und sind dem allgemeinen Wohl verpflichtet. Auch überregionale ethische Banken fördern Initiativen in der Nähe.

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Hier, wo ich zu Hause bin, kann ich suchen und finden, was mir zusagt: Treffpunkte, passende, verstehbare und wertvolle Leistungen, eine wohltuende Atmosphäre. Erlebte Natur und Kultur sind der Hintergrund für Begegnungen, Austausch und Zusammenwirken. Derart können wir an unserem Ort politisch mitgestalten, und zwar so, dass wir Ergebnisse sehen.

Matthias Kunstmann / maximil

> Regionalbewegung

[Dazu:
Der Platz in der Welt
Neue Nachbarschaft]

Themen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

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