Ich will wissen, wo dieses Hemd produziert worden ist, das im Textilgeschäft angeboten wird und mir gefällt: in was für einem Betrieb, unter welchen Bedingungen die Arbeiterinnen es genäht haben, wie die Pflanzen für den Stoff geerntet und zu Leinenfasern aufbereitet worden sind. Diese Äpfel, woher kommen sie, womit wurden sie behandelt, dass sie so glänzen? Hier die Tiefkühlpizza im Supermarkt, was ist da alles drin und drauf - vielleicht Palmfett von Plantagen, für die Tropenwald gerodet worden ist? Wurden die Eier, deren Verpackung einen urigen Bauernhof zeigt, von glücklichen Hühnern gelegt? Mich interessiert auch, welches Unternehmen die neue Waschmaschine verantwortet und wer mir so ein Gerät notfalls zuverlässig repariert. Der Strom kommt aus der Steckdose, aber vorher aus was für Energieanlagen? Eine andere Frage von vielen, die ich mir manchmal stelle: Welche Geschäfte macht meine Bank mit meinem Geld?
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Wir können nicht immer über alles informiert sein, aber Wissen ist doch angenehm. Es bedeutet im wirtschaftlichen Bereich: Die Auswahl fällt leichter, die Entscheidungen werden stimmiger, und ein Stück Welt lässt sich positiv beeinflussen.
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Vor 50 Jahren waren diese Angelegenheiten noch einfach und überschaubar. Es war normal, in Dörfern und kleinen Städten zu leben und sie wochenlang nicht zu verlassen. Was für den alltäglichen Bedarf gebraucht wurde, war da: Arbeitsplätze, eine Schule, mindestens eine Bäckerei, eine Metzgerei mit Milchverkauf, die von einer nahe gelegenen Molkerei beliefert wurde, eine Gärtnerei mit Gemüse und Obst, ein Geschäft für haltbare Lebensmittel sowie Reinigungsartikel, Werkzeug und andere Haushaltswaren, eine Schreinerei für Möbel nach Mass, eine Ziegelei für den Hausbau. Das Trinkwasser wurde auf dem Land für jedes Haus aus einem eigenen Brunnen gepumpt, von Hand oder oft schon mit Motor, und floss noch nicht über Kilometer durch Rohre einer zentralen Versorgung. Die wenigsten Menschen brauchten ein Auto, die Bauern, die ihre Kartoffeln und Eier auf dem Hof holen liessen oder unter die Leute brachten, hatten allerdings einen Traktor mit Anhänger und zusammen eine Dreschmaschine, und der Arzt aus der Stadt brauchte eines. Die Schulkinder haben das Lied von den fleissigen Handwerkern gelernt und mit der Lehrerin den Bäcker in der Backstube und den Schreiner in der Werkstatt besucht. Und das Dorf hatte noch einen eigenen Gemeinderat, um über seine Belange zu diskutieren und zu beschliessen.
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Ein solches Leben erscheint heute beschränkt. Wünsche nach so etwas sind aber immer wieder spürbar, nach einer Gegend, in der wir uns auskennen, in der wir Erinnernswertes erlebt haben, sodass sie uns vertraut ist - ein Ort, der uns Gemeinschaft schenkt, ein Land, in dem wir uns wohlfühlen. Deshalb ist es folgerichtig, dass wir uns auf die weiter oder neu vorhandenen Möglichkeiten, Ressourcen, Schätze gegebener Regionen besinnen, konkret auf das, was sich am Wohnort und in der Landschaft darum herum eröffnet.
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Ein Zugang sind die städtischen Wochenmärkte, auf denen Bäuerinnen und Bauern der Umgebung Lebensmittel anbieten. An den Ständen stehen ihre Adressen. Jedoch ist nicht alles auf ihren Höfen erzeugt: Sie kaufen oft im Grossmarkt zu, um ein rundes Sortiment vorweisen zu können, mit Früchten, die bei ihnen gerade nicht oder überhaupt nicht wachsen. Eigenes ist eventuell gekennzeichnet, wenn nicht, empfiehlt es sich zu fragen. Auch Supermärkte, speziell Biogeschäfte, bieten Regionales an. Da ist es eine Idee, bei einem Radausflug einen solchen Bauernhof einmal anzuschauen. Der hat häufig einen Hofladen mit Ware frisch vom Acker und aus dem Stall, mit Getreide, das zu Hause gemahlen aromatisches Vollkornmehl ergibt, mit getrockneten Hülsenfrüchten, mit Eiern und Milch von Tieren, die sich sehen lassen. In Weingegenden wird auf den Winzerhöfen das Genussmittel verkauft, das aus den Trauben als natürlichen Rohstoffen durch einen aufwendigen Weiterverarbeitungsprozess gewonnen wird. Wer sich interessiert, hat auf den Höfen des Weinbaus wie sonst der Landwirtschaft meistens die Gelegenheit zu weitreichenden Gesprächen. Übrigens liefern viele Betriebe ihre Erzeugnisse auch ins Haus.
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Es wird festzustellen sein, dass manche Lebensmittel kaum aus der Region zu bekommen sind. Butter, die sich eigentlich leicht von der Milch absahnen lässt, wird fast nur noch in den wenigen grossen Milchwerken hergestellt, die nach der Schliessung der vielen örtlichen Molkereien übrig geblieben sind. Auch Käsespezialitäten bereiten in weiten Gebieten nur verstreute Betriebe aus Milch der Nachbarschaft zu. Zucker ist ebenfalls ein stark zentralisierter Stoff, der nur zum Teil aus heimischen Rüben extrahiert wird. Dagegen ist Honig vielerorts von ansässigen Imkereien erhältlich. Bei Kaffee und Schwarz- oder Grüntee ist Europa ganz auf ferne Anbaugebiete angewiesen, diese anregenden Substanzen werden am besten aus fairem Handel bezogen; immerhin wird Rohkaffee hier wieder häufiger in lokalen Röstereien verfeinert.
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Wenn Wertschöpfungsketten in einer Region entstehen, zum Beispiel vom Dinkelgetreide anbauenden Betrieb zu einer nahen Mühle und von dort zu einer Bäckerei, die schliesslich ein gutes Landbrot aus dem Ofen zieht, dann nutzt das vielen: Arbeitsplätze werden erhalten, Einkommen werden gesichert, die Produzierenden kennen einander und haben kurze Wege, und wer ein solches Brot erwirbt, muss nicht an Fertigbackmischungen mit unverständlichen Zutaten denken. Vorteile ergeben sich nicht nur bei Nahrungsmitteln. Aus Wolle von Schafherden, die auf Magerwiesen weiden und damit die Pflanzenvielfalt dieser Lebensräume erhalten, fertigen Manufakturen schöne Jacken oder Mützen an. Es gibt noch einheimische Textilfabriken, deren Beschäftigte anständig behandelt werden. Und es gibt neben den Filialläden der Konzerne wieder kreative Schneidereien, Schuhateliers und Taschenwerkstätten … Handwerkerinnen und Handwerker können herstellen, einrichten, gestalten und nicht zuletzt defekte Dinge instandsetzen.
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Für Bauvorhaben ist zumindest Holz aus den Wäldern der Region verfügbar, die Sägewerke haben es für verschiedene Zwecke geeignet vorrätig. Sobald es um Steine geht, wird bei Nachforschungen deutlich, dass sie bis zum Baustoffhandel meist einen weiten Weg hinter sich haben; Natursteine werden aus China und Indien hertransportiert, damit stehen Häuser stilistisch eher zufällig in einer Landschaft, und wahrscheinlich mussten Kinder in den Steinbrüchen dafür schuften. Ein Gegenbeispiel: Die Nutzpflanze Hanf wächst hierzuland wieder vermehrt auf den Feldern, mit einer günstigen Ökobilanz, und aus ihr werden neben Textilien und Papier besonders Dämmelemente für den Hausbau hergestellt.
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Energie für das alles ist ganz nah zu bekommen: aus Sonne, Wind, Wasser … Es ist möglich, von den Energiekonzernen, den desaströsen Atom- und Kohlekraftwerken und von der untauglichen Politik unabhängig zu werden. In vielen Orten sind neue Stadtwerke für die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser in lokaler und regionaler Regie gegründet worden. Ökoenergieunternehmen werben genau mit “Regionalstrom”. Der klarste Fall sind Solarzellen auf dem eigenen Dach, ähnlich naheliegend ist ein Anteil an einer Gemeinschaftsanlage.
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Und was ist mit dem Geld und der Finanzwirtschaft? Da und dort ist “Regiogeld” unter verschiedenen Namen im Umlauf, mit nachvollziehbarem Nutzen für die Beteiligten, aber ansonsten bisher symbolisch. Regionale Banken sind die Sparkassen, sie finanzieren öffentliche Projekte und sind dem allgemeinen Wohl verpflichtet. Auch überregionale ethische Banken fördern Initiativen in der Nähe.
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Hier, wo ich zu Hause bin, kann ich suchen und finden, was mir zusagt: Treffpunkte, passende, verstehbare und wertvolle Leistungen, eine wohltuende Atmosphäre. Erlebte Natur und Kultur sind der Hintergrund für Begegnungen, Austausch und Zusammenwirken. Derart können wir an unserem Ort politisch mitgestalten, und zwar so, dass wir Ergebnisse sehen.
Können wir stehen? Stehen ist eine Haltung, oder Art des Daseins, die viel bedeutet. Eigentlich ist es einfach, aber wenn wir uns dabei zuschauen, ist das Stehen nicht so selbstverständlich. Ein Kind, das erst nur gekrabbelt ist, zieht sich mit den Händen an einem Stuhl hoch, dann lässt es los - ein aufregender Augenblick, es hat stehen gelernt, jedoch noch nicht ganz, die Augen suchen umher, nach einem grösseren Menschen, der den kleinen bewundert, und da gerät die Balance ins Schwanken, und das Kind sitzt wieder auf dem Boden.
Im Stehen ist mehr zu sehen, der Überblick ist besser. Es ist eine Figur der Konzentration, ich bin gesammelt, ruhig und selbstbewusst. Ein Mensch verbindet so, aufrecht, Erde und Himmel. Im Gleichgewicht - und dieses braucht einen festen Stand; wenn es nicht ein Durchgangszustand ist und wir uns im Gehen oben halten.
Frauen in Kamerun (Foto: Elaine Pearson)
Mit beiden Füssen auf der Erde ist das Stehen zu spüren: Unten ist fester Boden, der trägt, und solange die Füsse ihn berühren, gibt er Halt und sogar Energie, wie den Wurzeln eines Baumes. Der Körper streckt sich. Da stimmt es: Aus der Ruhe kommt die Kraft - für die Bewegung und den Kopf.
———————————————————————————————– Die Sphinx, das rätselhafte Ungeheuer im alten Griechenland, fragte, wenn jemand an ihr vorbeiwollte: “Was ist das für ein Lebewesen, das erst vier Beine hat, dann zwei und schliesslich drei?” Ödipus wusste die Antwort: “Es ist der Mensch: Als kleines Kind bewegt er sich auf allen Vieren, dann steht er auf seinen zwei Beinen, und im Alter nimmt er einen Stock dazu.”
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Anders fühlt sich das Stehen im weichen, rieselnden Sand an. Oder das Stehen auf einem Bein, das im Ballett vollendet wird. Oder, umgekehrt schwierig, der Kopfstand. Oder das Stehen auf einem Berggipfel, über der Welt und dem Himmel näher. Oder das Stehen auf einem Seil, sodass es fast schon Fliegen ist. Aber das heisst ja Seiltanz.
Wir sitzen meistens zu viel, das ist ungesund. Im Stehen können wir, indem wir uns aus- und einschwingen, eine angenehme Form finden, von den Füssen bis zum Scheitel. Und so nach unserem Gefühl richtig stehen.
Es sollte am jeweils richtigen Ort sein: wo ich eine Situation, eine Umgebung am besten wahrnehme. Bei den Menschen, mit denen ich zusammen sein, kommunizieren und zu tun haben will. Da, wo ich mich besinnen kann. Oder an einem ungewohnten Ort, wo es eine andere Perspektive gibt, einen weiteren Horizont, und wo - auf den Füssen oder im Rollstuhl - Erfahrungen möglich sind.
———————————————————————————————– “Bleib, leg deine Schuhe ab, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden!”
Bibel, Exodus
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Zwei begrüssen einander im Stehen, blicken einander dabei in die Augen. Die Gesten sind symbolisch, bezeugen üblicherweise Respekt, Ehrlichkeit, gemeinsame Interessen, bis hin zur Zuneigung.
Wie ein Mensch zu einem Mitmenschen oder zu einer Aufgabe steht, ist im Fall von Konflikten oder Problemen oft unklar. Das psychologische Mittel der systemischen Aufstellung kann helfen, die Lage zu klären, und Impulse für Lösungen geben: Der problematische Fall wird mit wohlwollenden Unbeteiligten in Rollen und einer Szenerie, wie im Theater, dargestellt, zunächst als Standbild, dann sich verändernd in intuitiven Äusserungen, Schritten und Handlungen, bei denen alle Mitwirkenden aufeinander achten. “Ich steh zu dir!” ist schliesslich ein Wort des Vertrauens.
Duran Adam: Der Künstler, Tänzer und Choreograf Erdem Gündüz im Juni 2013 auf dem Taksim-Platz in Istanbul (Foto: N.N.)
Manchmal ist es gut, anlässlich von Ärgernissen “drüberstehen” zu können, also im Abstand zu sein und gelassen zu bleiben. In der Gemeinschaft wird verlangt, dass ich für mein Verhalten geradestehe, es verantworten kann. Und angesichts von Zumutungen, Druck, Verführung und Unrecht ist es nötig zu widerstehen. Standhalten und Anstand bewahren, sich nicht mitreissen, vereinnahmen, verbiegen lassen, selbstbestimmt sein, allein oder zusammen mit anderen (dazu ist vorstellbar, wie ein Felsen in der Brandung steht): Das zeigt Menschenwürde, und es wirkt. Physisch und als weltweites Vorbild leistet solchen Widerstand der Duran Adam, der Mensch, der steht, auf einem öffentlichen Platz, stundenlang, mit dem Gesicht in eine bedeutsame Richtung.
Wer versteht, was richtig ist, fürchtet den Stillstand nicht. Im Stehen können wir nach den Sternen greifen.
“Heute morgen war es ruhig, ich hatte frei und war allein, da bin ich ins Nachdenken gekommen, ich wollte etwas für mich klären: Wie lebe ich richtig? Mir ist es nicht gleich, wie ich lebe. Andere erwarten Verschiedenes von mir, meine Mitmenschen, die Gesellschaft, der Staat. Aber ich will selbst über mein Leben bestimmen. Richtig leben, was ist das? Was meint ihr?”
“Richtig leben, das ist für mich: voll da sein, es gut haben, geniessen …”
“Ja, ohne Probleme, niemand macht mir Stress …”
“Wenn ich gar nicht mehr nachdenken muss, alles läuft von selbst.”
“So weit bin ich noch nicht, ich muss das doch irgendwie anfangen. Wissen, was ich will. Und mich dann entsprechend verhalten.”
“Das sehe ich auch so. Die Frage ist, wie ich da entscheide. Möglich ist ja viel. Manches ist nicht möglich, oder ich bekomme Ärger. Soll ich es ausprobieren?”
“Sei so frei! Dabei gibt es Regeln, die Jahrtausende alt sind, vielleicht sind sie naturgegeben, und die werden uns von Kind auf nahegebracht. Regeln, wie wir uns verhalten sollen, Ethik. Damit keine unnötigen Konflikte entstehen.”
“Dabei wird gerade über diese ethischen Regeln immer wieder gestritten …”
“Das hat sich auch im Lauf der Zeit geändert, was für falsch oder richtig gehalten wird.”
(Beispiel: Superbia)
“Nehmen wir als Beispiel einen Fehler, der einstmals einer der schlimmsten war, sodass die menschliche Gemeinschaft überlegen musste, wie die Betroffenen gebessert werden konnten. Es ist die Selbstüberschätzung, mit anderen Worten Arroganz, Überheblichkeit, Anmassung, Hochmut, Grössenwahn, Eitelkeit, Egoismus. Klassisch wurde vom Laster der ‘Superbia’ gesprochen. Mit einer solchen Einstellung setzt sich ein Mensch über andere, er hält sich für besser, als er ist, und für wichtiger als die anderen, lässt ausser Acht, dass allen die gleiche Würde und die gleichen Rechte zustehen. Damit haben wir es heute wie früher zu tun, im Persönlichen und in der Politik. Aber wie es aussieht, gilt dieser Fehler oft als normal. Angeblich muss sich jeder und jede im Wettbewerb behaupten. Und es wird geglaubt, mit Wissenschaft und Technologie bekämen wir alles in den Griff.”
“Wenn die Selbstkritik fehlt, wird es nervend und auch gefährlich.”
“Wir sollten die Beziehungen zwischen den Menschen pflegen.”
(Beispiel: Luxuria)
“Ein anderer Fehler, der uns besonders zu schaffen macht, ist die Grenzverletzung, Masslosigkeit, Übergriffigkeit, exzessiver Luxus, Verschwendung, Destruktivität, früher ‘Luxuria’ genannt. Das scheint zu unserer Kultur zu gehören und immer heftiger zu werden. Es ist eine mögliche Folge der Freiheit, die wir beanspruchen, zunehmenden Wissens und der entwickelten Fähigkeiten. Viele Menschen sind orientierungslos, lassen sich von Trieben oder irgendwelchen Vorgaben und Moden leiten. Für sie ist es beliebig, womit sie sich beschäftigen. Sie verzichten auf Bewusstsein. Und so sammeln Geheimdienste persönliche Daten, verkaufen Unternehmen Produkte ungeachtet der Risiken, werden Gene manipuliert und die menschliche Fortpflanzung programmiert, die Natur wird aus dem Gleichgewicht gebracht.”
“Da braucht es Bildung, damit Werte entdeckt werden und eigene Entscheidungen möglich sind.”
“Und es braucht die Ehrfurcht vor dem Leben, von der Albert Schweitzer gesprochen hat.”
(Beispiel: Gula)
“Noch ein schwerer Fehler: die Gier, das Habenwollen, Sucht, Ausbeutung, Wohlstandskult und der Glaube an unendliches Wachstum - einst war dergleichen bekannt als ‘Gula’. Wahrscheinlich ist das ein Fehler, weil etwas fehlt. Menschen empfinden eine innere Leere und wollen sie füllen. Statt Lust zu spüren zu etwas Sinnvollem.”
“Das würde Überernährung erklären, Konsumieren um jeden Preis, das dauernde Bedürfnis nach Unterhaltung, Medienreizen, immer Neuem.”
“Wohlstand bringt noch lange nicht Wohlbefinden.”
(Beispiel: Temperantia)
“Mängel werden also gelegentlich zu Vorteilen uminterpretiert. Damit täuschen sich die Betroffenen. Es ist auch im Interesse derjenigen, die von den Bedürfnissen anderer profitieren.”
“Das macht es nicht leichter, das Richtige zu finden.”
“Schauen wir mal. Eines, was ich sehe, kann in vielen Fällen helfen: Mässigung, oder anders gesagt Besinnung, Zurückhaltung, Bescheidenheit, Rücksicht, Achtsamkeit, das, was früher als ‘Temperantia’ bezeichnet wurde und eine der sogenannten Tugenden war. In unserer Zeit wird das nicht so sehr geschätzt. Aber ich habe gemerkt, dass es guttut.”
“Das heisst wohl, zu erkennen, was ich wirklich brauche und wie ich es am besten erreiche.”
“Vor allem wäre zu klären, wofür ich leben will.”
“Bescheidenheit muss ja nicht heissen, dass wir nicht unseren Träumen folgen und Bedeutendes verwirklichen.”
(Beispiel: Iustitia)
“Wichtig als Einstellung und Verhalten ist gleichermassen die Gerechtigkeit oder ‘Iustitia’. Alle sollen zu ihrem Recht kommen, sich entfalten können. Das ist eine persönliche und politische Aufgabe.”
“Dazu müssen wir kommunizieren. Sodass es einen Austausch ergibt, und Gemeinsamkeit.”
“Ich finde, dazu gehören Verständnis, Mitgefühl, Empathie.”
“Ich versuche wahrzunehmen, was du wahrnimmst.”
“Verantwortlich sein - ich will das, was ich tue, vertreten können, mit Gründen, die für andere nachvollziehbar sind.”
(Beispiel: Caritas)
“Uns kommt es auf Werte an. Vor allem ist da die Liebe zu sehen, als ‘Caritas’ bezeichnet, Zuwendung, Geben, Schenken, Helfen, Pflegen, Heilen - es gibt so viele Möglichkeiten: Freigebigkeit, Grosszügigkeit, Einsatz, Engagement, Zivilcourage, Friedfertigkeit, Menschlichkeit …”
“Alles das ist freiwillig. Zeitweise handle ich von selbst so, dann bin ich wieder sehr mit meinen eigenen Angelegenheiten befasst. Ich habe aber festgestellt: Wenn ich aufmerksam für andere bin, werde ich lockerer und offener, und es wirkt meistens bereichernd auf mich.”
“Leistung, fällt mir ein, ist auch ein Vorteil. Aber sie schädigt, wenn sie verlangt wird, um die Konkurrenz zwischen Menschen zu verschärfen und die Sozialleistungen zu verringern. Anders ist es, frei etwas für Mitmenschen oder die Gemeinschaft zu leisten.”
“Jetzt ist mir klarer, was richtig sein kann.”
(Etwas anders leben)
“Wie ich Konsequenzen ziehe, ist noch nicht so deutlich. Da sind Gewohnheiten, die sind oft hinderlich. Manche sind auch hilfreich.”
“Erkenntnis ist ein Anfang. Eigenschaften meines Charakters beobachten, die ich ablehne, und solche, die ich befürworte, Schwächen und Stärken. Wenn wir anders leben wollen, sollten wir es einüben. Dann wird sich etwas ereignen.”
“Wir können uns dabei bewusst sein, dass es um Glück geht.”
“Ich kann zumindest immer mal wieder zufrieden sein.”
“Weil es stimmt.”
Schülerinnen und Schüler gestalten in Karlsruhe eine Woche lang ein internationales Bildungsprogramm
Die wichtigen Angelegenheiten des Lebens werden in der Schule meistens zu wenig behandelt. Bildung findet natürlich an verschiedenen Orten statt. Junge Leute können aber zu den Themen, die für sie interessant sind, ein eigenes schulisches Programm organisieren. Sie tun das in Karlsruhe jährlich für die “Schülertage”: Von Schülerinnen und Schülern selbst verantwortet geht es eine Woche lang in Seminaren und Arbeitsgruppen um Menschenrechte, Globalisierung, Umwelt, Nachhaltigkeit, Bildungssysteme, Konfliktlösungen, Migration, Kulturen, Religionen, Medien … Gleichaltrige Referentinnen und Referenten kommen auch aus anderen Kontinenten, und bis zu 1500 Schülerinnen und Schüler nehmen jedes Jahr teil.
Von einem Weltkongress der Jugend 2003 in Marokko ist die Idee nach Karlsruhe gelangt. Unterstützt von der Stadt und vielen Schulen haben sich immer wieder Jugendliche zur aufwendigen Vorbereitung zusammengefunden. Zu den Schülertagen 2013 vom 30. September bis zum 4. Oktober unter dem Titel “Kontrastprogramm” sind alle Karlsruher Schülerinnen und Schüler ab Klassenstufe 9 eingeladen, sich an den Vormittagen in der Pädagogischen Hochschule zu bilden. Mitwirkende aus Burkina Faso, Mosambik, Südafrika und von den Philippinen berichten und beantworten Fragen. Zu den Themen gehören das Recht auf Wasser, der Waffenhandel, traditionelles Wissen. Am 4. Oktober ist das Programm zum ersten Mal öffentlich, denn es hat auch Älteren etwas zu bieten.
ier sein. Im Korbsessel mit dem kühlen Kissen, auf dem rissigen Holzboden, dicht an der gekalkten Wand. Manchmal kann ich ganz hier sein. Die Gedanken laufen nicht mehr zum letzten nervigen Telefongespräch, sie kehren auch zusammen mit den besorgten Gefühlen von dem Vermittlungstermin morgen zurück zu mir. Ich sitze hier, an diesem Ort, an dem nur ich bin. Einzigartig. Ich spüre. Atme. Bin mitten in der Welt.
ch geniesse diesen Moment. Danach bin ich anders als vorher, das ist meine Erfahrung. Ich bin präsenter, selbstbewusster, freier. Weiss genauer, worauf es ankommt. Ich wende mich meinen Mitmenschen achtsamer zu.
olches Hiersein und das, was daraus folgt, lässt sich religiös oder spirituell nennen. Es ist mehr als ein Verhalten oder eine Methode. Für mich ist es ein ursprüngliches Erlebnis. Es gelingt mir nicht einfach, wenn ich es will. Aber ich suche es. Dieses und anderes.
raussen kenne ich einen Baum, eine grosse Linde am Rand einer Kräuterwiese. Vor dieser Linde, in gewissem Abstand, stehe ich andächtig. Diesmal sehe ich von mir ab und schaue auf die Linde. Ich gehe aus mir heraus. Ich lasse mich nicht stören. Ich nehme wahr. Wie sie da auf dem Erdboden steht. Wie ihre Äste, Zweige, Blätter und die zarten geflügelten Blüten in der Luft sind, vor dem Himmel. Ich kann den Baum nicht erklären und will es nicht. Ich ahne schon vieles. Vielleicht ist in der Linde eine Seele.
ie strenge Wissenschaft würde dies als unsinnig einstufen. Aber was ich mir vorstellen kann, ist da. Nur nicht greifbar oder festlegbar. Es ist immer wieder wunderbar. Bereichernd. Wie Musik - früher wurde angenommen, dass sie von den Klängen der Sterne kommt. Ich werde berührt, von weit her, und empfinde das Mögliche als so wirklich, dass es mich ein wenig erneuern kann. Zur Kultur gehört die Poesie, das ist verständlich und erfreulich.
enn ich religiös inspiriert lebe, werden Beziehungen geschaffen und gestaltet. Das kann so geschehen: Ich schreibe einer Freundin einen Brief, auf echtem Papier, mit einem Tintenstift. In Ruhe sinne ich nach, wie es ihr gerade geht und was sie besonders interessiert, und erzähle ihr meine Geschichten. Mit meiner Schrift. Für ihr Leben. Ein andermal spreche ich auf der Strasse mit einem Fremden, der unsicher scheint, und auch da weiss ich intuitiv, was ich tue und wofür es gut ist. Gleich in welcher Situation ich mit einem Menschen zu tun habe, es ist nie zufällig, sondern bedeutet etwas. Ein Philosoph hat formuliert: “Um Religion zu haben, muss der Mensch erst die Menschheit gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und durch Liebe.” (*) Für mich ist es richtig, alles Leben zu lieben.
chön, wenn das, was wir erleben, zusammenstimmt. Wenn ich kritisch mit mir und anderen einig bin. Wenn wir dem Ganzen vertrauen. In Glaubensgemeinschaften wie den Religionen kann sich dies ereignen. Ihre Festlegungen, Vorschriften und Machtstrukturen sind allerdings auch hinderlich. Ebenso wie das, was unsere globale Zivilisation nahelegt: aufwendiger Konsum, mediale Illusionen, Selbstoptimierung. Die Aufgabe der Religionen ist, die Erinnerung an das wirklich Wichtige wachzuhalten und das gute, begeisterte Leben zu vergegenwärtigen. Glauben heisst für mich aber nur vermuten. Lieber möchte ich hoffen.
Claire Destinée
(* Friedrich Schleiermacher, “Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern”, Berlin 1799, S. 89)
Nachbarn können nervig sein. Oft verstehen sie einander so wenig, dass Streit um Kleinigkeiten eskaliert und die Justiz beansprucht. Denn ihre Nähe zueinander konfrontiert sie immer wieder. Die gemeinsame Grenze trennt und verbindet. Von wegen über Grenzen hinausgehen! Das hiesse den anderen zu nahe treten.
ZURECHTGERÜCKT
Früher hat ein Nachbar auch mal im Dunkeln einen Grenzstein versetzt, um sein Gelände zu vergrössern. Dafür musste er, so erzählten die Leute, nach seinem Tod als Geist umgehen, mit dem Stein auf dem Rücken. Des Nachts erschreckte er manch einen, der draussen unterwegs war, und fragte mit dumpfer Stimme: “Wo soll ich ihn hintun?” Erst wenn einer auf die richtige Antwort kam, nämlich: “Dahin, wo du ihn hergenommen hast!”, war der Nachbarschaftsstörer erlöst.
AUSTAUSCH
Wenn Nachbarn oder Nachbarinnen miteinander auskommen, kann es ihnen viel bringen: Austausch von Wichtigem, das den Wohnort betrifft, und gegenseitige Hilfe, gleich ob ein Haushalt für spontane Gäste zum Kaffee Milch und Zucker braucht, ob eine Familie die Nachbarskinder hütet oder gemeinsam ein Freisitz gebaut wird. Mit Hausfesten, Strassenfesten gestalten sie begeisternde und erinnernswerte gemeinschaftliche Ereignisse. Nachbarschaft im weiteren Kreis des Stadtteils oder der Siedlung lebt in Kindertagesstätten, Jugendzentren, Lokalen, der den Interessen entsprechenden Vielfalt der Vereine.
MOBIL ALLEIN
Aber an vielen anderen Orten geht nichts zusammen. In urbanen Räumen leben Menschen Wand an Wand nebeneinander her. Nachbarn auf derselben Etage grüssen sich gerade noch und lernen einander nicht kennen. Manche verspüren kein Bedürfnis, Kontakt aufzunehmen, manche finden keine passende Gelegenheit. Das ist immer häufiger so. Die Mobilität, die angesagt und gefordert ist, führt dazu, dass Berufstätige fern von zu Hause arbeiten, lang unterwegs sind, auch Wochen auswärts bleiben. Die Wohnung ist für sie nur ein Stützpunkt, und bei einer neuen Tätigkeit oder einer neuen Beziehung wird sie schnell gewechselt, wie auch der Wohnort. So können kaum noch nachbarschaftliche Beziehungen zustande kommen - während Menschen immer üblicher allein wohnen. Um nicht unter Einsamkeit zu leiden, wird Nähe mittels Telekommunikation, auf Internetplattformen oder im Fernsehen gesucht. Dort ist die “Lindenstrasse” die emotional wärmende Utopie einer Nachbarschaft.
RÜCKZUG
Auf dem Land, wo sich Familien längerfristig niederlassen, sind Strukturen für Treffen und Gemeinschaft verschwunden. Zur Rationalisierung wurden politische und religiöse Gemeinden aufgelöst, Lokale, Läden und Betriebe konnten sich nicht halten. Dörfer sind das Einzugsgebiet der Städte oder so abgelegen, dass viele junge Leute mangels Betätigungsaussichten wegziehen.
SELBST GESTALTETE BEZIEHUNGEN
Wer zu wem gehört, ist nur noch zeitweise vorgegeben. Wir können wählen und entscheiden, mit wem wir zu tun haben. Da es den Wunsch nach Gemeinschaft gibt, muss sie erst geschaffen werden. Mit Ideen, Initiativen, Kommunikation stiften Menschen in Städten und ländlichen Regionen neue Nachbarschaft. Mehrgenerationenhäuser, in denen Alte mit Jungen selbstbestimmt zusammenleben, sind ein Beispiel, ebenso andere gemeinsam gestaltete Wohnprojekte. Bürgerbeteiligung bringt Leute zusammen, die sich für ihren Stadtteil oder ihre Gemeinde verantwortlich fühlen. Ein Haus, das zum Abriss vorgesehen war, ist vorher noch zum Forschungsraum für die Zukunft einer Stadt geworden, deren Bewohnerinnen und Bewohner darin und drumherum mit Gästen gelernt, diskutiert, ausprobiert, geplant und vielfältige belebende Beziehungen hergestellt haben. Andernorts ist ein Tag der offenen Hinterhöfe, an dem die Ansässigen einander einladen und das vorstellen, was ihnen wichtig ist, der Anlass für gemeinsame neue Anfänge. In ländlichen Gemeinden öffnen wieder Dorfläden, bieten regionale Produkte an und werden mit Café, Schwarzem Brett und Dienstleistungen wie einer Poststelle zum Treffpunkt. Für die Kinder werden sogar, damit sie zum Lernen nicht weit fahren müssen, Kleinschulen am Ort erhalten.
Ist der Surrealismus der Kommunismus der Genialität? - Solange ihr nicht seht, denkt an die, die sehen! - Öffnen Sie den Mund wie einen Backofen, und es werden Haselnüsse herauskommen. - Wenn ihr die Liebe liebt, werdet ihr den Surrealismus lieben. - Der Regenschirm der Schokolade hat sein Gold verloren. Tauchen Sie ihn in die Tür und flechten Sie. - Eltern, erzählt euren Kindern eure Träume!
Flugblätter - “Papillons” - mit diesen Texten wurden 1924/25 in Paris verteilt. Sie enthielten die Adresse des “Büros für surrealistische Forschungen” in der Rue de Grenelle 15, das mehrmals wöchentlich für das interessierte Publikum geöffnet war. Mitglieder der surrealistischen Bewegung nahmen dort Berichte über ungewöhnliche Beobachtungen, eigenartige Ereignisse, seltsame Zufälle, besondere Wahrnehmungen entgegen, auch merkwürdige Fundstücke, es wurde darüber diskutiert und versucht, damit etwas anzufangen.
“Die Poesie … Es kann eine Zeit kommen, in der sie das Geld abschafft und selbst das Brot des Himmels für die Erde verteilt. … Man muss es nur darauf anlegen, die Poesie zu praktizieren.” (André Breton, Manifest des Surrealismus)
Wasser ist für alle da - es kommt frisch aus dem Hahn, und die Kosten fallen kaum auf. Das ist aber nicht selbstverständlich. Nicht nur in Ländern, in denen es wenig regnet, gibt es Konflikte um das Lebensmittel Wasser. Auch in Europa können zwei Millionen Menschen nicht problemlos sauberes Trinkwasser erhalten. Weltweit verdienen große Unternehmen an seiner Verteilung, am Bau und Betrieb der Versorgungsinfrastruktur und am Verkauf in Flaschen. Sie wollen ihr Geschäft ausweiten. Das treibt die Preise hoch und ist oft nachteilig für die Qualität. Um das Wasser als öffentliches Gut in Europa und darüber hinaus zu schützen, hat sich das internationale Bündnis “Wasser ist ein Menschenrecht” gebildet, aus Gewerkschaften, Sozial- und Gesundheitsorganisationen, Umweltverbänden. Es nutzt die neue Möglichkeit in der Europäischen Union, dass Bürgerinnen und Bürger mit einer Million Unterschriften einen Vorschlag machen können, den die EU-Kommission mit einer Anhörung im EU-Parlament prüfen muss. Eine solche “Europäische Bürgerinitiative” kann, wenn sie intensiv angewendet wird, die Demokratie weiterentwickeln und die Einführung EU-weiter Volksentscheide vorbereiten. Bei der Wasser-Initiative geht es besonders darum, dass das Trinkwasser nicht als Handelsware dem Wettbewerb und der Privatwirtschaft überlassen wird, sondern als Gemeingut und öffentliche Dienstleistung für alle Menschen auf Dauer zu bekommen ist.
Jemand spricht aus einem Kasten, einem kleinen, einer Schatulle. Die Stimme ist im Raum, erreicht mich, ich höre ihre Botschaft. Ich weiss, dass die freundliche Sprecherin weit weg ist, vielleicht hat sie dies schon vor Langem gesprochen, sagt jetzt etwas anderes, das ich nicht höre, oder schweigt. Ein Kind kann annehmen, dass sie in dem Kästchen sitzt. Früher hätte das als Magie gegolten, aber wir sind das Radio gewohnt.
Botschaften sagen uns, dass wir uns anders verhalten könnten und damit einem Ziel näher kämen. Dies unterstützen Ratgeber in verschiedenen Medien, Organisationen wie die Gewerkschaften, die auch gelegentlich einen Streik veranstalten, Religionsgemeinschaften … Es genügt nicht, informiert zu sein, Erkenntnisse sollen wirken, und das soll sich sogar öffentlich zeigen, um weitere Bewegungen anzuregen.
Auf einem Stadtplatz mit vielen Geschäften und Cafés bleiben da und dort einzelne Leute gleichzeitig stehen und bewegen sich nicht mehr. Nach einer Weile setzen sie Einkaufstüten auf den Boden und gehen weiter. Sie begrüssen irgendwelche anderen Passantinnen und Passanten mit “Hallo!”, reichen die Hand zum Gruss, “Freut mich, Sie zu sehen!” Dann richten sie den Blick über die Dächer zum Himmel. Die gebrauchten Tüten können schriftliche Erklärungen enthalten, zum Beispiel von Möglichkeiten des bewussten Konsums oder Vorschlägen, gemeinsam Interessen zu vertreten.
Was da verwundert, ist ein Radioballett. Das tanzt nicht in einer Sendung wie das Fernsehballett der öffentlich inszenierten privaten Samstagabendunterhaltung. Beim Radioballett, das von der Hamburger Künstlergruppe Ligna eingeführt wurde, machen die Hörerinnen und Hörer mit. Sie haben Taschenradios und Ohrhörer dabei. Gerade strahlt ein lokales freies Radio die Aktionshinweise aus. So handeln die Beteiligten ganz freiwillig an verschiedenen Orten zugleich, sie weichen eigenverantwortlich vom Gewohnten ab, machen auf ein Anliegen aufmerksam und sind in der Entfernung miteinander verbunden. Einige von ihnen haben den Sendetext verfasst, denn dieses Radio ist nicht nur telefonisch zugänglich und wird vom Publikum als Medium verwendet.
Ein Ziel ist, Zwänge des Üblichen probeweise ausser Kraft zu setzen. Stimmen können suggestiv wirksam sein. Wenn ich mir etwas vorsagen lasse, wird mir nichts vorgeschrieben, und doch kann ich den Worten nicht ausweichen. Ein geschriebener Text lässt mir meine Zeit, ihn zu lesen und mir sehr Unterschiedliches dabei vorzustellen. Die Stimme ist persönlicher und gestaltet die Szenerie. Zum Verständnis fordert sie nicht die Konzentration wie ein Bild. Das Radio ist ein Risiko. Beim Hören der Stimmen soll immer wieder klar werden, dass dies ein Ausnahmezustand ist - es ist kein Gespräch, sondern ein Versuch, mit dem wir etwas erreichen können.