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Neues demokratisches Glück

3. April 2020

Wie wir unsere Demokratie rechtzeitig erneuern und weiterentwickeln können

Die Demokratie ist in Gefahr. Es wird immer deutlicher, dass das demokratische Menschenrecht, also das freie und gemeinsame Gestalten des Zusammenlebens, schon demnächst in Deutschland wie in anderen Ländern nicht mehr gelten könnte. Deshalb ist es nicht mehr nur ein Wunsch, die bestehende, allerdings wenig zufriedenstellende Demokratie zu erneuern und weiterzuentwickeln – es ist dringend notwendig, damit sie nicht von Gewaltherrschaft zerstört wird.

Bedroht ist die Demokratie mehrfach. Da sind diejenigen, die von den Menschenrechten nichts halten und aggressiv eigene Vorstellungen durchsetzen wollen. Da sind viele, die von den immer vielfältigeren Zusammenhängen der Welt und der Politik überfordert sind, nicht kritisch denken können und schliesslich irgendwelchen Ansagen folgen. Da sind die wenigen, die schon die Macht haben und sie sich mit allen Mitteln noch bequemer und perfekter machen. Und da sind diejenigen, denen die vorhandene Demokratie wegen ihrer Mängel und ihrer Erstarrung gleichgültig ist, sodass sie sich nicht dafür einsetzen.

Diktatur statt Demokratie – obwohl Deutschland schlimmste Erfahrungen damit hat, bahnt sich wieder Ähnliches an. Die überraschenden Massnahmen und Pläne, die mit dem Gesundheitsschutz vor dem Corona-Virus begründet wurden, zeigen inzwischen eine Neigung zum chinesischen System.

Das deutsche Grundgesetz wurde gefeiert – es war ein demokratischer Fortschritt, aber darin war Entscheidendes immer schon nur Papier, und wer glaubt, es wäre nach sieben Jahrzehnten mit geringen Änderungen noch eine ausreichende Grundlage für das gesellschaftliche Leben, hat den Ernst der Lage nicht begriffen. In diesem Dokument war versprochen, die Bürgerinnen und Bürger könnten bei der Wiedervereinigung des Landes frei über die Verfassung ihres Staates bestimmen, aber die politische Elite hat vor dreissig Jahren wieder alles unter sich ausgemacht und ihre Herrschaft verfestigt, während ein grosser Teil des Volkes dies längst nicht mehr für demokratisch hielt.

Schon lang sind sehr viele Menschen im Land, im Westen und im Osten, nur noch ausnahmsweise einverstanden mit einem Staat, der angeblich alles zu ihrem Besten regelt, ohne dass sie dabei entscheidend mitbestimmen können. Spätestens seit der 1968er-Zeit sind in der BRD Mitbestimmung, Freiheit von Bevormundung und Herrschaft, demokratische Rechte in allen Bereichen zu selbstverständlichen Ansprüchen geworden. Mehr Mut brauchten die Menschen in der DDR, die Bürger- und Bürgerinnenrechte vertraten. In der Wendezeit konnten sich vorübergehend viele in Foren und an Runden Tischen versammeln, um über ihre Gesellschaft zu beraten. Im Bereich der Wirtschaft wurde erkannt, dass es vorteilhaft ist, wenn die Beschäftigten mit ihren Ideen und Vorschlägen in Entscheidungen einbezogen und die Hierarchien flacher sind. Für das Leben in einer komplizierten Zivilisation stellen die Menschen sich immer mehr darauf ein, über Verschiedenstes zu entscheiden und dies zu verantworten.

Dazu bietet die Politik, in der es doch um die Lebensbedingungen geht, bisher kaum Gelegenheit. In einzelnen Bundesländern wurden besonders für Städte und Gemeinden Abstimmungsrechte in Sachfragen eingeführt oder verbessert. Da und dort sind Bürgerbeteiligungsverfahren angesetzt worden, deren Ergebnisse teils nur anerkannt wurden, soweit sie die herrschende Politik bestätigten. Im Übrigen macht die Wirtschaft mit ihren Lobbys die Politik, und je mehr dies durch die Medien bekannt wird, desto unverschämter tritt diese Mafia von Banken, Konzernen und Beratungsorganisationen zusammen mit gewählten Politikern und Politikerinnen auf. Für die Bürger und Bürgerinnen gilt leider der Kalauer, dass sie alle vier oder fünf Jahre ihre Stimme abgeben dürfen und diese dann bis zum nächsten Mal nicht mehr haben.

Anspruch und Wirklichkeit der Demokratie in ihrer bestehenden Form gehen immer weiter auseinander. Verschärfend kommt hinzu, dass die demokratische Politik immer weniger imstande ist, Probleme sinnvoll zu lösen und auch nur ihre mindesten Aufgaben für die Allgemeinheit zu erfüllen. Parlamente und Regierungen erledigen die nötigste Arbeit nicht: Sie schützen die Bevölkerung nicht vor andauernd drohenden Gesundheitsschäden durch Verkehr, Kraftwerke und Industrie, vor Umweltverwüstung und Klimakatastrophe, sie antworten auf die Frage nach sozialer Gerechtigkeit mit minimalen Anpassungen, sie machen die Welt mit militärischer Gewalt unsicherer, sie verstehen nichts mehr von humaner Bildung. Wie sich die Lebensverhältnisse verändern, ist damit der Willkür der globalen Profitinteressen überlassen.

Diese Situation verunsichert vor allem diejenigen Menschen in Deutschland, die von der Geschichte her Herrschaft gewohnt sind und, vielleicht auch aus Resignation, noch eine Haltung von Untertanen gegenüber der Obrigkeit haben. Wie auch andere, die den Staat als mit ihren Steuern bezahlten Dienstleister betrachten, wollen sie von ihm versorgt und geschützt werden. Und wenn dies nicht angemessen geschieht, haben sie üblicherweise gejammert, aber seit einiger Zeit reagieren sie unter dem Einfluss nationalistischer Propaganda zunehmend mit Wut. Es kommt darauf an, dass die demokratisch Gesinnten im Land diesen faschistischen Bestrebungen die Gründe entziehen.

Es ist Zeit für eine neue Demokratie, mit der wir alle das Zusammenleben optimal regeln können. Diese Demokratie muss anders sein als das, was wir in Deutschland und anderswo gewohnt sind. Sie sollte sich an der höchstentwickelten Demokratie der Welt im Nachbarland Schweiz orientieren. Dort wird immer wieder festgestellt, dass die Menschen durch ihre demokratischen Rechte und deren gute Ergebnisse glücklicher sind. Eine solche Demokratie entspricht den Bedürfnissen viel besser. Mit ihr können wir unsere Welt zufriedenstellend gestalten.

Diese Grundsätze und erneuernden Folgerungen sind entscheidend wichtig für unser demokratisches Leben:

Alle Menschen können sich beteiligen. In sämtlichen Bereichen der Gesellschaft versammeln sich, wenn es einen Wunsch nach Änderung oder Gestaltung gibt, besondere Räte. In ihnen können alle, die es betrifft, miteinander beraten und Lösungen entwerfen. Bei staatlichen oder kommunalen Planungen geschieht dies regelmässig und sonst aufgrund einer Zahl von Unterschriften. Es besteht ein gesetzliches Recht auf diese Räte. Sie sind beispielsweise auch in Schulen (als Versammlung von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern) oder für das Gesundheitswesen eines Landkreises (als Versammlung von medizinischem, pflegerischem und sonstigem Personal, Patientinnen und Patienten sowie anderen Interessierten) möglich. Die zuständige Verwaltung organisiert die Räte nach bestimmten Verfahren, stellt die vorhandenen Informationen bereit und erklärt die bisherigen Planungen. Die Räte einigen sich schliesslich auf Ziele und Einzelheiten. Entweder übernehmen die Verwaltung und das zuständige gewählte Parlament (Gemeinderat, Landtag, Bundestag und andere entsprechende Gremien) dann den Beschluss oder es findet (auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene oder in einer Organisation) eine allgemeine Abstimmung statt.

Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden. Sie beschliessen in allgemeinen Abstimmungen über Grundfragen und strittige Einzelthemen der Politik. Eine solche Abstimmung (Bürgerentscheid, Volksentscheid und Entsprechendes) findet statt, wenn ein Antrag (Bürgerbegehren, Volksbegehren) eine bestimmte Zahl von Unterschriften erreicht hat und nicht unmittelbar von der Verwaltung oder dem Parlament angenommen wird; ebenso wenn der Beschluss eines Beteiligungsrats nicht angenommen wird; sowie immer wenn das Parlament bestimmte wichtige Beschlüsse gefasst hat, insbesondere bei Verfassungsänderungen. Zuvor gibt es umfassende Informationen und ausreichend Zeit für den Meinungsaustausch. Das mehrheitliche Ergebnis der Abstimmung gilt unbedingt, nur eine neue Abstimmung kann es ändern.

Die Parlamente beschliessen im Einvernehmen mit den Bürgerinnen und Bürgern. Die gewählten Abgeordneten in den Parlamenten haben die Aufgabe, die Interessen der Menschen in einer Gemeinde, einem Landkreis, einem Bundesland oder der Republik zu vertreten, Lösungen für das Allgemeinwohl zu vereinbaren und vorausschauend zu planen. Die Bevölkerung wird regelmässig mit Räten und Gesprächsforen einbezogen. Dabei werden gesellschaftliche Einzelinteressen (durch Lobbys) transparent und nach Regeln eingebracht. Gegebenenfalls entscheiden Volksabstimmungen.
Die Bürgerinnen und Bürger ab dem Alter von 14 Jahren wählen die Abgeordneten nach jeweils höchstens vier Jahren gemäss einem Verhältnisverfahren, sodass sich die Vielfalt des politischen Willens in der Gesellschaft möglichst genau im Parlament abbildet. Damit nahe Beziehungen zwischen dem Volk und seinen Abgeordneten bestehen, bestimmt es die meisten von ihnen direkt in Wahlkreisen und nur einen kleinen Teil über Parteilisten. In den Wahlkreisen muss jede Partei mindestens zwei Kandidierende anbieten, und es können Abgeordnete mehrerer Parteien gewählt werden. Eine Sperrklausel gibt es nicht, damit die Stimmen für kleine Parteien und Wahlvereinigungen gleichermassen zählen.
Die Parlamente müssen ohne ein Regierungsbündnis arbeiten können, das heisst mit wechselnden Mehrheiten. Dazu werden Beratungs- und Entscheidungsverfahren genutzt, die auch bei vielen widersprüchlichen Interessen nach bestimmten Kriterien zu einem optimalen Ergebnis führen, sodass die einzelnen Ansprüche angemessen und jeweils möglichst weitgehend befriedigt sind. Die Abgeordneten müssen sich an das Wahlprogramm ihrer Partei halten und stimmen offen ab. Alle Tätigkeiten und Dokumente der Parlamente sind öffentlich.

Die Regierungen leiten die volksnahe Verwaltung. Regierungen sollen in der Demokratie nicht mehr massgeblich für Entscheidungen sein. Besonders die Befugnisse der Regierungschefin oder des Regierungschefs (ebenso in den Gemeinden der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters) werden stark reduziert. Eine Person kann und darf nicht die ganze politische Verantwortung tragen. Die Regierung führt mit der Verwaltung Beschlüsse aus, die durch Abstimmungen des Parlaments oder des Volkes zustande gekommen sind, und vertritt den Staat, das Land oder die Gemeinde nach aussen. Sie kann aus Fachleuten auch ohne Parteizugehörigkeit gebildet sein. Grundsätzlich ist sie nicht mit einer festen Mehrheit im Parlament verbunden. Damit wird auch dem Prinzip der Gewaltenteilung entsprochen. Statt eines Staatsoberhaupts gibt es, mit grossteils den gleichen Aufgaben wie bisher für die Bundespräsidentschaft, aber mit einer anderen Stellung, das Amt der oder des Volksbeauftragten.

Diskutieren wir darüber!

Matthias Kunstmann

> Mitentscheiden: Anspruch wird Wirklichkeit
Beitrag zur Debatte beim Berlin Institut für Partizipation

> Bürgerrat Demokratie
> Mehr Demokratie e. V.

[Dazu:
Wir regieren uns selbst am besten!
Die Menschenwürde gilt für alle
Alle gestalten mit - so geht Demokratie
Demokratie und was dran ist
Einsatz für demokratisches Zusammenleben]

Themen: Allgemein · Politik

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