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Warum Ethik?

27. März 2015

Gutes denken und tun,

- damit ein Mensch zu sich stehen kann,

- damit wir miteinander zurechtkommen,

- damit wir glücklich werden können …

> Portal für Ethik und achtsames Leben

maximil

[Dazu:
Richtig leben - wie das gehen kann
Was tun für gutes Leben?
]

→ KommentareThemen: Allgemein

Die Meinung ist frei, die Wirkung nicht

10. Februar 2015

Frei sein, sagen, was wir denken, handeln, wie wir wollen - das gehört zu den Menschenrechten. Aber wir dürfen nicht alles sagen oder tun, denn unsere Freiheit endet vor den Rechten der Mitmenschen. Deshalb geht es nicht, jemanden zu beleidigen, gegen Bevölkerungsgruppen zu hetzen, religiöse oder weltanschauliche Ansichten zu beschimpfen und damit das Recht auf Menschenwürde zu verletzen. Wie eine bestimmte Meinung geäussert wird und wirkt, das ist vernünftigerweise nicht beliebig frei.

Jeden Terror gegen Meinungen wird eine rechtlich gesinnte Gesellschaft bekämpfen. Dabei ist einiges zu bedenken. Möglicherweise genügt es, so wie bei anderen Gewaltverbrechen konsequent die Gesetze anzuwenden. Die polizeilichen Mittel können auch neue Anschläge verhindern. Über dies hinaus werden viele, die sich angegriffen sehen, für freiheitliche Werte zusammenstehen.

Viele wollen sich aber nicht zugleich mit den angegriffenen Meinungen identifizieren. Dies ist auch weder nötig noch nützlich. Ebenso ist es nicht angemessen, Opfer des Terrors nachträglich zu Helden der Meinungsfreiheit zu ernennen. Damit wird in bekannten Fällen der Gewalt gegen Urheber antireligiöser Karikaturen eine falsche Front verfestigt: westliche Freiheit gegen islamische Aggression.

Diese Front ist nicht von der islamischen Welt verursacht. Vielmehr wurde sie von westlichen Medien mit aufgebaut, die ihre Meinung für überlegen halten, sich arrogant über andere Meinungen lustig machen, Zerrbilder religiöser Anschauungen zeichnen und damit andere Mitglieder der Weltgemeinschaft im In- und Ausland beleidigen, oft aus einer materialistischen Ideologie heraus. Medien, die solches verbreiten, begleiten die politischen Aggressionen mächtiger westlicher Konzerne und Staaten in vielen Gebieten der Welt, wenn es um Öl, sonstige Rohstoffe, Absatzmärkte und Kontrolle geht, seit dem Beginn des Kolonialismus bis heute.

Westlichem Terror bei militärischen Kampfeinsätzen und Drohnenangriffen fallen Menschen zum Opfer, die nicht wissen, warum. Während dergleichen eigene Taten und Wirkungen als normal gelten oder gar nicht mehr gesehen werden, wird die Schuld am Konflikt den Angehörigen anderer Kulturen angelastet, die in ihren Lebensweisen und Rechten verletzt sind und darauf auch mit Gewalt reagieren. So wird Eskalation betrieben, statt die Beziehungen anständig zu regeln. Ein Beispiel dafür ist die Politik der EU und der NATO in der Ukraine. Am schlimmsten wirkt aber seit Jahrzehnten der vom Westen gedeckte Umgang Israels mit dem palästinensischen Volk, der fortdauernd gegen die Menschenrechte, das Völkerrecht und alle Vernunft verstösst.

Es ist berechtigt und wichtig, Kritik und Satire gegen Missstände zu richten. Selbstverständlich setzen wir uns mit problematischen Meinungen, Denkweisen und Haltungen auseinander, insbesondere wenn sie Einfluss und Folgen im Zusammenleben haben. Auch über Religionen und andere Weltanschauungen muss diskutiert werden können, über Verhaltensweisen, die nicht zu den Aussagen passen, über Politik, die religiöse Anschauungen missbraucht oder ideologisch festgefahren ist. Aber die Menschenwürde ist zu achten, sie kommt sogar noch einem Verbrecher zu und erst recht denjenigen, die anderen nichts angetan haben.

Auf überzogene Kritik, Polemik oder Spott werden Betroffene, die souverän sind, nicht in gleicher Art antworten. Wenn sie nicht persönlich angesprochen sind, können sie darüber hinwegsehen. Sie können tolerant sein, auch wenn die andere Seite nicht tolerant ist. Wo Meinungen Gewalt ausdrücken oder zu Gewalttaten führen, ist Toleranz jedoch nicht mehr angebracht. Wünschenswert sind immer gute, konstruktive Argumente, Versuche, sich zu verständigen und Lösungen zu finden. Streit mag Spass machen, manche ziehen ihn mit Lust in die Länge - für alle sinnvoll ist es aber, dass Feindbilder abgehängt werden, Aufwand und Risiken eskalierender Konflikte wegfallen, Austausch zustande kommt. Nur so ist verlässliche Sicherheit zu haben. So können wir miteinander leben. Im “öffentlichen Frieden”, den unser Recht vorsieht.

Sylvie Natalicia

[Dazu:
Wirksamer Einsatz für Menschenrechte und Demokratie]

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Der Weg zum Recht

28. Januar 2015

Wegweiser

[...]

Wenn der Weg zum Recht und zur Zukunft
dunkel ist und verborgen
dann halte ich mich an das Unrecht
das liegt sichtbar mitten im Weg
und vielleicht wenn ich noch da bin
nach meinem Kampf mit dem Unrecht
werde ich dann ein Stück
vom Weg zum Recht erkennen”

Erich Fried, Gesammelte Werke, Gedichte Band 2, Berlin 1993, S. 68

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Marco Cavallo - Wie das blaue Pferd die Verrückten befreite

24. November 2014

Menschen leiden unter ihrem Seelenzustand.
Wenn er wechselt, wird die Stimmung wieder besser.
Wenn er übermässig schmerzt, ist der Mensch psychisch krank.
Sobald die Krankheit das Zusammenleben mit anderen Menschen stört, schmerzt sie mehr.
In vielen Fällen ist die Seele belastet, weil zwischen Menschen etwas nicht stimmt.

Die sogenannten Verrückten gehörten in früheren Jahrhunderten zu den Lebensgemeinschaften der europäischen Dörfer und Städte. Es ist wünschenswert, miteinander auszukommen, das erleichtert das Dasein. Trotzdem ergeben sich Konflikte, Streit und Nervereien, aus den verschiedensten Ursachen. Ob jemand aus einer Krankheit heraus, durch seinen Charakter, aus bewusster Absicht oder aus anderen Gründen die Mitmenschen belästigt, das nehmen die vielleicht wahr, es macht für sie aber kaum einen Unterschied; oft genug unterstellen sie dem oder der anderen etwas und erkennen nicht, dass sie selbst den Anlass für Ärger geboten haben. Wie auch immer, die Gemeinschaft versucht, den Konflikt irgendwie zu regeln.

Was verrückt ist und was normal, ist zu allen Zeiten eine Ansichtssache gewesen. Die jeweilige Mehrheit hat es bestimmt oder geglaubt. Solche Grenzziehungen sollen in der Nachbarschaft gelten und ebenso in der grossen Politik.

Seit etwa dem Jahr 1800 hat idealistisches und wissenschaftliches Interesse dazu geführt, psychisch Leidenden gezielt zu helfen. Zugleich wurden solche auffälligen Menschen immer genauer definiert und in speziellen Anstalten von der Allgemeinheit abgesondert. Bis heute kann in Deutschland und vielen anderen Ländern ein Insasse der Psychiatrie weniger Aussichten haben als ein zurechnungsfähiger Strafgefangener, wieder in Freiheit zu leben.

Human geplant und organisiert, aber in der Praxis brutal und die Krankheit verschlimmernd, jedenfalls eine eigene Welt, in der die Patienten und Patientinnen unter sich waren und am Leben der Gesellschaft nicht teilnehmen konnten, das war auch das Ospedale psichiatrico San Giovanni, eine Gebäudegruppe mit Grünflächen an einem Berg über der italienischen Hafenstadt Triest. Ungefähr 1200 Kranke waren dort in den 1970er-Jahren hinter Mauern und Gittern untergebracht, als derartige Einrichtungen vielerorts immer mehr in die Kritik gerieten. Es wurde bewusst, dass sie die Menschenwürde verletzten. Der Psychiater Franco Basaglia, der diese Erkenntnis aus seinen Erfahrungen vertrat, wurde damals der Leiter der Anstalt.

Zunächst öffnete er die Abteilungen. Insassen und Personal kamen gemeinschaftlich ins Gespräch, psychiatrisch und pflegerisch Tätige bekannten sich zu dem, was sie mit den klinisch Leidenden verbindet, miteinander veranstalteten sie Kulturereignisse. Um zusammen neue Perspektiven zu gestalten, wurden der Schriftsteller und Regisseur Giuliano Scabia und der Bildkünstler Vittorio Basaglia, ein Vetter des Psychiaters, in das Ospedale eingeladen.

Mitbewohner der Anstalt war ein alt gewordenes Pferd, das auf einem Karren die Wäsche über das Gelände transportierte. Für viele war es ein Freund. Die zuständige Behörde kündigte an, es werde durch ein Motorfahrzeug ersetzt und in den Schlachthof gebracht. Die betroffenen Menschen zeigten daraufhin auch ausserhalb der Anstaltsgrenzen, was sie wollten: In einem Schreiben an das Amt forderten sie, das Pferd leben zu lassen. Sie hatten Erfolg, ihm wurde zur Rente ein städtischer Stallplatz gewährt.

Dies war der Anlass dafür, dass die Künstler mit den Patientinnen und Patienten von San Giovanni ein überlebensgrosses Pferd aus Holzkisten und Pappmaché schufen, es blau bemalten und Marco Cavallo nannten, das Pferd Marco. Es wurde ein Symbol, für die Kräfte der Schwachen, die Eigenart, die Gemeinsamkeit, die Sehnsucht, das Leben.

Und schliesslich für das Freisein. Dies entwickelte sich in Meditationen, Gedichten, Geschichten, Liedern, Bildern, Inszenierungen rund um das blaue Pferd. An einem Frühlingstag 1973 zogen die Menschen mit Marco Cavallo aus der Anstalt hinaus in die Stadt. Sie brachen die obere Begrenzung eines Zauntores ab, damit sie hindurchkamen. Mit vielen Menschen von draussen ging der Zug durch die Strassen von Triest zu einem Platz, auf dem sie miteinander feierten, bei Musik und Tanz.

Das italienische Parlament beschloss fünf Jahre später ein Gesetz, das die psychiatrischen Kliniken auflöste. Menschen mit psychischen Leiden sollen seither als anerkannte Mitglieder der Gesellschaft leben können, in ihren Familien oder eigenständig, und dabei von Fachkräften unterstützt werden, die ihnen Rat, Therapie und den jederzeitigen Zugang zu ambulanten Diensten oder Treffen bieten: offene Türen, Inklusion und Empathie. In der Realität bestehen da weiter Defizite. Aber diese Psychiatrie erscheint in Italien als grundsätzlich richtig.

Mit seiner Botschaft ist Marco Cavallo über das Land hinaus in Europa unterwegs gewesen. In Deutschland hat er das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten aufgegriffen, Esel, Hund, Katze und Hahn, deren Existenz in fortgeschrittenem Alter bedroht ist, worauf sie optimistisch aufbrechen, um gemeinsam eine gute Zeit zu erleben. Eine Initiative am anderen Ende des Kontinents, in der Hafenstadt Bremen, hat dann ein schwimmendes blaues Kamel entstehen lassen, auch dieses eine zeichenhafte Figur für das Überschreiten von Grenzen und Ausgrenzungen, für Vielfalt und für die Möglichkeiten des Zusammenlebens.

In Triest ist die frühere Anstalt San Giovanni heute ein offenes Gelände, in den Gebäuden forscht und lehrt die Universität, arbeitet das Stadttheater, sind auch Räumlichkeiten des Dienstes für geistige Gesundheit. Es ist beschlossen worden, dass das blaue Pferd Marco als Denkmal einen Platz in der Stadt bekommt.

Matthias Kunstmann / maximil

> Die blaue Karawane

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Mögliche Begegnungen mit der Zeit

14. Oktober 2014

Die Zeit fliesst. Zeit vergeht. Zeit verstreicht. Zeit verrinnt. Zeit fehlt. Zeit kommt. Zeit drängt. Die Zeit scheint stillzustehen. Die Zeit heilt alle Wunden.

Und was tun wir mit der Zeit - oder (allgemeiner) mit Zeit? Zeit brauchen. Zeit haben. Zeit verbringen. Zeit verschwenden. Zeit verlieren. Zeit gewinnen. Zeit nutzen. Sich Zeit nehmen. Jemandem Zeit geben. Zeit schenken. Zeit sparen. Zeit einteilen. Der Zeit entfliehen. Die Zeit geniessen. Mit der Zeit umgehen. Zeit erleben.

Das sind Möglichkeiten. Verschiedene Begegnungen mit der Zeit ereignen sich auch in den Medien, nicht nur in Zeitungen und Zeitschriften. Das Medium Film kann in einem bestimmten Zeitablauf mit Bild und Wort freie, wunderbare, bewegende Geschichten von der Zeit vermitteln.

So ein Film ist “Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe” von Philipp Hartmann. Es ist einer der essayistischen Filme, die mit ihren ungewöhnlichen Szenen, vorgeführten Experimenten, vielsagenden Dokumenten, faszinierenden Fundstücken und spannungsreichen, auf den Punkt gebrachten Kommentaren das Publikum dazu anregen, sich zu beteiligen, eigene Erlebnisse damit zu verbinden, selbst weiterzusinnen. Dieser Film macht es auf witzige Art möglicherweise leichter, der Gewalt und der Fremdheit der Zeit wie ebenso ihren Inspirationen zu begegnen.



Vorschau für “Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe”
von Philipp Hartmann auf Vimeo. Der Autor und Regisseur ist seit 8. Oktober 2014 mit seinem Film auf Kino-Tour.

Das haben ältere Filme auf andere Weise versucht.

Mit “Echtzeit” haben es Hellmuth Costard und Jürgen Ebert 1983 unternommen, die deutlich werdenden weltweiten Veränderungen zur digitalen Virtualität zu erfassen. Sie betrachteten Arbeitsverhältnisse, militärische Planungen, Landschaften und Menschen darin. Costard sagte zum Vorgehen (dem das von Hartmann ähnlich ist): “Ich denke, man arbeitet genauer, wenn man sich nicht auf ein Drehbuch verlassen kann oder muss oder an ein Drehbuch gebunden ist, sondern wenn man nichts anderes hat als die Logik des Augenblicks.” Der entscheidende Moment, der Augenblick, der es wert ist, die volle Gegenwart - dahin geht die Sehnsucht. Schwierige, aber erfüllte Zeit.


Aus “Echtzeit” von Hellmuth Costard und Jürgen Ebert

Clemens Steiger hat in seinem Film “Von Zeit zu Zeit” (1988) mit zeitlichen Erfahrungen und Erwartungen gespielt. Geschichten verwandeln sich. Eine Kamera nimmt eine Uhr auf, später im Studio zeigen die Bilder statt der Zeit der Aufnahme eine andere. Im Film geschehen gefilmte Fiktionen auf einmal in seiner Wirklichkeit. Sehen, was sich verwirklichen lässt …


Aus “Von Zeit zu Zeit” von Clemens Steiger

Einverstanden sein mit der Zeit - das gibt es manchmal, zeitweise, wenn sich Menschen begegnen, wenn ich mich meditativ besinne, oder an besonderen Orten, an denen die Atmosphäre einer eigenen Zeit wirkt: Plätze, Stellen, die vielleicht sonst niemand beachtet, wo aber diejenigen, die sie wahrnehmen, etwas Bleibendes auf ihren Weg mitbekommen. Wim Wenders bringt mit seinen Filmen solche Orte nahe. Sein Film “Im Lauf der Zeit” (1976) lässt an einer langen Reise durch das abseitige Deutschland teilnehmen, die heute durch die Erinnerung verläuft. “Es muss alles anders werden”, hat einer auf einen Zettel geschrieben.

Schon viel länger als der Film setzt sich die Literatur mit der Zeit auseinander - “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” (”À la recherche du temps perdu”) fand sich dann Marcel Proust … Die Wortsprache ist ebenfalls ein lineares Medium und Kommunikationsmittel, sie kennt Zeitraffer und Zeitdehnung, aber beim Lesen gilt ein eigenes Tempo, und es kann zurückgeblättert werden. Im Lied wird gefragt, ob die Zeit hörbar werden kann: “Hörst du es nicht, wie die Zeit vergeht” (”Heast as nit, wia die Zeit vergeht”), singt Hubert von Goisern, und Hochsensible können angeblich das Gras wachsen hören. Dagegen können statische Bilder wie magische Orte sein; die weichen Uhren in Salvador Dalís Gemälde “Die Beständigkeit der Erinnerung” (”La Persistencia de la memoria”) lassen sich  auffassen als Widerstand gegen harte Zeiten.

Auf Zifferblättern (und anderen Zeitanzeigen, wenn sie kein Datum angeben) fängt die Zeit immer wieder neu an.

> “Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe”, Film, Buch und Regie: Philipp Hartmann, 2013, 80 Min.

> Zeit statt Zeug

Matthias Kunstmann / maximil

[Dazu:
Rhythmusstörung
über die Zeitumstellung]

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Wege der Steine

9. September 2014

Sagt jemand, die Steine sind unbeweglich? Die grossen und kleinen Steine sehen aus, als ob sie in sich ruhten. Wie wenn sie sich nicht veränderten, über Jahrtausende nicht, nie: alt und jung zugleich. Wir leben mit den Steinen, den scheinbar ewigen, sie sind uns nahe. “Diese Sache liegt mir wie ein Stein im Magen”, so lautet eine Redensart bei einem Problem, das zu lösen schwerfällt. Und dann, als es erledigt ist: “Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen.” Also hat er sich doch bewegt, jedenfalls in Richtung der Schwerkraft.


Meteoritenfall bei Ensisheim im Elsass am 7. November 1492, dargestellt von Diebold Schilling in der Luzerner Bilderchronik 1513

Steinschlag ist eine Bedrohung an Felshängen. Manchmal fallen Steine vom Himmel auf die Erde, Meteoriten. Diese unsere Erde, die vor allem aus Gestein besteht, dem festen Boden, den wir unter den Füssen brauchen.


Steine in Norwegen - dort heisst es, dass Wandernde den Pyramiden einen Stein hinzufügen sollten, um die Trolle (Geister) zu beruhigen. Foto: Ricklef Dmoch / pixelio

Sie können sich fortbewegen, indem sie sich tragen lassen. Bäche und Flüsse bringen sie ins Rollen (”Rolling Stones” …), schleifen sie dabei zu Kieseln und zu Sand. Das Eis von Gletschern transportiert Steintrümmer Kilometer weit. Bauern, die in bergigen Gegenden pflügen und eggen, verlagern damit die Steine in den Äckern, sie klauben grössere heraus (”Lesesteine” …) und schichten sie an den Rändern der Felder auf.


Felder und Mauern in Apulien (Italien) - Foto: Dieter Schütz / pixelio

Es wird gesagt, dass die Steine in frostigen Wintern aus dem Boden wachsen; das ist der wissenschaftlich noch kaum verstandene Vorgang des “Auffrierens”. Häuser, wenigstens die Wände, sind aus solchen Natursteinen gebaut. Gerade und einfach zu mauernde Blöcke aus dem Steinbruch zu sägen, ist schwieriger. Eher werden künstliche Steine gefertigt, traditionell besonders in steinarmen Ebenen; aus dort als Lehm vorhandenen Mineralen werden Ziegel geformt, getrocknet und gebrannt. Eine Mischung vorbereiteter mineralischer Substanzen, darunter gemahlener Steine, mit Wasser ergibt den modernen Universalbaustoff Beton.


Borie bei Bonnieux in der Provence - Foto: Dominique Repérant / Wikipedia, CC BY 2.5

Natürliche Steine sind für das Bauen, Pflastern und Dekorieren aufgrund ihrer Härte, Festigkeit, Dauerhaftigkeit, Bearbeitbarkeit geschätzt - und wegen ihres Aussehens, bei dem sich von Optik oder von Schönheit sprechen lässt. Granit, Sandstein, Schiefer, Basalt, Marmor sind deshalb von ihren Fundorten aus auf immer längeren Strecken unterwegs, inzwischen rund um die Erde. Für monumentale Bauten wie den Kölner Dom fuhren schon vor Hunderten Jahren Schilfsandsteine aus den Steinbrüchen bei Heilbronn auf Schiffen den Neckar und den Rhein hinunter, obwohl auch in der Nähe Material lag. Die “Bremer Steine” für Bauten und Skulpturen in der Hansestadt kamen aus dem entfernten Weserbergland und wurden über die Nordsee an weitere Zielorte verfrachtet. Für die europäischen Bauplätze beschafft der Handel seither Steine in rauen Mengen auch aus Indien, China, Südafrika und Brasilien. Nicht unbedingt wegen der Qualität, vielmehr weil hierzuland der Landschaftsschutz mehr gilt und den Abbau beschränkt, und vor allem wegen günstigerer Preise. Die errechnen sich aus geringen Lohnkosten in den Ursprungsländern. Über deren Verhältnisse wird bei uns nicht viel bekannt, aber wir können wissen, dass dort auch Kinder unter Lebensgefahr in den Steinbrüchen hämmern, schleppen und Staub einatmen müssen, statt dass sie in die Schule gehen könnten.

“Durch sein attraktives Farbenspiel beflügelt Nevada Colored die Phantasie!”, so bietet eine deutsche Baustofffirma Sandsteinplatten an, die entgegen ihrem Namen nicht aus den USA, sondern aus Indien kommen, ebenso wie eine andere Sorte, die abwechselnd unter den Bezeichnungen “Sahara” und “Toskana” auf dem Markt ist. Phantastische Reisen der Steine …

Steine faszinieren durch ihre eigenartige Form, Oberfläche, Farbigkeit, Struktur. In ihnen lassen sich Bilder sehen. Manche Steine klingen, wenn an ihnen geklopft wird. Aus dem Feuerstein springen Funken. Besondere werden als Schmuckstücke getragen. Steine sind auch Stoff für die Kunst der Skulptur, die aus ihnen eine Gestalt befreit. Im griechischen Mythos haben Deukalion und Pyrrha nach einer katastrophalen Flut Steine auf den feuchten Boden geworfen und daraus entstanden Menschen, aus seinen Steinen Männer, aus ihren Frauen …

“Ich griff nach dem Steine, den ich neben mir zur Wegebesserung mit frischem schwarzglänzendem Bruche zerschlagen fand, und erkannte ihn als einen gültigen Zeugen grösserer Weltbegebenheiten, als die ich erlebt hatte.”
Achim von Arnim

maximil

> Die Kinderhilfsorganisation terre des hommes zu Natursteinen
> Xertifix: ethisches Siegel für Steine
> Fair Stone: Sozial- und Umweltstandard

[dazu:
Nah dran und mitten drin - Leben in der Region
Kunst begegnet Natur]

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Nah dran und mitten drin - Leben in der Region

4. Juli 2014

Ich will wissen, wo dieses Hemd produziert worden ist, das im Textilgeschäft angeboten wird und mir gefällt: in was für einem Betrieb, unter welchen Bedingungen die Arbeiterinnen es genäht haben, wie die Pflanzen für den Stoff geerntet und zu Leinenfasern aufbereitet worden sind. Diese Äpfel, woher kommen sie, womit wurden sie behandelt, dass sie so glänzen? Hier die Tiefkühlpizza im Supermarkt, was ist da alles drin und drauf - vielleicht Palmfett von Plantagen, für die Tropenwald gerodet worden ist? Wurden die Eier, deren Verpackung einen urigen Bauernhof zeigt, von glücklichen Hühnern gelegt? Mich interessiert auch, welches Unternehmen die neue Waschmaschine verantwortet und wer mir so ein Gerät notfalls zuverlässig repariert. Der Strom kommt aus der Steckdose, aber vorher aus was für Energieanlagen? Eine andere Frage von vielen, die ich mir manchmal stelle: Welche Geschäfte macht meine Bank mit meinem Geld?

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Wir können nicht immer über alles informiert sein, aber Wissen ist doch angenehm. Es bedeutet im wirtschaftlichen Bereich: Die Auswahl fällt leichter, die Entscheidungen werden stimmiger, und ein Stück Welt lässt sich positiv beeinflussen.

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Vor 50 Jahren waren diese Angelegenheiten noch einfach und überschaubar. Es war normal, in Dörfern und kleinen Städten zu leben und sie wochenlang nicht zu verlassen. Was für den alltäglichen Bedarf gebraucht wurde, war da: Arbeitsplätze, eine Schule, mindestens eine Bäckerei, eine Metzgerei mit Milchverkauf, die von einer nahe gelegenen Molkerei beliefert wurde, eine Gärtnerei mit Gemüse und Obst, ein Geschäft für haltbare Lebensmittel sowie Reinigungsartikel, Werkzeug und andere Haushaltswaren, eine Schreinerei für Möbel nach Mass, eine Ziegelei für den Hausbau. Das Trinkwasser wurde auf dem Land für jedes Haus aus einem eigenen Brunnen gepumpt, von Hand oder oft schon mit Motor, und floss noch nicht über Kilometer durch Rohre einer zentralen Versorgung. Die wenigsten Menschen brauchten ein Auto, die Bauern, die ihre Kartoffeln und Eier auf dem Hof holen liessen oder unter die Leute brachten, hatten allerdings einen Traktor mit Anhänger und zusammen eine Dreschmaschine, und der Arzt aus der Stadt brauchte eines. Die Schulkinder haben das Lied von den fleissigen Handwerkern gelernt und mit der Lehrerin den Bäcker in der Backstube und den Schreiner in der Werkstatt besucht. Und das Dorf hatte noch einen eigenen Gemeinderat, um über seine Belange zu diskutieren und zu beschliessen.

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Ein solches Leben erscheint heute beschränkt. Wünsche nach so etwas sind aber immer wieder spürbar, nach einer Gegend, in der wir uns auskennen, in der wir Erinnernswertes erlebt haben, sodass sie uns vertraut ist - ein Ort, der uns Gemeinschaft schenkt, ein Land, in dem wir uns wohlfühlen. Deshalb ist es folgerichtig, dass wir uns auf die weiter oder neu vorhandenen Möglichkeiten, Ressourcen, Schätze gegebener Regionen besinnen, konkret auf das, was sich am Wohnort und in der Landschaft darum herum eröffnet.

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Ein Zugang sind die städtischen Wochenmärkte, auf denen Bäuerinnen und Bauern der Umgebung Lebensmittel anbieten. An den Ständen stehen ihre Adressen. Jedoch ist nicht alles auf ihren Höfen erzeugt: Sie kaufen oft im Grossmarkt zu, um ein rundes Sortiment vorweisen zu können, mit Früchten, die bei ihnen gerade nicht oder überhaupt nicht wachsen. Eigenes ist eventuell gekennzeichnet, wenn nicht, empfiehlt es sich zu fragen. Auch Supermärkte, speziell Biogeschäfte, bieten Regionales an. Da ist es eine Idee, bei einem Radausflug einen solchen Bauernhof einmal anzuschauen. Der hat häufig einen Hofladen mit Ware frisch vom Acker und aus dem Stall, mit Getreide, das zu Hause gemahlen aromatisches Vollkornmehl ergibt, mit getrockneten Hülsenfrüchten, mit Eiern und Milch von Tieren, die sich sehen lassen. In Weingegenden wird auf den Winzerhöfen das Genussmittel verkauft, das aus den Trauben als natürlichen Rohstoffen durch einen aufwendigen Weiterverarbeitungsprozess gewonnen wird. Wer sich interessiert, hat auf den Höfen des Weinbaus wie sonst der Landwirtschaft meistens die Gelegenheit zu weitreichenden Gesprächen. Übrigens liefern viele Betriebe ihre Erzeugnisse auch ins Haus.

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Es wird festzustellen sein, dass manche Lebensmittel kaum aus der Region zu bekommen sind. Butter, die sich eigentlich leicht von der Milch absahnen lässt, wird fast nur noch in den wenigen grossen Milchwerken hergestellt, die nach der Schliessung der vielen örtlichen Molkereien übrig geblieben sind. Auch Käsespezialitäten bereiten in weiten Gebieten nur verstreute Betriebe aus Milch der Nachbarschaft zu. Zucker ist ebenfalls ein stark zentralisierter Stoff, der nur zum Teil aus heimischen Rüben extrahiert wird. Dagegen ist Honig vielerorts von ansässigen Imkereien erhältlich. Bei Kaffee und Schwarz- oder Grüntee ist Europa ganz auf ferne Anbaugebiete angewiesen, diese anregenden Substanzen werden am besten aus fairem Handel bezogen; immerhin wird Rohkaffee hier wieder häufiger in lokalen Röstereien verfeinert.

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Wenn Wertschöpfungsketten in einer Region entstehen, zum Beispiel vom Dinkelgetreide anbauenden Betrieb zu einer nahen Mühle und von dort zu einer Bäckerei, die schliesslich ein gutes Landbrot aus dem Ofen zieht, dann nutzt das vielen: Arbeitsplätze werden erhalten, Einkommen werden gesichert, die Produzierenden kennen einander und haben kurze Wege, und wer ein solches Brot erwirbt, muss nicht an Fertigbackmischungen mit unverständlichen Zutaten denken. Vorteile ergeben sich nicht nur bei Nahrungsmitteln. Aus Wolle von Schafherden, die auf Magerwiesen weiden und damit die Pflanzenvielfalt dieser Lebensräume erhalten, fertigen Manufakturen schöne Jacken oder Mützen an. Es gibt noch einheimische Textilfabriken, deren Beschäftigte anständig behandelt werden. Und es gibt neben den Filialläden der Konzerne wieder kreative Schneidereien, Schuhateliers und Taschenwerkstätten … Handwerkerinnen und Handwerker können herstellen, einrichten, gestalten und nicht zuletzt defekte Dinge instandsetzen.

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Für Bauvorhaben ist zumindest Holz aus den Wäldern der Region verfügbar, die Sägewerke haben es für verschiedene Zwecke geeignet vorrätig. Sobald es um Steine geht, wird bei Nachforschungen deutlich, dass sie bis zum Baustoffhandel meist einen weiten Weg hinter sich haben; Natursteine werden aus China und Indien hertransportiert, damit stehen Häuser stilistisch eher zufällig in einer Landschaft, und wahrscheinlich mussten Kinder in den Steinbrüchen dafür schuften. Ein Gegenbeispiel: Die Nutzpflanze Hanf wächst hierzuland wieder vermehrt auf den Feldern, mit einer günstigen Ökobilanz, und aus ihr werden neben Textilien und Papier besonders Dämmelemente für den Hausbau hergestellt.

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Energie für das alles ist ganz nah zu bekommen: aus Sonne, Wind, Wasser … Es ist möglich, von den Energiekonzernen, den desaströsen Atom- und Kohlekraftwerken und von der untauglichen Politik unabhängig zu werden. In vielen Orten sind neue Stadtwerke für die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser in lokaler und regionaler Regie gegründet worden. Ökoenergieunternehmen werben genau mit “Regionalstrom”. Der klarste Fall sind Solarzellen auf dem eigenen Dach, ähnlich naheliegend ist ein Anteil an einer Gemeinschaftsanlage.

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Und was ist mit dem Geld und der Finanzwirtschaft? Da und dort ist “Regiogeld” unter verschiedenen Namen im Umlauf, mit nachvollziehbarem Nutzen für die Beteiligten, aber ansonsten bisher symbolisch. Regionale Banken sind die Sparkassen, sie finanzieren öffentliche Projekte und sind dem allgemeinen Wohl verpflichtet. Auch überregionale ethische Banken fördern Initiativen in der Nähe.

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Hier, wo ich zu Hause bin, kann ich suchen und finden, was mir zusagt: Treffpunkte, passende, verstehbare und wertvolle Leistungen, eine wohltuende Atmosphäre. Erlebte Natur und Kultur sind der Hintergrund für Begegnungen, Austausch und Zusammenwirken. Derart können wir an unserem Ort politisch mitgestalten, und zwar so, dass wir Ergebnisse sehen.

Matthias Kunstmann / maximil

> Regionalbewegung

[Dazu:
Der Platz in der Welt
Neue Nachbarschaft]

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Stehen lernen

12. Mai 2014

Können wir stehen? Stehen ist eine Haltung, oder Art des Daseins, die viel bedeutet. Eigentlich ist es einfach, aber wenn wir uns dabei zuschauen, ist das Stehen nicht so selbstverständlich. Ein Kind, das erst nur gekrabbelt ist, zieht sich mit den Händen an einem Stuhl hoch, dann lässt es los - ein aufregender Augenblick, es hat stehen gelernt, jedoch noch nicht ganz, die Augen suchen umher, nach einem grösseren Menschen, der den kleinen bewundert, und da gerät die Balance ins Schwanken, und das Kind sitzt wieder auf dem Boden.

Im Stehen ist mehr zu sehen, der Überblick ist besser. Es ist eine Figur der Konzentration, ich bin gesammelt, ruhig und selbstbewusst. Ein Mensch verbindet so, aufrecht, Erde und Himmel. Im Gleichgewicht - und dieses braucht einen festen Stand; wenn es nicht ein Durchgangszustand ist und wir uns im Gehen oben halten.

Frauen in Kamerun (Foto: Elaine Pearson)

Mit beiden Füssen auf der Erde ist das Stehen zu spüren: Unten ist fester Boden, der trägt, und solange die Füsse ihn berühren, gibt er Halt und sogar Energie, wie den Wurzeln eines Baumes. Der Körper streckt sich. Da stimmt es: Aus der Ruhe kommt die Kraft - für die Bewegung und den Kopf.

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Die Sphinx, das rätselhafte Ungeheuer im alten Griechenland, fragte, wenn jemand an ihr vorbeiwollte: “Was ist das für ein Lebewesen, das erst vier Beine hat, dann zwei und schliesslich drei?” Ödipus wusste die Antwort: “Es ist der Mensch: Als kleines Kind bewegt er sich auf allen Vieren, dann steht er auf seinen zwei Beinen, und im Alter nimmt er einen Stock dazu.”
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Anders fühlt sich das Stehen im weichen, rieselnden Sand an. Oder das Stehen auf einem Bein, das im Ballett vollendet wird. Oder, umgekehrt schwierig, der Kopfstand. Oder das Stehen auf einem Berggipfel, über der Welt und dem Himmel näher. Oder das Stehen auf einem Seil, sodass es fast schon Fliegen ist. Aber das heisst ja Seiltanz.

Wir sitzen meistens zu viel, das ist ungesund. Im Stehen können wir, indem wir uns aus- und einschwingen, eine angenehme Form finden, von den Füssen bis zum Scheitel. Und so nach unserem Gefühl richtig stehen.

Es sollte am jeweils richtigen Ort sein: wo ich eine Situation, eine Umgebung am besten wahrnehme. Bei den Menschen, mit denen ich zusammen sein, kommunizieren und zu tun haben will. Da, wo ich mich besinnen kann. Oder an einem ungewohnten Ort, wo es eine andere Perspektive gibt, einen weiteren Horizont, und wo - auf den Füssen oder im Rollstuhl - Erfahrungen möglich sind.

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“Bleib, leg deine Schuhe ab, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden!”
Bibel, Exodus

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Zwei begrüssen einander im Stehen, blicken einander dabei in die Augen. Die Gesten sind symbolisch, bezeugen üblicherweise Respekt, Ehrlichkeit, gemeinsame Interessen, bis hin zur Zuneigung.

Wie ein Mensch zu einem Mitmenschen oder zu einer Aufgabe steht, ist im Fall von Konflikten oder Problemen oft unklar. Das psychologische Mittel der systemischen Aufstellung kann helfen, die Lage zu klären, und Impulse für Lösungen geben: Der problematische Fall wird mit wohlwollenden Unbeteiligten in Rollen und einer Szenerie, wie im Theater, dargestellt, zunächst als Standbild, dann sich verändernd in intuitiven Äusserungen, Schritten und Handlungen, bei denen alle Mitwirkenden aufeinander achten. “Ich steh zu dir!” ist schliesslich ein Wort des Vertrauens.

Duran Adam: Der Künstler, Tänzer und Choreograf Erdem Gündüz im Juni 2013 auf dem Taksim-Platz in Istanbul (Foto: N.N.)

Manchmal ist es gut, anlässlich von Ärgernissen “drüberstehen” zu können, also im Abstand zu sein und gelassen zu bleiben. In der Gemeinschaft wird verlangt, dass ich für mein Verhalten geradestehe, es verantworten kann. Und angesichts von Zumutungen, Druck, Verführung und Unrecht ist es nötig zu widerstehen. Standhalten und Anstand bewahren, sich nicht mitreissen, vereinnahmen, verbiegen lassen, selbstbestimmt sein, allein oder zusammen mit anderen (dazu ist vorstellbar, wie ein Felsen in der Brandung steht): Das zeigt Menschenwürde, und es wirkt. Physisch und als weltweites Vorbild leistet solchen Widerstand der Duran Adam, der Mensch, der steht, auf einem öffentlichen Platz, stundenlang, mit dem Gesicht in eine bedeutsame Richtung.

Wer versteht, was richtig ist, fürchtet den Stillstand nicht. Im Stehen können wir nach den Sternen greifen.

maximil

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Richtig leben - wie das gehen kann

30. Januar 2014

“Heute morgen war es ruhig, ich hatte frei und war allein, da bin ich ins Nachdenken gekommen, ich wollte etwas für mich klären: Wie lebe ich richtig? Mir ist es nicht gleich, wie ich lebe. Andere erwarten Verschiedenes von mir, meine Mitmenschen, die Gesellschaft, der Staat. Aber ich will selbst über mein Leben bestimmen. Richtig leben, was ist das? Was meint ihr?”
“Richtig leben, das ist für mich: voll da sein, es gut haben, geniessen …”
“Ja, ohne Probleme, niemand macht mir Stress …”
“Wenn ich gar nicht mehr nachdenken muss, alles läuft von selbst.”
“So weit bin ich noch nicht, ich muss das doch irgendwie anfangen. Wissen, was ich will. Und mich dann entsprechend verhalten.”
“Das sehe ich auch so. Die Frage ist, wie ich da entscheide. Möglich ist ja viel. Manches ist nicht möglich, oder ich bekomme Ärger. Soll ich es ausprobieren?”
“Sei so frei! Dabei gibt es Regeln, die Jahrtausende alt sind, vielleicht sind sie naturgegeben, und die werden uns von Kind auf nahegebracht. Regeln, wie wir uns verhalten sollen, Ethik. Damit keine unnötigen Konflikte entstehen.”
“Dabei wird gerade über diese ethischen Regeln immer wieder gestritten …”
“Das hat sich auch im Lauf der Zeit geändert, was für falsch oder richtig gehalten wird.”

(Beispiel: Superbia)

“Nehmen wir als Beispiel einen Fehler, der einstmals einer der schlimmsten war, sodass die menschliche Gemeinschaft überlegen musste, wie die Betroffenen gebessert werden konnten. Es ist die Selbstüberschätzung, mit anderen Worten Arroganz, Überheblichkeit, Anmassung, Hochmut, Grössenwahn, Eitelkeit, Egoismus. Klassisch wurde vom Laster der ‘Superbia’ gesprochen. Mit einer solchen Einstellung setzt sich ein Mensch über andere, er hält sich für besser, als er ist, und für wichtiger als die anderen, lässt ausser Acht, dass allen die gleiche Würde und die gleichen Rechte zustehen. Damit haben wir es heute wie früher zu tun, im Persönlichen und in der Politik. Aber wie es aussieht, gilt dieser Fehler oft als normal. Angeblich muss sich jeder und jede im Wettbewerb behaupten. Und es wird geglaubt, mit Wissenschaft und Technologie bekämen wir alles in den Griff.”
“Wenn die Selbstkritik fehlt, wird es nervend und auch gefährlich.”
“Wir sollten die Beziehungen zwischen den Menschen pflegen.”

(Beispiel: Luxuria)

“Ein anderer Fehler, der uns besonders zu schaffen macht, ist die Grenzverletzung, Masslosigkeit, Übergriffigkeit, exzessiver Luxus, Verschwendung, Destruktivität, früher ‘Luxuria’ genannt. Das scheint zu unserer Kultur zu gehören und immer heftiger zu werden. Es ist eine mögliche Folge der Freiheit, die wir beanspruchen, zunehmenden Wissens und der entwickelten Fähigkeiten. Viele Menschen sind orientierungslos, lassen sich von Trieben oder irgendwelchen Vorgaben und Moden leiten. Für sie ist es beliebig, womit sie sich beschäftigen. Sie verzichten auf Bewusstsein. Und so sammeln Geheimdienste persönliche Daten, verkaufen Unternehmen Produkte ungeachtet der Risiken, werden Gene manipuliert und die menschliche Fortpflanzung programmiert, die Natur wird aus dem Gleichgewicht gebracht.”
“Da braucht es Bildung, damit Werte entdeckt werden und eigene Entscheidungen möglich sind.”
“Und es braucht die Ehrfurcht vor dem Leben, von der Albert Schweitzer gesprochen hat.”

(Beispiel: Gula)

“Noch ein schwerer Fehler: die Gier, das Habenwollen, Sucht, Ausbeutung, Wohlstandskult und der Glaube an unendliches Wachstum - einst war dergleichen bekannt als ‘Gula’. Wahrscheinlich ist das ein Fehler, weil etwas fehlt. Menschen empfinden eine innere Leere und wollen sie füllen. Statt Lust zu spüren zu etwas Sinnvollem.”
“Das würde Überernährung erklären, Konsumieren um jeden Preis, das dauernde Bedürfnis nach Unterhaltung, Medienreizen, immer Neuem.”
“Wohlstand bringt noch lange nicht Wohlbefinden.”

(Beispiel: Temperantia)

“Mängel werden also gelegentlich zu Vorteilen uminterpretiert. Damit täuschen sich die Betroffenen. Es ist auch im Interesse derjenigen, die von den Bedürfnissen anderer profitieren.”
“Das macht es nicht leichter, das Richtige zu finden.”
“Schauen wir mal. Eines, was ich sehe, kann in vielen Fällen helfen: Mässigung, oder anders gesagt Besinnung, Zurückhaltung, Bescheidenheit, Rücksicht, Achtsamkeit, das, was früher als ‘Temperantia’ bezeichnet wurde und eine der sogenannten Tugenden war. In unserer Zeit wird das nicht so sehr geschätzt. Aber ich habe gemerkt, dass es guttut.”
“Das heisst wohl, zu erkennen, was ich wirklich brauche und wie ich es am besten erreiche.”
“Vor allem wäre zu klären, wofür ich leben will.”
“Bescheidenheit muss ja nicht heissen, dass wir nicht unseren Träumen folgen und Bedeutendes verwirklichen.”

(Beispiel: Iustitia)

“Wichtig als Einstellung und Verhalten ist gleichermassen die Gerechtigkeit oder ‘Iustitia’. Alle sollen zu ihrem Recht kommen, sich entfalten können. Das ist eine persönliche und politische Aufgabe.”
“Dazu müssen wir kommunizieren. Sodass es einen Austausch ergibt, und Gemeinsamkeit.”
“Ich finde, dazu gehören Verständnis, Mitgefühl, Empathie.”
“Ich versuche wahrzunehmen, was du wahrnimmst.”
“Verantwortlich sein - ich will das, was ich tue, vertreten können, mit Gründen, die für andere nachvollziehbar sind.”

(Beispiel: Caritas)

“Uns kommt es auf Werte an. Vor allem ist da die Liebe zu sehen, als ‘Caritas’ bezeichnet, Zuwendung, Geben, Schenken, Helfen, Pflegen, Heilen - es gibt so viele Möglichkeiten: Freigebigkeit, Grosszügigkeit, Einsatz, Engagement, Zivilcourage, Friedfertigkeit, Menschlichkeit …”
“Alles das ist freiwillig. Zeitweise handle ich von selbst so, dann bin ich wieder sehr mit meinen eigenen Angelegenheiten befasst. Ich habe aber festgestellt: Wenn ich aufmerksam für andere bin, werde ich lockerer und offener, und es wirkt meistens bereichernd auf mich.”
“Leistung, fällt mir ein, ist auch ein Vorteil. Aber sie schädigt, wenn sie verlangt wird, um die Konkurrenz zwischen Menschen zu verschärfen und die Sozialleistungen zu verringern. Anders ist es, frei etwas für Mitmenschen oder die Gemeinschaft zu leisten.”
“Jetzt ist mir klarer, was richtig sein kann.”

(Etwas anders leben)

“Wie ich Konsequenzen ziehe, ist noch nicht so deutlich. Da sind Gewohnheiten, die sind oft hinderlich. Manche sind auch hilfreich.”
“Erkenntnis ist ein Anfang. Eigenschaften meines Charakters beobachten, die ich ablehne, und solche, die ich befürworte, Schwächen und Stärken. Wenn wir anders leben wollen, sollten wir es einüben. Dann wird sich etwas ereignen.”
“Wir können uns dabei bewusst sein, dass es um Glück geht.”
“Ich kann zumindest immer mal wieder zufrieden sein.”
“Weil es stimmt.”

maximil

[Dazu:
Was tun für gutes Leben?]

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Was uns schadet - was wir brauchen

28. November 2013

SIEBEN SOZIALE SÜNDEN

“Politik ohne Grundsätze

Reichtum ohne Arbeit

Genuss ohne Gewissen

Wissen ohne Charakter

Geschäft ohne Moral

Wissenschaft ohne Menschlichkeit

Religion ohne Hingabe”

Mahatma Gandhi, aus “Seven Social Sins”, in “Young India” 22.10.1925, aus dem Englischen übersetzt von maximil

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