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Werte bilden Persönlichkeiten und Kulturen

24. Mai 2022

In den letzten Jahren war auffällig, dass viele Menschen, im privaten Umkreis und in der Öffentlichkeit, ihre Meinung geändert haben. Auf einmal hatten sie ganz andere Standpunkte als zuvor und waren kaum wiederzuerkennen. Der Wechsel erfolgte meistens nicht aus Vernunft, vielmehr aus Gefühlen, ausgelöst durch die Corona-Krise und dann den Ukraine-Krieg. Schon seit einiger Zeit wurde eine tiefere Ursache für solche krassen Persönlichkeitsveränderungen bemerkbar. Ein Verlust – etwas, das lange für wichtig gehalten worden war, ist grossenteils verschwunden: Werte.

Es gibt Werte, von denen weiter gesprochen wird, auch mehr als früher: Temperaturwerte, Aktienwerte, Umfragewerte … Bei zunehmender Geldentwertung investiert in Wertanlagen wie Fonds, Immobilien oder Kunst, wer es sich leisten kann. Damit die Menschheit ihre immer drängenderen Probleme bewältigt, braucht sie aber nicht materielle Sicherungen, sondern geistige Werte, die ihr Halt geben und die Richtung sowie die Mittel zeigen.

Diese Werte gehen aus den Regeln hervor, die jede Gemeinschaft oder Gesellschaft für ihr Überleben benötigt. Rücksicht und gegenseitiger Respekt sind grundlegend. Üblicherweise, so war es in der Geschichte, werden die Werte und Verhaltensweisen bewusst, über sie wird gesprochen, sie werden weitergedacht und ausgestaltet. So helfen sie den Einzelnen und der Gesamtheit, gut zu leben. Werte bilden Persönlichkeiten und Kulturen.

In der Debatte um die „politische Korrektheit“ ist das Verschwinden der Werte deutlich geworden. Die Hinweise für ein „korrektes“, besseres zwischenmenschliches Verhalten sind grundsätzlich berechtigt. Ob sie jeweils sinnvoll sind, kann diskutiert werden, viele Äusserungen auch von Prominenten dazu waren jedoch respektlos und diskriminierend. Leute, die früher fortschrittlich dachten und das Anliegen mitvertraten, wollten davon nichts mehr wissen.

Inzwischen haben Eliten, die einmal Werte hochgehalten hatten, den Worten den Sinn genommen und ihn ins Gegenteil verkehrt, um damit propagandistisch Macht zu gewinnen. Vorsicht! Deshalb wird hier richtiggestellt:

Frieden ist nicht Aufrüstung und nicht militärische Sicherheitspolitik, ihm dienen nicht Truppenstützpunkte, Raketenstellungen und Manöver an der Grenze eines Nachbarlandes, er wird nicht erreicht mit angeblichen Verteidigungsbündnissen zwischen einer Grossmacht und anderen Staaten oder mit Waffenlieferungen, er verträgt keine Feindbilder.
Frieden ist respektvolles Gespräch, bemüht sich um Verständnis, bewährt sich in Austausch und Handel miteinander, verwendet zur Bearbeitung von Konflikten hochentwickelte zivile Kompetenzen und Methoden, pflegt die Zusammenarbeit.

> Ziviler Friedensdienst

Solidarität macht nicht Druck zur Anpassung oder Gleichschaltung, ist nicht Zwang zum Verlust von Grundrechten (wie bei der Impfpflicht), setzt nicht Interessen von Herrschenden durch, verfolgt nicht sinnlose Ziele.
Solidarität ist freiwillig und für alle Beteiligten nützlich, vertritt gemeinsame Interessen, wirkt sich in gegenseitiger Hilfe und Unterstützung aus, respektiert Unterschiede und andere Ansichten, trifft Entscheidungen mit allen.

Freiheit beweist sich nicht in Vorteilen von Mächtigen und Reichen, geht nicht zulasten anderer, wird nicht für Unterordnung aufgegeben, steht staatlichen oder wirtschaftlichen Kontroll- und Sicherheitsstrukturen entgegen, ist nicht verantwortungslos.
Freiheit ist für alle da, verhält sich tolerant, sucht die Gemeinsamkeit, bringt Mut auf, zeigt sich schöpferisch, teilt das Erreichte mit.

Demokratie vollzieht sich nicht in seltenen Wahlen, nach denen Parteien und Lobbys tun, was sie wollen, sie bedeutet nicht Ohnmacht von Bürgerinnen und Bürgern, lässt kein Versagen der Politik vor angeblichen Sachzwängen zu, versäumt nicht zeitgemässe Reformen ihrer selbst.
Demokratie beteiligt alle, berät über alle Probleme in geeigneter Form, lässt bei Bedarf alle über konkrete Angelegenheiten mitentscheiden, ermöglicht neue Lösungen, motiviert für gemeinsame Aufgaben.

Gerechtigkeit heisst nicht, dass sie nur durch Leistung zu bekommen ist, sie duldet nicht immer grössere Unterschiede zwischen Armen und Reichen, sie ist nicht vorhanden, wenn Arbeit für Menschen weniger wert ist als Arbeit für Waren.
Gerechtigkeit ist Ausgleich von Nachteilen, lässt niemanden zurück, schafft gleiche Chancen für alle, bringt Menschen zusammen, fördert den Einsatz für die Gemeinschaft.

Wahrheit ist oft nicht das, was die Mehrheit sagt oder die grossen Medien verkünden oder politisch Aktive behaupten, und auch nicht unbedingt das, was die Wissenschaft darstellt, Wahrheit ist nicht ideologisch oder dogmatisch und schon gar nicht fanatisch.
Wahrheit erweist sich durch Kritik und Selbstkritik, sie wird oft nur oder zuerst von Einzelnen und kleinen Gruppen erkannt, kann auch persönlich und subjektiv bleiben, kann sich ändern und gibt immer wieder Anlass zu friedlichen Gesprächen.

Verantwortung besteht nicht darin, Macht auszuüben, sich auf Zwänge zu berufen oder andere verantwortlich zu machen, sie heisst nicht, sich nur zu ärgern, und auch nicht, allein zurechtkommen zu müssen, sie wird nicht von denjenigen wahrgenommen, die nicht aus der Vergangenheit lernen, und nicht von denjenigen, die nicht auf die Auswirkungen ihres Handeln achten.
Verantwortung beweist sich darin, Macht abzugeben und möglichst viele an Entscheidungen zu beteiligen, sie bedeutet, sich einzusetzen, und wird auch für andere getragen, und sie wird wahrgenommen durch sozial, ökologisch und kulturell nachhaltiges Handeln.

Matthias Kunstmann / maximil

Erste Kommentare …:

„Wenn du Frieden willst, bereite den Frieden vor; wer Krieg vorbereitet, wird Krieg bekommen.“
Franz Alt

„Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.“
Ernesto Cardenal

„Erziehung zur Wahrheit heisst, die Fähigkeit zu vermitteln, selbst nach dem suchen zu können, was ich persönlich als wahr empfinde, und mir keine angebliche Wahrheit vorschreiben zu lassen und andererseits dem Mitmenschen nicht meine Wahrheit aufzwingen zu wollen.“
Hans A. Pestalozzi

„Sorgt doch, dass ihr, die Welt verlassend, nicht nur gut wart, sondern verlasst eine gute Welt!“
Bertolt Brecht

> „Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum“: Offener Brief an den deutschen Bundeskanzler, 29.4.2022

[Dazu:
Wirksamer Einsatz für Demokratie und Menschenrechte
Was ist das Freisein wert?
Neues demokratisches Glück
Zahlengläubig
Wozu Wissenschaft nützt]

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Politik

Nicht viel, sondern das Richtige

23. März 2022

Viel hilft viel, wird gesagt. Viel Hilfe brauchen die Menschen, die aus Syrien, dem Jemen, der Ukraine fliehen, aus kriegszerstörten Häusern. Wenn eine friedliche Politik den Krieg verhindert hätte – rechtzeitig –, wäre keine Hilfe nötig. Stattdessen werden viele Waffen in die Ukraine geliefert, sodass der Krieg länger geht, mehr Menschen sterben, mehr Häuser zerstört werden und viel mehr Überlebende fliehen. Viel hilft viel?

Das Falsche hilft nicht. Auf Qualität kommt es an.

Bei den Lebensmitteln: Zu viel macht übergewichtig, das Richtige macht gesund.

Der übliche Fortschritt ist aber, dass immer mehr produziert wird, mehr Rohstoffe verschwendet werden, mehr grünes Land betoniert wird, mehr Müll verteilt wird, mehr Geld aufgehäuft wird – besinnungslos. Viel zerstört viel.

Grösse kann beeindrucken, jedoch ist sie meistens nur ein Effekt. Bekannt ist das von den digitalen Maschinen: Was früher grosse Kästen leisteten, übertrifft längst ein Teil so klein wie eine Münze.

Gegen Armut und Hunger in vielen Ländern sind grosse Industriebetriebe und Landwirtschaft mit riesigen Plantagen kontraproduktiv. Überschaubare Werkstätten und Ackerbau von Familien oder Genossenschaften geben dagegen den Menschen das, was sie brauchen, neben Lebensmitteln und Wohlstand auch Eigenständigkeit, nachhaltiges Wissen und Zufriedenheit.

Wer sich mit homöopathischen Mitteln wohlbefindet, hat es im Gefühl, dass nicht die grosse Menge heilsam ist – der richtige Stoff wirkt in minimaler Verdünnung, konzentriert. Die angeblich „evidenzbasierte“ Medizin ignoriert das. Jedoch ist bei jedem Medikament die Dosis entscheidend. Das wusste schon der Arzt und Naturforscher Paracelsus vor Hunderten Jahren. Die Menge muss stimmen – zu viel ist Gift. Nebenwirkungen von Arzneimitteln durch unzutreffende Auswahl, zu hohen Verbrauch, Kombinationsfolgen schädigen in Deutschland jedes Jahr wahrscheinlich eine halbe Million Menschen, davon Zehntausende tödlich.

Die Heilkundigen der Osteopathie brauchen einen Menschen nur leicht zu berühren und die Schmerzen sind gelindert.

Um einen Vorschlag abzulehnen, wird oft gesagt, er sei nur ein Placebo. Dabei ist nicht verstanden, dass Placebos, also Mittel ohne bestimmte Inhaltsstoffe, medizinisch wirksam sind. Obwohl das nachgewiesen ist, will das eingeschränkte naturwissenschaftliche Denken es nicht anerkennen. Die Psychosomatik, die Wissenschaft von der körperlich-seelischen Einheit und ihren Zusammenhängen, wird nicht so ernst genommen, wie es hilfreich wäre.

Matthias Kunstmann / maximil
Foto: Elina Mark, Lizenz: CC BY-SA 3.0

[Dazu:
Zahlengläubig]

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

Wissen, hoffen, wirken

5. Januar 2022

»Vielleicht ist das der Unterschied zwischen dem Wissenschaftler und dem Journalisten. Ich frage mich weniger, welche Zukunft man hat oder erduldet. Ich frage mich, welche Zukunft wir haben wollen und wie wir darauf hinleben und hinarbeiten. Dafür bin ich Journalist. Und wenn ich nicht Hoffnung hätte, könnte ich nicht mehr schreiben.«

Heribert Prantl

2021/2022

[Dazu:
Wozu Wissenschaft nützt
Die Menschenwürde gilt für alle]

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Was ist das Freisein wert?

22. November 2021

Ist Freisein gut? Oder gefährlich? Wie fühlt sich das an?

Freihaben ist meistens angenehm: selbst über die freie Zeit verfügen können, ich kann entscheiden, was ich tue oder lasse, habe keinen Stress - oder doch Freizeitstress, mit der Familie, Nachbarn, mit selbst gesetzten Terminen …

Unfrei sein wollen wir jedenfalls nicht, nicht festgehalten werden, nicht gehorchen müssen, schon gar nicht gefangen sein. Aber - manchmal ist es bequem, nicht entscheiden zu müssen, nicht planen und etwas verantworten, sondern einfach mitmachen können …

Freiheit war ein grosses Versprechen: keiner Herrschaft mehr unterworfen sein, keinen Zwang erdulden müssen, keine Schikanen erleiden - die eigene Meinung sagen dürfen, über sich selbst bestimmen, für sich und andere etwas unternehmen und Ideen verwirklichen. Dafür wurden Revolutionen gemacht. Daraus sind die Menschenrechte entstanden. Diese Rechte sind allerdings bisher nur zum Teil in Kraft und sie sind nicht selbstverständlich.

Freiheit ist eine Aufgabe, also nicht so einfach. Sie erfordert eigenständiges Denken, bewussten Einsatz und eine Verständigung mit den Mitmenschen, die ebenso frei sind. Jeder und jede ist verantwortlich für Worte und Handlungen. Der Aufwand lohnt sich immer wieder für alle.

Aber inzwischen sieht es so aus, als wollten viele nicht mehr frei sein. Sie wünschen Massnahmen, Einschränkungen, eine durchgreifende Politik. So wurden Abstände zwischen Menschen vorgeschrieben, Kontakte untersagt, Versammlungen und Veranstaltungen verboten. Es kam zu Ausgangssperren, Maskenpflicht, Schliessungen von Schulen und Unternehmen. Der deutsche Bundestag hat sogar zeitweilig sein demokratisches Recht abgegeben. Bis dahin war dergleichen  nur aus Diktaturen bekannt. Dabei wird jetzt besonders die Minderheit unter Druck gesetzt, die ihre Menschenrechte bewahren will. Was geschieht hier?

Gesundheit und Leben sind bedroht. Das ist nichts Neues, infolge gewisser Ursachen hat sich jedoch das Schutzinteresse auf ein Virus fokussiert. Zu diesen Ursachen gehört: Die Krankenhäuser wurden seit Jahren teils zusammengespart, teils als Profitunternehmen organisiert. Arbeitsbedingungen in sozialen und pflegerischen Berufen sind unzumutbar geworden. Die Politik hat für eine Pandemie nicht vorgesorgt. Viele Menschen sind durch technische Schadstoffe in der Atemluft, im Trinkwasser und in Lebensmitteln anfällig für folgenschwere Infektionen. Die globalisierte Mobilität verbreitet Erreger in kürzester Zeit. Corona steht für eine Reihe von Menschen erzeugter und nicht gelöster Probleme. Dem gegenüber zeigt sich ein gesteigertes Bedürfnis der Sicherheit.

Angst macht unfrei. Richtig wäre, die Probleme vernünftig anzugehen, statt Möglichkeiten des freien Lebens zu beseitigen. Wir sind so frei, Krisen zu bewältigen!

Infrage gestellt ist die persönliche Freiheit schon genug. Der eigenen steht nicht nur die der anderen entgegen, Freiheit wird auch mehr oder weniger von den Regeln beschränkt, die zum Wohl der Gemeinschaft gelten. Gesellschaftliche Normen bedeuten, dass wir entweder uns anpassen oder grössere Nachteile riskieren, etwa beim Verhalten in der Schule und im Beruf. Das gängige Nutzen- und Effizienzdenken vereinheitlicht zwangsläufig individuelle Denkweisen und Tätigkeiten. Darüber hinaus versuchen Einzelne und Gruppen, ihre Freiheit zulasten von anderen auszudehnen. Macht aufgrund von Kapital, Position, Wissen, Medien oder nur aus Gewohnheit missachtet die Freiheit vieler. Gegen diese Übergriffe und auch gegen vermeintliche Sachzwänge lassen sich Mittel finden.

Mehr wirksame Mitbestimmungsrechte werden gebraucht. Und Gespräche gerade zwischen Menschen, die verschieden denken. Das Ziel sollte dabei nicht unbedingt sein, die anderen zu überzeugen, sondern zu Ergebnissen zu kommen, mit denen alle Beteiligten gut leben können.

Der Wohlstand Europas scheint manche gegen die Freiheiten gleichgültig zu machen. Es gibt doch immer mehr Auswahl zwischen Produkten und Unterhaltungsangeboten … Genügt das? Reich wird das Leben erst durch freie menschliche Begegnungen, in freien, verantwortlichen Beziehungen mit anderen und der Umwelt und aus freien Betätigungen mit Sinn.

Matthias Kunstmann / maximil
Foto: johnnyb/pixelio.de

Zum Weiterdenken:

»Freiheit ist immer Freiheit der anders Denkenden.«
Rosa Luxemburg

»Es geht uns mit der Freiheit wie mit der Gesundheit: Erst wenn man sie nicht mehr hat, weiss man, was man an ihr hatte.«
Werner Finck

»Das Freisein von etwas erfährt seine Erfüllung erst in dem Freisein für etwas.«
Dietrich Bonhoeffer

»So wie die Freiheit eine Voraussetzung für die Demokratie ist, so schafft mehr Demokratie erst den Raum, in dem Freiheit praktiziert werden kann.«
Willy Brandt

»Freiheit im tiefsten Sinne des Wortes bedeutet (…) mehr, als ohne Rückhalt zu sagen, was ich denke. Freiheit bedeutet auch, dass ich den anderen sehe, mich in seine Lage hineinzuversetzen, in seine Erfahrungen hineinzufühlen und in seine Seele hineinzuschauen vermag und imstande bin, durch einfühlsames Begreifen von alledem meine Freiheit auszuweiten. Denn was ist das gegenseitige Verständnis anderes als die Ausweitung der Freiheit und die Vertiefung der Wahrheit?«
Václav Havel

[Dazu:
Erkenntnisse aus der Corona-Krise
Stabile Wirtschaft, ruhige Arbeit, angenehmes Leben
Alle gewinnen mit Empathie]

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

So viel ist möglich …

22. September 2021

… wenn wir nicht auf die Regierenden hoffen, sondern es selber tun

In diesem Land und anderswo läuft vieles falsch. Davon kann jeder und jede was erzählen:

- Das Klima wird weiter aufgeheizt, mit Motorenabgasen, Kohlekraftwerken, Industrieanlagen; erneuerbare Energien sind ausgebremst.
- Die Unterschiede zwischen Reichen und Normalverdienenden werden immer krasser, und mächtige Unternehmen steuern die Politik.
- Die Schulen leisten für die Kinder und Jugendlichen zu wenig, sie gleichen Benachteiligungen nicht aus und vernachlässigen die menschliche Bildung.
- Im Gesundheitswesen und in der Pflege müssen Fachkräfte unter schlechten Bedingungen arbeiten, deshalb ist für Krisen kaum vorgesorgt.
- Schadstoffe in der Luft, in Lebensmitteln, Kleidung, Spielzeug werden nicht kontrolliert.
- Die Gesellschaft spaltet sich, weil es an respektvollem Gespräch miteinander fehlt, an gemeinsamem Einsatz für das Wohl aller, an politischer Mitbestimmung.
- Konflikte sollen wie in der Steinzeit mit Gewalt gelöst werden, daher gibt der Staat Unsummen für Militär aus, Geschäfte mit Waffen nehmen noch zu, die Folgen sind Zerstörung und Not.
- Noch mehr Siedlungen, Gewerbegebiete, Autobahnen und die industrielle Landwirtschaft belasten die Natur, die Artenvielfalt und die Lebensgrundlagen.

Es könnte ganz anders sein – keiner dieser Missstände, die schlimmer werden, ist unabänderlich, im Gegenteil. Es gibt gute Ideen, durchdachte Konzepte, praktische Lösungen und weltweit sind motivierte Menschen da, die vieles besser machen können, erfreulich, vernünftig, sinnvoll, sodass alle dabei gewinnen. Und sie tun es schon.

Im eigenen Denken, Verhalten und Handeln fängt es an. Wie ich den persönlichen Bereich gestalte, macht einen Unterschied, hat Wirkung und kann ein Beispiel geben. Einzelne ermutigen sich gegenseitig. Zusammen geschieht dann mehr.

Erkundigt euch. Schaut in der Nähe, in Nachbarländern, in entfernteren Regionen der Welt. Manches geht längst da besser, anderes seit Kurzem dort, und die Leute haben Grund, zufrieden zu sein. Sammelt Informationen, stellt Kontakte her, tauscht Erfahrungen und Anregungen aus, versucht es hier.

Wartet nicht auf bessere Zeiten. Vertraut nicht den Regierungen, sondern euch selbst. Die nächsten Wahlen werden wahrscheinlich nichts Entscheidendes verändern, weil die grosse Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen keine genauen Vorstellungen hat, weil der politische Betrieb zu wenig Mitwirkung der Menschen zulässt und weil die meisten Gewählten ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Die politischen Profis der Parteien werden überschätzt. In den Medien erscheint Politik als Frage von Personen, die wichtigen Themen werden meist nur oberflächlich dargestellt und diskutiert. Es sieht so aus, als wären Deutschland und Europa kaum noch fähig zu Reformen, womit nicht wie üblich irgendwelche Veränderungen gemeint sein sollen, sondern Verbesserungen.

Aber so viel ist möglich – und einiges wird bereits verwirklicht, sogar hier im Land:

● Zur deutschen Bundestagswahl haben Demokratie-Aktive eine Volksabstimmung über vier wichtige Themen organisiert. Mehr als 160.000 Menschen haben sich daran beteiligt und damit etwas Entscheidendes unternommen, das der Staat bisher nicht zulässt, obwohl es in seinem Grundgesetz steht.
● Das Bedingungslose Grundeinkommen ist die ausgearbeitete Idee, die Menschen vom Zwang zur Existenzsicherung zu befreien. Viele haben sich zusammengetan und zahlen anderen diesen Unterhalt, die damit ihre Fähigkeiten besser entfalten können.
Eltern-Initiativen gründen zusammen mit pädagogischen Fachleuten und Lehrkräften Kindertagesstätten und Schulen, die für die jungen Menschen besser sind. Ebenso wirken Verantwortliche an bestehenden Bildungsorten zusammen.
Friedlicher Umgang mit Konflikten wird von engagierten Gruppen erprobt, sie entwickeln wirksame Verfahren und Lösungen, gehen im In- und Ausland in Kriseneinsätze und fördern vielfach das Zusammenleben.
● In der Solidarischen Landwirtschaft unterstützen Interessierte mit Geld und Arbeit kleinere landwirtschaftliche Betriebe und erhalten dafür hochwertige Lebensmittel aus nachhaltiger, ökologischer und sozialer Produktion.
Gemeinschaftliches Wohnen unter günstigen Bedingungen ermöglichen Initiativen vielerorts.
Genossenschaften bewähren sich seit Langem und sind ideal, um zusammen das Beste zu erreichen. Mit verschiedenen Zielen werden neue geschaffen. So können auch unabhängige Medien sich behaupten, wichtige Informationen aufbereiten und sie verteilen.
● In Nachbarschaften, Gemeinden und Stadtteilen entsteht neues Miteinander. Gespräche sind wichtig, gerade mit Andersdenkenden und Fremden, besonders wenn »sozialer Abstand« gefordert wird und Individualismus in die Irre führt. Es kommt darauf an, sich zu verständigen, Interessen zu verdeutlichen und zusammenzubringen, dann gemeinsame Vorhaben zu klären, die für alle wertvoll sind.

Statt klagen oder wüten, statt vergeblich hoffen oder resignieren – wir können tun, was wir für richtig und gut halten, hier und jetzt. Wir können selbst etwas bewegen.

> Erste bundesweite Volksabstimmung: Abstimmung21
> Mein Grundeinkommen
> Schule im Aufbruch
> Werkstatt für gewaltfreie Aktion
> Ziviler Friedensdienst
> Solidarische Landwirtschaft
> Mietshäuser Syndikat
> Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband
> nebenan: Nachbarschaften

maximil

[Dazu:
Wir regieren uns selbst am besten!
Neues demokratisches Glück
Gemeinsamkeit nützt allen]

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

Zahlengläubig

15. Juni 2021

Die Welt ist voll von Zahlen: Es gibt Messwerte, Bilanzen, Inzidenzen, Umsätze, Bevölkerungszahlen, Sportergebnisse, Rekorde, Quoten, Dunkelziffern … Ist die Welt wirklich so? In der Natur gibt es Zahlen nicht. Da gibt es Organismen, einzelne, wenige oder viele, mit Unterschieden, es gibt Formen, Strukturen und Beziehungen, aber es wird nichts gezählt oder gemessen, es werden keine bestimmten Grössen oder Längen festgestellt, schon gar nicht in Meter und Kilometer. Die Zahlen sind eine menschliche Idee, ebenso das Messen und Rechnen.

Besonders die Naturwissenschaften, aber auch die Soziologie und die Ökonomie sind auf Zahlen fixiert. Indem diese Bereiche in der Zivilisation entscheidende Bedeutung erlangt haben, statteten sie die Welt mit Zahlen aus. Zahlen sind beeindruckender geworden als Erklärungen. Sie erscheinen inzwischen auch wichtiger als menschliche Werte.

Das zeigt sich meist, wenn Effizienz gefordert wird: Dann werden Zahlen zum Mittel, um einen angeblich unrentablen Betrieb zu schliessen, um in Krankenhäusern die Arbeit des medizinischen und pflegerischen Personals bis zum Gehtnichtmehr zu verdichten oder um riesige Tiermastanlagen zu bauen. Sobald Werte wie humane Arbeit oder Respekt vor der Natur einbezogen würden, wäre dergleichen nicht mehr effizient.

Paul Klee, »Station L 112, 14 km«, 1920

Die Welt verstehen, das ist mit Zahlen eher nicht möglich. Auf jeden Fall ist es nötig, Zähl- und Messergebnisse zu interpretieren. Es kommt darauf an, verschiedene Arten von Beobachtung und Wissen zu verbinden und daraus nachvollziehbare Schlüsse zu ziehen. Wo das unterlassen wird, ergibt sich ein moderner Glaube an Zahlen, in dem alte magische, fetischistische und quasi-religiöse Vorstellungen in neuer Form wiederkehren.

Früher hatten bestimmte natürliche Zahlen symbolische Bedeutungen, die teils noch gelten: Die Drei stand für das Vollendete, Heilige, Vier war die Zahl der Welt und ihrer Gegensätze, Sieben symbolisierte die geordnete Schöpfung. Inzwischen werden verschiedenste (rationale) Zahlen bei jeder Gelegenheit als Mess- und Vergleichswerte für alles Mögliche verwendet; dabei werden sie zum Selbstzweck, die Quantität wird entscheidend für Urteile, beliebige Zahlen (vor allem Zehnerpotenzen) werden mit Bedeutung aufgeladen und überhöht. Dann wird gemeldet: »Marke von einer Million überschritten« …

Der Zusammenhang mit dem Geld als Messgröße und Gegenwert ist evident. Am Beispiel des Bruttoinlandsprodukts ist bekannt, wie willkürlich dabei gerechnet werden kann: Die Zahl soll den Wohlstand einer Gesellschaft beziffern, enthält aber vieles, was schadet, und enthält vieles nicht, was Menschen für ihr Wohlergehen schätzen.

Die Zeit ist ebenfalls zahlenmäßig normiert und damit werden Menschen unter Druck gesetzt. In der Geschwindigkeit wird sie auf möglichst schnell zurückzulegende Wege bezogen. Und derart ist die Zeit besonders auf den sogenannten Fortschritt ausgerichtet.

Mit Ranglisten wird versucht, aus Kennzahlen Qualität abzuleiten. In hohem Mass eignen sich Statistiken und entsprechende Schaubilder, um die Wirklichkeit eindrucksvoll zu verzerren und falsche Beweise vorzulegen. Je nach den grafischen Abständen der Mess-Einheiten in einem Diagramm wird eine Kurve steiler oder flacher - dies ist nur ein Beispiel. Obwohl sehr fragwürdig und interpretationsbedürftig, war in der »Tagesschau« die Corona-Statistik über viele Monate ein tägliches Ritual.

An der europäischen Zivilisation ist seit Langem festzustellen, dass sie sich zunehmend für das Materielle, das Zähl- und Messbare interessiert und das weniger Fassbare der Welt entweder auf Zahlen zurückführen will oder immer weniger beachtet. Ihre zweckrationale Naturwissenschaft befasst sich unter dem Einfluss der Wirtschaft weitgehend mit der Technik, die schliesslich Menschen überflüssig macht, und mit dem, was sich zu Geld machen lässt. Der Geist verflüchtigt sich. Ganzheitliches Denken ist seltener denn je, und Sinn stiften wird sehr schwierig.

Die Mathematik ist weit überbewertet. Wenn es um Allgemeinbildung geht, gehört mehr als praktische Grundlagen des Rechnens nicht an die Schulen, damit da Lebenswichtiges und bisher Vernachlässigtes ausreichend Platz findet: Medizin/Gesundheitskunde, Psychologie/Kommunikation, Politik, Recht, Wirtschaftskunde, Philosophie/Ethik, Kunst/Theater/Film.

Auch der Wohlstand mit der Fülle der Angebote für Konsum, Unterhaltung und Aktivitäten geht auf Kosten des Verstandes, der meistens nur noch dazu benutzt wird, Vorteile zu gewinnen. Wirklich wichtig und bereichernd ist er aber für genaueres Verstehen, für das Verständnis des eigenen Lebens, des Miteinanders und von Zusammenhängen, für kritische Auseinandersetzung, für Bewusstsein.

Matthias Kunstmann / maximil

[Dazu:
Alle gewinnen mit Empathie
Wozu Wissenschaft nützt
Fortschritt?]

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Viel hat sich verändert, aber das Problem ist nicht gelöst

16. April 2021

»Den Tieren ihre Würde wiedergeben: sie anständig halten und das Fleisch als kostbares Lebensmittel sparsam verwenden!« Das predigte der Pfarrer Ernst Burmann in Augsburg im Jahr 1980. Vieles hat sich in den Jahrzehnten seither rasant verändert. Der Aufruf von damals aber ist heute noch genauso zu hören. Nur etwas öfter. Das Problem ist nicht gelöst. Es ist (wie viele andere) inzwischen noch grösser geworden.

Damals wurden Wachstumshormone an Tiere verfüttert, um schneller mehr Fleisch zu erzeugen, mit einem zusätzlichen Risiko für die menschliche Gesundheit. Fleisch-Skandale folgten aufeinander. Heute setzt die industrielle Viehzucht Unmengen Antibiotika ein, die damit als Medikamente für Menschen immer weniger wirken. Für den Anbau der Futtermittel und für Viehweiden wird weltweit Natur vernichtet. Gülle und Abgase aus den Ställen verschmutzen das Trinkwasser und schädigen das Klima. In den Fleischfabriken kam es bei den Beschäftigten zu massenhaften Coronavirus-Infektionen.

Zum Wohlstand gehört nach wie vor der Fleischverzehr. Und zugleich die Missachtung der Tiere. Jedenfalls derjenigen, die man nicht persönlich kennt. Von den jungen Leuten bis 30 essen immerhin über zehn Prozent kein Fleisch mehr. Aus verschiedenen guten Gründen. Ein entscheidender Grund für vegetarische oder vegane Ernährung ist, Tiere als Lebewesen mit eigener Würde anzuerkennen.

maximil

> »Fleischatlas« 2021 - Daten und Fakten (BUND)

[Dazu:
Fortschritt?]

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Welches Gesicht zeigen? - Masken und die Wahrheit

3. März 2021

Fastnacht ist vorbei, mit wenig lustigen Masken, wenig bunten Kostümen und kaum Spass, meist im Abstand des Fernsehens oder Internets. Zusammensein und Feiern sind jetzt seit Langem nicht mehr zeitgemäss. Masken werden weiterhin getragen, mehr als jemals, in Schulen und Unternehmen, auf Strassen und Plätzen, vor Kameras: ernste Masken, als notwenig gefordert, nach kreativer Vielfalt am Anfang der Pandemie inzwischen immer mehr normiert und gleichförmig. Die Menschheit sieht anders aus als ein Jahr zuvor.


James Ensor, Selbstportrait mit Masken, 1899

Von Kind an können Menschen nicht nur ihre Umwelt kennenlernen, sondern mehr oder weniger auch sich selbst. Sie lernen es besonders, wenn sie etwas sagen oder tun und ihre Mitmenschen darauf reagieren. Dabei entsteht eine Selbsteinschätzung. Aber alle sehen sich anders, als die anderen sie sehen. Auch im Spiegel sehe ich nicht mein wahres Bild, es ist seitenverkehrt, gibt nur Augenblicke wieder und ist von meinen Ansichten und Stimmungen überblendet. Manche stören sich im Selbstbild an Verschiedenem, was anderen gar nicht auffällt, manche finden sich grossartig und gehen damit anderen auf die Nerven. Solches einigermassen zu verstehen und mit sich und anderen zurechtzukommen, ist eine Aufgabe fürs Leben.

Lebewesen wachsen, verändern sich und können sich verwandeln. Dazu haben Menschen weitreichende Fähigkeiten entwickelt. Sie sind die Wesen, die von sich selbst oder ihresgleichen hergestellte Kleidung tragen, von Kopf bis Fuss. Mit Fantasie verkleiden sie sich auch. Zu den ersten Körperbedeckungen gehörten Tierfelle, und in ihnen konnten Menschen sich als Bären, Rinder, Schafe fühlen, weil sie noch eng mit der Natur verbunden waren. Wenn sie mit dem Fell den Schädel eines getöteten starken Tiers aufsetzten, spürten sie dessen Kraft und fürchteten sich weniger vor Angriffen. Masken dieser und anderer Art wurden zu Elementen von Ritualen und Religiosität.

In der Kulturgeschichte kennzeichnete dann besondere Kleidung verschiedene Gruppen einer menschlichen Gesellschaft. Frauen trugen andere Kleidung als Männer, Bauern unterschieden sich von Handwerkern, Priester und Fürsten waren sofort zu erkennen. Vor allem Kopfschmuck konnte ein Zeichen von Macht sein. Schliesslich brachten auch Häuser und Fahrzeuge als Arten von erweiterten Masken den sozialen Status ihrer Inhaber und zudem deren individuelle Persönlichkeit zum Ausdruck.

Das Theater war ursprünglich der Ort, an dem das Maskentragen mit seinen kultischen und sozialen Bedeutungen bewusst wurde. Es liess sich exemplarisch auf- und vorführen sowie interpretieren. Das Wort »Person« leitet sich von den zugleich wahrhaftigen und künstlichen Theatermasken ab, die als Gesichter galten. Seitdem werden auf den Bühnen der Welt menschliche Erlebnisse, Gedanken, Gefühle und Handlungen auch ohne Maske oder Schminke schauspielerisch dargestellt, sodass das Publikum daraus seine Folgerungen ziehen kann. Und es ist möglich, im alltäglichen Leben theatralische Rollen in dramatischen Szenen zu beobachten und selbst an diesem Spiel teilzunehmen.

Figuren des volkstümlichen italienischen Theaters der »Commedia dell’arte« sind in den Karneval von Venedig und anderen Städten eingegangen. In Fastnacht und Karneval überdauern sonst alte religiöse Kulte und Bräuche, die inzwischen zum Spass und zur geselligen Unterhaltung betrieben werden. Anarchisches Verhalten war immer dabei, zeitweilig erlaubt oder geduldet und manches Mal verboten. Die moderneren Formen dieser Veranstaltungen beinhalten parodistische und satirische Kritik, und damit können auch hier Masken die Wahrheit sagen.


Basler Fasnacht, 2012 - Foto: Anirvan0419, Lizenz CC BY-SA 3.0

Andererseits verbergen Masken auch die Wahrheit, so wie jemand sein Gesicht und seine Worte verstellen kann. Eine Requisite des Theaters für spielerische Intrigen in Festgesellschaften war die Halbmaske, die den oberen Teil des Gesichts um die Augen verdeckt und so die Person zumindest nicht genau erkennen lässt. Frauen versteckten sich hinter einem Schleier. Manchen Flaneuren genügt für diesen Zweck eine grosse Sonnenbrille. Sturmhauben, die bis auf Schlitze für die Augen und eventuell den Mund den Kopf ganz verhüllen, wurden von Bankräubern verwendet, aber auch von militanten Demonstrierenden, die sich so nicht vermummen dürfen, und von gegen sie eingesetzten Polizeikräften, denen es gestattet ist. Jedoch können digitale Analyseprogramme für Kamerabilder Menschen schon an ihrem Gang wiedererkennen.

Gesichtsausdruck, Gesten, Kleidung und Accessoires sollen oft täuschen: Eine Person zeigt sich dann absichtlich anders, als sie sonst ist, um einen Vorteil zu erreichen. Gemäss dem Sprichwort »Kleider machen Leute« trat der »Hauptmann von Köpenick«, ein Schuhmacher in der Uniform eines Offiziers, im Jahr 1906 als Autorität auf und bekam den Inhalt der Stadtkasse ausgehändigt. Gemalte Portraits früher und heute Fotos oder Videos eignen sich als Wunschbild-Präsentation, die beschönigt und um Sympathie wirbt.

Die Sprache bietet darüber hinaus reichlich Mittel, um im sozialen Umfeld und in der Politik zu heucheln, zu lügen und Propaganda zu verbreiten. Gegebenenfalls muss die sprechende oder schreibende Person ihren Namen nicht nennen und kann sich mit einem Pseudonym tarnen oder ganz anonym bleiben. Es heisst gelegentlich, dass jemand »Kreide gefressen« hat wie der Wolf, der in Grimms Märchen die sieben Geisslein fressen wollte und die Stimme der abwesenden Ziegenmutter imitierte, damit die Jungen ihn ins Haus liessen. »Kreide« war einmal ein Mus aus Sauerkirschen, das gegen Heiserkeit empfohlen wurde. Dieser Wolf bereitete übrigens öfter seine Gewalttaten mit Tricks vor, so lauerte er als verkleidete Grossmutter auf das Rotkäppchen. Dabei profitierte er immer wieder von den Daten, die ihm seine Opfer freiwillig gaben.

Der Steinzeitmensch trug seinen Bärenpelz vermutlich sowohl aus magischen Gründen als praktisch zum Schutz vor Kälte und gefrässigen Tieren. Masken sollten fortan auch vor anderen Gefahren schützen wie dem Erkanntwerden. Pestdoktoren setzten erste Atemschutzmasken auf, vergleichbar sind Sonnenbrillen, Gehörschutz am Arbeitsplatz, Schutzhelme, Ritterrüstungen (deren wichtigere Träger in der Schlacht durch eine Helmzier zu unterscheiden waren), Feuerwehrschutzanzüge, Bandagen im Sport. Im Strassenverkehr von Metropolen waren Nase-Mund-Bedeckungen zum Schutz vor Staub und Russ schon lang üblich, bevor Corona kam.

Seit einiger Zeit ist in Europa über Kopftücher, Burkas und Nikabs von Frauen aus dem islamischen Kulturkreis diskutiert worden. Für ein Verbot solcher Kleidungsstücke wurde argumentiert: Wenn sie das Gesicht verhüllen, widerspreche das dem europäischen Grundsatz, das Gesicht zu zeigen. In allen Fällen werde eine Religion bekundet und damit der soziale Frieden gestört. Diese Argumente sind wenig glaubhaft, denn offenbar steckt die Absicht dahinter, bestimmten sozialen Gruppen die europäischen Freiheiten nicht zu gewähren. Zu diesen gehört seit Jahrhunderten, dass der Staat keine bestimmte Kleidung vorschreibt (ausser in frei gewählten Berufen, beim Militär und im Gefängnis) und keine Religion diskriminiert. Dennoch wurden verschiedentlich Kleidungsverbote angeordnet. Vermummungsverbote sollen es daneben für den Staat einfach machen, die Identität von Widerstandleistenden zu erfassen.

Die Maskenpflicht, mit der erstmals in der neueren Geschichte ein Kleidungsstück staatlich allgemein vorgeschrieben wurde, ist ein Bruch mit den europäischen Werten – zumal ein grosser Teil des Gesichts bedeckt werden muss. Sie kann als Verletzung der Menschenwürde angesehen werden. Es geht darum, Leben zu schützen. Das rechtfertigt nicht, dass Würde und Freiheit nicht mehr gelten. Freiwilliges Masketragen ist etwas anderes als Zwang, der das Gesicht verunstaltet. Die Vorschrift stellt jeden und jede ungeprüft unter den Verdacht, andere zu gefährden, gleich ob das zutrifft oder nicht. Eine Maske zum Schutz anderer kann nur dem Personal in der Medizin, der Pflege und der Gastronomie sowie nachweislich Ansteckenden vorgeschrieben werden. Wer jedoch nichts weiter verschuldet, als ein überzogenes Gebot nicht zu befolgen, wird mit Strafe bedroht. Die gesetzliche Regelung beachtet auch nicht, ob bei anderen Risiken für das Leben ebenso durchgegriffen wird. Somit hat die Politik bedenkenlos unverhältnismässig gehandelt und die Mehrheit der Menschen hat es fraglos hingenommen. Das zeigt, dass die Grundrechte wenig sicher sind. Und es muss zu denken geben.

Matthias Kunstmann / maximil

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

Suchen - irren - finden: Wege durchs Labyrinth

15. Dezember 2020

In Träumen geschieht es oft: Die träumende Person bewegt sich durch fremdartige Szenerien, erkennt Gebäude, Räume, Landschaften manchmal wieder, meist sind sie unbekannt, ebenso begegnen Leute, rätselhafte Worte werden gesprochen, der Weg führt weiter durch Gänge und Türen, auch in irgendeiner Bahn oder einem Bus wird gefahren, wohin ist unklar, Grund und Absicht sind nicht zu verstehen, wichtige Dinge gehen dabei verloren, es wird gefährlich, in undurchschaubaren Situationen, aber da ist nichts zu machen, alles geschieht wie von selbst - dann, beim Erwachen, lässt sich aufatmen.

Doch können wir im wachen Zustand Ähnliches erleben.

Die Zivilisation hat die Welt immer genauer geordnet. Der Verkehr ist geplant, die Kommunikation ist geregelt, verschiedenste Abläufe sind gesichert. Verirren ist fast unmöglich. Zuverlässige Wegweiser werden auch in der Natur aufgestellt, Landkarten zeigen Einzelheiten, auch grosse Städte erschliessen sich durch Strassenschilder und Hausnummern, nur in Metropolen des Südens ist es noch anders. Dazu gibt es digitale Leitsysteme - die aber nicht verhindern, dass ein Speditionsfahrer, der mit seinem Navigationsgerät Brüssel, auf Französisch Bruxelles, erreichen wollte, wegen eines Missverständnisses in Bruchsal ankam.

Obwohl günstige äussere Bedingungen, Wohlstand und Informationen vorhanden sind, erscheint das Leben öfters wenig übersichtlich, die Welt chaotisch, ein nahestehender Mensch fremd. Es ist schwierig, sich mit anderen zu verständigen. Wie geht es weiter? Wohin? Was droht? Was kann ich hoffen? Vieles entscheiden andere über unsere Köpfe hinweg. Dagegen wollen wir uns behaupten. Es gilt, die eigene Aufgabe zu finden und zu erfüllen, die sinnvoll ist.

Der griechische Mythos vom Labyrinth spricht von einem Ort, der wahrscheinlich real war, eine vielfach verzweigte Höhle oder ein weitläufiges Gebäude, jeweils mit unzähligen Kammern und Hallen. Es war zugleich ein Symbol für wiederkehrende menschliche Erfahrungen. Die alte Erzählung lokalisiert es auf der Insel Kreta in oder nahe der damaligen Hauptstadt Knossos. Theseus erreichte im Schiff die Küste, wagte sich allein in das Labyrinth und fand im Inneren einen Schrecken erregenden Mann mit Stierkopf, den Minotaurus. Im Zweikampf besiegte er ihn. Danach musste er wieder ins Freie finden, und das gelang ihm mit einer Schnur, die er auf seinem Herweg abgewickelt hatte. Dies lässt sich deuten als eine Geschichte von Ungewissheit, Gefahr, Angst, Mut, Initiative, Klugheit, vom Suchen, Irren und Finden, von der Begegnung mit dem unbekannten anderen Ich und davon, wie ein Mensch sich im Inneren verändert. Dabei rettet die Liebe, denn sie brachte Ariadne dazu, Theseus die Schnur mitzugeben.

Als symbolisches Bild hat sich das Labyrinth verbreitet. Auf Bodenflächen dargestellt, war es betretbar und zugleich überschaubar. Entlang seiner Linien konnten sogar rituelle Tänze stattfinden.

Ein Mensch ist auf labyrinthischen Mauern unterwegs und dabei verbunden mit einem Leuchtturm und einem Engel - Grafik: Boetius Bolswert, 1624

Das Christentum verwendete das Bild vom Labyrinth auf Kirchenböden wie in der Kathedrale von Chartres mit einer bestimmten Form und Bedeutung: Der Weg, den die Gläubigen dort auf den Knien zurücklegten, ist verschlungen und windet sich, aber er ist unverzweigt und führt so wie da im religiösen Leben schliesslich in die Mitte, die heilige Mitte der Welt und die eigene Mitte. Er wurde auch als »Weg nach Jerusalem« bezeichnet, in die Stadt, die der Mittelpunkt einer neuen, besseren Welt werden sollte. Entsprechendes liess sich auf den europäischen Pilgerwegen nach Rom und Santiago erfahren, die keineswegs geradlinig, sondern mit vielen Windungen und durch einsame Gegenden an Kirchen, Kapellen und Klöstern vorbei zum Ziel führten. Die Pilgerschaft brauchte ihre Zeit.

Die Anlage von Irrgärten ist eine neuere Idee und ermöglicht mit Gängen im Grünen zwischen Spalieren und Hecken das Sichverlieren, Suchen, Finden, Sichbefreien als Spiel.

Es geht immer wieder um Orientierung, um den richtigen Weg. Das ist einige ruhige Gedanken wert - erst recht, wenn auch das eigene Innere mit ungenügendem Wissen, widersprüchlichen Vorstellungen, wenig erklärbaren Gefühlen labyrinthisch anmutet. Johann Wolfgang von Goethe untersuchte gern,

»was, von Menschen nicht gewusst
oder nicht bedacht,
durch das Labyrinth der Brust
wandelt in der Nacht.«

Anatomisch liegen fachlich so genannte Labyrinthe in den menschlichen Ohren. Sie sind nicht nur für die Aufnahme von Geräuschen, Klängen und sprachlichen Botschaften da, sondern auch auch für die akustische Orientierung, das Gleichgewicht und das Steuern von Bewegungen.

Wenn Menschen meist in mittleren Jahren in eine Krise geraten, sich erschöpft fühlen und spüren, dass es nicht so weiter gehen sollte wie bisher, dann können sie in sich zuvor unbeachtete Fähigkeiten und Motivationen entdecken und sich für eine neue Richtung entscheiden, in der Sinn liegt. Ein solcher Wechsel ist etwas anderes als das vielbeschworene Prinzip (»Change«), das mit immer neuem Umbau nur einen zweifelhaften Weiter-so-Fortschritt betreibt.

Umwege müssen hingegen nicht nachteilig sein. Auch auf ihnen ist einiges zu erleben und zu erfahren, ebenso in einer Sackgasse oder auf einem Irrweg. Aber sobald sich erkennen lässt, dass der scheinbar alternativlose Weg falsch ist, heisst es umkehren.

Matthias Kunstmann / maximil

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Stabile Wirtschaft, ruhige Arbeit, angenehmes Leben

13. Oktober 2020

Die Corona-Krise ist auch eine Sinnkrise. Auf einmal haben viele bemerkt, dass das Leben anders sein kann: ohne Hektik, Stress und zu viel Arbeit, mit Ruhe und Musse, nicht mehr auf Kaufen und Konsum ausgerichtet, sondern auf das Geniessen dessen, was schon da ist, nicht unterhaltungssüchtig, stattdessen mit der Natur verbunden. Einzelne kannten und schätzten das schon vorher, sie waren Ausnahmen von der gesellschaftlichen Regel. Im Jahr 2020 wurde es eine gemeinsame Erfahrung.

Es wurde als Herunterfahren, Schliessen, Einschränkung erlebt und hat damit verunsichert: Auf wie viel müssen wir da verzichten? Wie sollen wir mit den neuen Zuständen zurechtkommen? Wird es noch alles geben, was wir brauchen? Und die Frage stellte sich: Geht das vorbei oder ändert sich etwas auf Dauer? Zugleich konnte das veränderte Dasein als angenehm erfahren werden, heruntergeregelt von einem überzogenen auf einen verträglichen Grad, entschleunigt, gerichtet auf das wirklich Wichtige, mit neuer Freiheit.

Also spricht einiges dafür, nicht zu genau dem zurückkehren zu wollen, was vorher war. Das ist jetzt die grosse Aufgabe für unsere Gesellschaft und die Politik: die in der Krise entdeckten Bedürfnisse und Möglichkeiten wahrnehmen, Denkweisen und Strukturen darauf einstellen, bessere Bedingungen als bisher für das Zusammenleben schaffen.

Was jetzt zu tun und zu ändern ist

Das Erste ist, dass die staatlichen Krisenhilfen gezielt sind. Sie müssen den Menschen das nötige Einkommen sichern und die sozialen oder gemeinnützigen Einrichtungen erhalten. Dazu gehört eine intensive Beratung für Berufstätige, die klärt, ob eine Umschulung oder neue Qualifizierung günstig ist und gefördert wird. Dies sieht auch das Konzept des »Transformationskurzarbeitsgeldes« vor. Private Unternehmen soll der Staat nicht finanzieren. Viele begegnen einer veränderten Nachfrage und haben damit umzugehen, etwa durch Konversion.

Immer mehr Interesse und Zuspruch findet das Bedingungslose Grundeinkommen. Es würde allen materielle Sicherheit gewähren und wertvolle Tätigkeiten für die Allgemeinheit ermöglichen. Arbeit für den Lebensunterhalt muss längst nicht mehr so viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Automatisierung hat zu einer hohen Produktivität geführt. Dennoch hat für viele Beschäftigte der Arbeitsdruck nicht nachgelassen, sondern ist sogar intensiver worden, während Millionen kein oder zu wenig Geld verdienen. Es ist überfällig, die Regelarbeitszeit deutlich zu senken, mit gleich bleibendem Lohn und Gehalt zumindest bei niedrigem Einkommen. In den sozialen, kulturellen, Bildungs- und Dienstleistungsbereichen, wo menschliche Arbeit nicht ersetzbar ist und Arbeitskräfte fehlen, müssen die Berufe und Stellen dringend aufgewertet und attraktiv gemacht werden.

Auf jeden Fall werden sinnvolle Steuern gebraucht, die eine nachhaltige Entwicklung unterstützen, für Gerechtigkeit sorgen und die öffentlichen Ausgaben auch ohne Schulden decken. Um überflüssige und schädliche Produktion zu reduzieren, ist eine Luxussteuer angebracht. Die hohen Einkommen und grossen Vermögen, die in den letzten Jahren häufig noch stark zugenommen haben, müssen wieder mehr zum Wohl der ganzen Gesellschaft beitragen. Dies betrifft mindestens ebenso die massiv gestiegenen Gewinne von Unternehmen wie den Internetkonzernen und Firmen der Finanz- und Versicherungswirtschaft. Sie dürfen nicht länger von Steueroasen profitieren. Ausserdem sind Steuern auf teils spekulative Geschäfte an den Börsen dazu geeignet, auch bei nachlassender Wirtschaftsleistung gesamtgesellschaftlichen Reichtum zu bewahren. Finanztransaktionssteuern mit diesem Zweck wurden seit 2012 in Frankreich und Italien eingeführt.

Subventionen, staatliche Vergünstigungen für Branchen und Betriebe, fördern oft das Falsche, etwa in der Landwirtschaft, in der sich vieles für Menschen und Natur besser regeln liesse. Gerechtfertigt sind sie nur, wenn sie Nachteile ausgleichen.

Auf das Wichtige achten

Soziales, Kultur und Natur sind meistens wichtiger als Produktion. Für die übermässig hergestellten Waren gilt: Weniger ist mehr. Der Glaube an unendliches Wachstum der Wirtschaft ist unvernünftig und zerstörerisch. Im sozialen Bereich wird nicht von Wachstum gesprochen, Erfolg nicht an Umsätzen gemessen und der Gewinn in anderem als Geld erkannt. Die Wirtschaft soll nicht masslose private Interessen verfolgen, sondern die Grundbedürfnisse aller befriedigen. Dabei kann sie stabil sein und statt mit Wachstum in Kreisläufen funktionieren.

Wirtschaftliche Leistung soll nicht mehr nach bezahlten und eingenommenen Euros beurteilt werden (wie im bisherigen Bruttoinlandsprodukt), sondern nach dem Wohlbefinden der Beteiligten, das unter anderem von Gesundheit, Bildung, humanem Arbeiten und Wohnen, zwischenmenschlichem Austausch abhängt - und besonders von den geltenden Rechten, in Angelegenheiten des gemeinsamen Lebens mitzugestalten und mitzuentscheiden. Die Idee des »Bruttosozialglücks« gibt dafür Hinweise.

Manches ändert sich von selbst, weil es nicht anders geht. Das kann, je nachdem, erfreulich oder schmerzhaft sein. Wenn Verluste vermieden werden und Wünsche sich erfüllen sollen, kommt es auf Miteinanderberaten und kluges Handeln an. An solchem politischen Wirken sollen alle sich beteiligen können. So lässt sich aus der Krise lernen - für ein angenehmes Leben.

Matthias Kunstmann / maximil

> Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech über die Krise als Chance, 2020

> Ministerium für Glück und Wohlbefinden

> Netzwerk Grundeinkommen - Europäische Bürgerinitiative

[Dazu:
Wirtschaft ist nicht alles
Fällige Kritik des Wachstumsdenkens
Gemeinsamkeit nützt allen]

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