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Suchen - irren - finden: Wege durchs Labyrinth

15. Dezember 2020

In Träumen geschieht es oft: Die träumende Person bewegt sich durch fremdartige Szenerien, erkennt Gebäude, Räume, Landschaften manchmal wieder, meist sind sie unbekannt, ebenso begegnen Leute, rätselhafte Worte werden gesprochen, der Weg führt weiter durch Gänge und Türen, auch in irgendeiner Bahn oder einem Bus wird gefahren, wohin ist unklar, Grund und Absicht sind nicht zu verstehen, wichtige Dinge gehen dabei verloren, es wird gefährlich, in undurchschaubaren Situationen, aber da ist nichts zu machen, alles geschieht wie von selbst - dann, beim Erwachen, lässt sich aufatmen.

Doch können wir im wachen Zustand Ähnliches erleben.

Die Zivilisation hat die Welt immer genauer geordnet. Der Verkehr ist geplant, die Kommunikation ist geregelt, verschiedenste Abläufe sind gesichert. Verirren ist fast unmöglich. Zuverlässige Wegweiser werden auch in der Natur aufgestellt, Landkarten zeigen Einzelheiten, auch grosse Städte erschliessen sich durch Strassenschilder und Hausnummern, nur in Metropolen des Südens ist es noch anders. Dazu gibt es digitale Leitsysteme - die aber nicht verhindern, dass ein Speditionsfahrer, der mit seinem Navigationsgerät Brüssel, auf Französisch Bruxelles, erreichen wollte, wegen eines Missverständnisses in Bruchsal ankam.

Obwohl günstige äussere Bedingungen, Wohlstand und Informationen vorhanden sind, erscheint das Leben öfters wenig übersichtlich, die Welt chaotisch, ein nahestehender Mensch fremd. Es ist schwierig, sich mit anderen zu verständigen. Wie geht es weiter? Wohin? Was droht? Was kann ich hoffen? Vieles entscheiden andere über unsere Köpfe hinweg. Dagegen wollen wir uns behaupten. Es gilt, die eigene Aufgabe zu finden und zu erfüllen, die sinnvoll ist.

Der griechische Mythos vom Labyrinth spricht von einem Ort, der wahrscheinlich real war, eine vielfach verzweigte Höhle oder ein weitläufiges Gebäude, jeweils mit unzähligen Kammern und Hallen. Es war zugleich ein Symbol für wiederkehrende menschliche Erfahrungen. Die alte Erzählung lokalisiert es auf der Insel Kreta in oder nahe der damaligen Hauptstadt Knossos. Theseus erreichte im Schiff die Küste, wagte sich allein in das Labyrinth und fand im Inneren einen Schrecken erregenden Mann mit Stierkopf, den Minotaurus. Im Zweikampf besiegte er ihn. Danach musste er wieder ins Freie finden, und das gelang ihm mit einer Schnur, die er auf seinem Herweg abgewickelt hatte. Dies lässt sich deuten als eine Geschichte von Ungewissheit, Gefahr, Angst, Mut, Initiative, Klugheit, vom Suchen, Irren und Finden, von der Begegnung mit dem unbekannten anderen Ich und davon, wie ein Mensch sich im Inneren verändert. Dabei rettet die Liebe, denn sie brachte Ariadne dazu, Theseus die Schnur mitzugeben.

Als symbolisches Bild hat sich das Labyrinth verbreitet. Auf Bodenflächen dargestellt, war es betretbar und zugleich überschaubar. Entlang seiner Linien konnten sogar rituelle Tänze stattfinden.

Ein Mensch ist auf labyrinthischen Mauern unterwegs und dabei verbunden mit einem Leuchtturm und einem Engel - Grafik: Boetius Bolswert, 1624

Das Christentum verwendete das Bild vom Labyrinth auf Kirchenböden wie in der Kathedrale von Chartres mit einer bestimmten Form und Bedeutung: Der Weg, den die Gläubigen dort auf den Knien zurücklegten, ist verschlungen und windet sich, aber er ist unverzweigt und führt so wie da im religiösen Leben schliesslich in die Mitte, die heilige Mitte der Welt und die eigene Mitte. Er wurde auch als »Weg nach Jerusalem« bezeichnet, in die Stadt, die der Mittelpunkt einer neuen, besseren Welt werden sollte. Entsprechendes liess sich auf den europäischen Pilgerwegen nach Rom und Santiago erfahren, die keineswegs geradlinig, sondern mit vielen Windungen und durch einsame Gegenden an Kirchen, Kapellen und Klöstern vorbei zum Ziel führten. Die Pilgerschaft brauchte ihre Zeit.

Die Anlage von Irrgärten ist eine neuere Idee und ermöglicht mit Gängen im Grünen zwischen Spalieren und Hecken das Sichverlieren, Suchen, Finden, Sichbefreien als Spiel.

Es geht immer wieder um Orientierung, um den richtigen Weg. Das ist einige ruhige Gedanken wert - erst recht, wenn auch das eigene Innere mit ungenügendem Wissen, widersprüchlichen Vorstellungen, wenig erklärbaren Gefühlen labyrinthisch anmutet. Johann Wolfgang von Goethe untersuchte gern,

»was, von Menschen nicht gewusst
oder nicht bedacht,
durch das Labyrinth der Brust
wandelt in der Nacht.«

Anatomisch liegen fachlich so genannte Labyrinthe in den menschlichen Ohren. Sie sind nicht nur für die Aufnahme von Geräuschen, Klängen und sprachlichen Botschaften da, sondern auch auch für die akustische Orientierung, das Gleichgewicht und das Steuern von Bewegungen.

Wenn Menschen meist in mittleren Jahren in eine Krise geraten, sich erschöpft fühlen und spüren, dass es nicht so weiter gehen sollte wie bisher, dann können sie in sich zuvor unbeachtete Fähigkeiten und Motivationen entdecken und sich für eine neue Richtung entscheiden, in der Sinn liegt. Ein solcher Wechsel ist etwas anderes als das vielbeschworene Prinzip (»Change«), das mit immer neuem Umbau nur einen zweifelhaften Weiter-so-Fortschritt betreibt.

Umwege müssen hingegen nicht nachteilig sein. Auch auf ihnen ist einiges zu erleben und zu erfahren, ebenso in einer Sackgasse oder auf einem Irrweg. Aber sobald sich erkennen lässt, dass der scheinbar alternativlose Weg falsch ist, heisst es umkehren.

Matthias Kunstmann / maximil

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

Stabile Wirtschaft, ruhige Arbeit, angenehmes Leben

13. Oktober 2020

Die Corona-Krise ist auch eine Sinnkrise. Auf einmal haben viele bemerkt, dass das Leben anders sein kann: ohne Hektik, Stress und zu viel Arbeit, mit Ruhe und Musse, nicht mehr auf Kaufen und Konsum ausgerichtet, sondern auf das Geniessen dessen, was schon da ist, nicht unterhaltungssüchtig, stattdessen mit der Natur verbunden. Einzelne kannten und schätzten das schon vorher, sie waren Ausnahmen von der gesellschaftlichen Regel. Im Jahr 2020 wurde es eine gemeinsame Erfahrung.

Es wurde als Herunterfahren, Schliessen, Einschränkung erlebt und hat damit verunsichert: Auf wie viel müssen wir da verzichten? Wie sollen wir mit den neuen Zuständen zurechtkommen? Wird es noch alles geben, was wir brauchen? Und die Frage stellte sich: Geht das vorbei oder ändert sich etwas auf Dauer? Zugleich konnte das veränderte Dasein als angenehm erfahren werden, heruntergeregelt von einem überzogenen auf einen verträglichen Grad, entschleunigt, gerichtet auf das wirklich Wichtige, mit neuer Freiheit.

Also spricht einiges dafür, nicht zu genau dem zurückkehren zu wollen, was vorher war. Das ist jetzt die grosse Aufgabe für unsere Gesellschaft und die Politik: die in der Krise entdeckten Bedürfnisse und Möglichkeiten wahrnehmen, Denkweisen und Strukturen darauf einstellen, bessere Bedingungen als bisher für das Zusammenleben schaffen.

Was jetzt zu tun und zu ändern ist

Das Erste ist, dass die staatlichen Krisenhilfen gezielt sind. Sie müssen den Menschen das nötige Einkommen sichern und die sozialen oder gemeinnützigen Einrichtungen erhalten. Dazu gehört eine intensive Beratung für Berufstätige, die klärt, ob eine Umschulung oder neue Qualifizierung günstig ist und gefördert wird. Dies sieht auch das Konzept des »Transformationskurzarbeitsgeldes« vor. Private Unternehmen soll der Staat nicht finanzieren. Viele begegnen einer veränderten Nachfrage und haben damit umzugehen, etwa durch Konversion.

Immer mehr Interesse und Zuspruch findet das Bedingungslose Grundeinkommen. Es würde allen materielle Sicherheit gewähren und wertvolle Tätigkeiten für die Allgemeinheit ermöglichen. Arbeit für den Lebensunterhalt muss längst nicht mehr so viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Automatisierung hat zu einer hohen Produktivität geführt. Dennoch hat für viele Beschäftigte der Arbeitsdruck nicht nachgelassen, sondern ist sogar intensiver worden, während Millionen kein oder zu wenig Geld verdienen. Es ist überfällig, die Regelarbeitszeit deutlich zu senken, mit gleich bleibendem Lohn und Gehalt zumindest bei niedrigem Einkommen. In den sozialen, kulturellen, Bildungs- und Dienstleistungsbereichen, wo menschliche Arbeit nicht ersetzbar ist und Arbeitskräfte fehlen, müssen die Berufe und Stellen dringend aufgewertet und attraktiv gemacht werden.

Auf jeden Fall werden sinnvolle Steuern gebraucht, die eine nachhaltige Entwicklung unterstützen, für Gerechtigkeit sorgen und die öffentlichen Ausgaben auch ohne Schulden decken. Um überflüssige und schädliche Produktion zu reduzieren, ist eine Luxussteuer angebracht. Die hohen Einkommen und grossen Vermögen, die in den letzten Jahren häufig noch stark zugenommen haben, müssen wieder mehr zum Wohl der ganzen Gesellschaft beitragen. Dies betrifft mindestens ebenso die massiv gestiegenen Gewinne von Unternehmen wie den Internetkonzernen und Firmen der Finanz- und Versicherungswirtschaft. Sie dürfen nicht länger von Steueroasen profitieren. Ausserdem sind Steuern auf teils spekulative Geschäfte an den Börsen dazu geeignet, auch bei nachlassender Wirtschaftsleistung gesamtgesellschaftlichen Reichtum zu bewahren. Finanztransaktionssteuern mit diesem Zweck wurden seit 2012 in Frankreich und Italien eingeführt.

Subventionen, staatliche Vergünstigungen für Branchen und Betriebe, fördern oft das Falsche, etwa in der Landwirtschaft, in der sich vieles für Menschen und Natur besser regeln liesse. Gerechtfertigt sind sie nur, wenn sie Nachteile ausgleichen.

Auf das Wichtige achten

Soziales, Kultur und Natur sind meistens wichtiger als Produktion. Für die übermässig hergestellten Waren gilt: Weniger ist mehr. Der Glaube an unendliches Wachstum der Wirtschaft ist unvernünftig und zerstörerisch. Im sozialen Bereich wird nicht von Wachstum gesprochen, Erfolg nicht an Umsätzen gemessen und der Gewinn in anderem als Geld erkannt. Die Wirtschaft soll nicht masslose private Interessen verfolgen, sondern die Grundbedürfnisse aller befriedigen. Dabei kann sie stabil sein und statt mit Wachstum in Kreisläufen funktionieren.

Wirtschaftliche Leistung soll nicht mehr nach bezahlten und eingenommenen Euros beurteilt werden (wie im bisherigen Bruttoinlandsprodukt), sondern nach dem Wohlbefinden der Beteiligten, das unter anderem von Gesundheit, Bildung, humanem Arbeiten und Wohnen, zwischenmenschlichem Austausch abhängt - und besonders von den geltenden Rechten, in Angelegenheiten des gemeinsamen Lebens mitzugestalten und mitzuentscheiden. Die Idee des »Bruttosozialglücks« gibt dafür Hinweise.

Manches ändert sich von selbst, weil es nicht anders geht. Das kann, je nachdem, erfreulich oder schmerzhaft sein. Wenn Verluste vermieden werden und Wünsche sich erfüllen sollen, kommt es auf Miteinanderberaten und kluges Handeln an. An solchem politischen Wirken sollen alle sich beteiligen können. So lässt sich aus der Krise lernen - für ein angenehmes Leben.

Matthias Kunstmann / maximil

> Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech über die Krise als Chance, 2020

> Ministerium für Glück und Wohlbefinden

> Netzwerk Grundeinkommen - Europäische Bürgerinitiative

[Dazu:
Wirtschaft ist nicht alles
Fällige Kritik des Wachstumsdenkens
Gemeinsamkeit nützt allen]

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

Für die Kinder tun wir alles

28. August 2020

Auf dem Kinderspielplatz vor meinem Haus wird gebaut. Mit schwerem Gerät, seit Wochen. Bagger reissen den Boden auf, grosse Lastwagen manövrieren auf dem Gelände, um Berge von Material abzuladen, Steine, Zement, auch grün lackierte Metallgerüste und ein Baumstamm mit Querstangen und buntem Dekor sind schon da, immer wieder kreischt eine Flex, röhrt die Mischmaschine und ist der Rüttler im Einsatz. Die Fahrzeuge drängen sich durch die Wohnstrasse und nehmen den Weg über die benachbarte Grünanlage.

Was geschieht hier? Ich verstehe es nicht.

Es ist erkennbar, dass etwas Neues für die Kinder gemacht werden soll. Wir sind in Deutschland, in einer Stadt, die als besonders kinderfreundlich gelten will. Aber welchen Sinn kann dieser unglaubliche Aufwand haben?

Die Kinder hatten dieses Jahr Monate lang keinen oder nur minimalen Zugang zu den Schulen, Horten und Kindergärten. Es gab fast keine Konzepte und Mittel dafür, wie sie in einer Krisenzeit die Bildung bekommen, die sie für ihre Entwicklung und Persönlichkeit brauchen und die ihnen zusteht. Auch die Spielplätze waren ihnen lang verschlossen. Werden die Kinder mit ihren Bedürfnissen wirklich ernst genommen?

Die Spielplätze, in dieser Stadt nur ungefähr hundert Meter voneinander entfernt, bieten Attraktionen für die Kleinen. Die können damit schon etwas anfangen. Wichtiger wäre für sie aber, freien Raum und einfache Materialien zu haben, damit sie sich selbst eine Welt gestalten können. Oft haben Kinder zu Haus viel teures Spielzeug als Ersatz dafür, dass die Eltern wenig Zeit für sie haben. Eine Strasse ohne Autos und ein Stück Natur, das ist heute ein zu seltener Platz für spielerische Erfahrungen.

Ist der hochprofessionelle Bauplatz also nur gut gemeint? Das viele Geld wird immerhin nicht in eine neue Strasse investiert. Aber auch nicht in dringend nötige pädagogische Arbeitsstellen, für Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, psychologische Fachkräfte in den Schulen, den Tageseinrichtungen oder der Kinder- und Jugendhilfe …

Mir fällt auf, dass die Bauwirtschaft in der Krise kaum betroffen zu sein scheint. Dies ist erfreulich für die Beschäftigten und deren Familien und wahrscheinlich noch mehr für die Chefs. Die Firmen sind so sehr im Einvernehmen mit der Politik, dass sie derart überdimensionierte Aufträge an Land ziehen können. Ich muss vermuten: Die Kinder sind da nur ein nützliches Argument. Und unsere Gesellschaft belügt sich selbst, wenn sie glaubt, für ihre Kinder täte sie alles.

Claire Destinée

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Erkenntnisse aus der Corona-Krise

30. Mai 2020

  • Neu war an diesem Corona-Virus eindeutig, dass es sich so schnell und massenhaft über die Welt verbreitet hat. Das lag an der Globalisierung und dem internationalen Flugverkehr. Zuletzt wurden weltweit jährlich rund 4,5 Milliarden Flugpassagiere gezählt, mit stark steigender Tendenz. Die deutschen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg mit besonders vielen internationalen Wirtschaftskontakten hatten vergleichsweise mehr Todesfälle bezogen auf die Bevölkerungszahl zu verzeichnen, ähnlich wie Norditalien. Insgesamt haben auch häufig wohlhabende Winterurlaubsreisende das Virus verbreitet.
  • Es ist begründet, die Ausbreitung einer Infektionskrankheit verhindern zu wollen. In diesem Fall ist das nach Versäumnissen bei der Vorsorge planlos und panisch geschehen. Die meisten Staaten waren auf die Gefahren der Globalisierung nicht ausreichend vorbereitet.
  • Die geforderte Solidarität galt von Anfang an weniger den Risikogruppen als vielmehr den knapp kalkulierten Krankenhäusern und ihrem schon im Normalbetrieb überlasteten Personal.
  • Krankenhäuser und Altenheime sind Orte mit erhöhtem Infektionsrisiko, besonders wenn das Personal sich und andere mangels Ausrüstung nicht schützen kann.
  • Für alte Menschen, die in den Heimen Wochen lang mit Ausgeh- und Besuchsverbot leben mussten, wäre es besser, statt in Gettos mit Jüngeren zusammen zu wohnen, nach dem Prinzip der Inklusion etwa in Mehrgenerationenhäusern.
  • Die Schulen und Kitas wurden in Deutschland vor den Geschäften und der Gastronomie geschlossen. Das zeigte nochmals, wie wenig wichtig der Gesellschaft die Erziehung und Bildung der jungen Menschen sind. Es wurden schon zu wenige Erziehungskräfte eingestellt und sie sind unterbezahlt, die Schulen haben zu große Klassen und sind schlecht ausgestattet. Erziehende und Lehrende gelten offenbar nicht als systemrelevant, ausgenommen die wenigen, die Notdienste leisteten. Die Kinder Monate lang allein den Eltern zu überlassen, ist keine Alternative zu den Einrichtungen und verschärft soziale Unterschiede. Zumal da Kinder seltener infiziert sind, hätten die Schulen und Kitas in festen Gruppen mit Abstand und Hygiene weiterarbeiten können.
  • Grundrechte und Demokratie müssen auch in Krisen gelten, anderenfalls kann sich eine Diktatur festsetzen. Einschränkungen von Rechten waren teils sinnlos oder überzogen. Ausnahmeregeln müssen diskutiert und abgewogen werden und schliesslich gut begründet sein. Dies hätte schon bei früheren Epidemien praktiziert werden können, aber auch nach dem Beginn des internationalen Gesundheitsnotstands am 30. Januar waren dafür bis zu den überraschenden Massnahmen Mitte März noch 6 Wochen Zeit, in denen abgewartet und zugeschaut wurde. Als der Deutsche Bundestag kurzerhand am 27. März fast alles Weitere der Regierung überlassen hat, war dies zwar nicht so folgenschwer wie das Ermächtigungsgesetz für Hitler 1933, dennoch sind die meisten Abgeordneten ihrer Aufgabe und Verantwortung nicht gerecht geworden.
  • Dieses Virus ist quasi zufällig in den Fokus geraten. Der Unterschied zu früheren Infektionswellen wie bei der Grippe waren vor allem die spektakulären Massnahmen in China. Andere häufige Krankheits- und Todesursachen, die oft von Menschen gemacht und damit eher vermeidbar sind wie Feinstaub, sonstige Abgase des Autoverkehrs oder Pestizide, werden weiterhin nicht ebenso beachtet.

  • Pestdoktormasken des Karnevals in Venedig -
    Foto: Flickr, TracyElaine / Tracy, Lizenz CC BY-SA 2.0

  • Die Wissenschaft mit ihren beratenden Experten hat vielfach zugeben müssen, dass sie nichts wusste. Ihre Ratschläge gingen oft von den schlimmsten Befürchtungen aus. Die entsprechenden politischen Massnahmen waren deshalb nicht unbedingt falsch, aber auch nicht sicher begründet. Politik und Wissenschaft hätten früher für verwertbare Untersuchungsergebnisse sorgen können, wie zu den Fragen: Wie viele der Infizierten haben keine Symptome? Wie hoch ist das Risiko, ohne Symptome andere zu infizieren? Wie viele Menschen sind immun? Welches Infektionsrisiko besteht durch Aerosole? Wie lange überleben Viren ausserhalb eines Organismus, auf verschiedenen Materialien und bei verschiedenen Umwelteinflüssen?
  • Je mehr in Labors Viren verändert und gezüchtet werden, desto höher ist das Risiko eines Unfalls mit folgender Epidemie. 100 Prozent Sicherheit kann niemand garantieren.
  • Die wissenschaftlichen Annahmen und politischen Vermutungen in Bezug auf das Virus sowie das plötzliche Aussetzen der Normalität haben viele dazu ermuntert, eigene Spekulationen in die Debatte zu bringen. Die zuvor schon auch durch das Internet sich ausweitende Vielfalt der Ansichten und Meinungen ist noch freier geworden. Angehörige des bisherigen Mehrheitskonsenses werfen Andersdenkenden daher immer öfter Verschwörungstheorien vor. Stattdessen wäre es richtig, in der öffentlichen Diskussion die Theorien und Behauptungen zu prüfen und mit tragfähigen Argumenten die sinnvollen von den unsinnigen zu unterscheiden.
  • Zum Schutz vor Epidemien gehört künftig ein Warnsystem, das Kontrollen und Sperren des internationalen Flugverkehrs und auch von Staatsgrenzen auslöst. Reisende müssen dann mit beaufsichtigter Quarantäne rechnen.
  • Beim Wiederaufbau nach der Krise darf einiges nicht so weitergehen wie bisher. Staatliche Hilfen für die Wirtschaft dürfen nicht altbekannte Gefahren für Gesundheit und Sicherheit finanzieren.
  • Einschränkungen von Freiheitsrechten wie wegen des Virus sind jetzt auch wegen der Gesundheitsgefahren des Auto- und Flugverkehrs denkbar. Sie könnten da viel gezielter wirken. Denn es ist nicht nur ein Verdacht, sondern eindeutig, dass Menschen mit Verbrennungsmotoren und deren Schadstoffen andere (und sich selbst) gefährden. Vor über hundert Jahren gab es schon viele Elektrofahrzeuge auf Strassen und Schienen, dann liessen sich immense Profite mit Erdölprodukten erwirtschaften und bei den dazu passenden Fahr- und Flugzeugen ist es bis heute geblieben. Risikominimierung erfordert schon längst, fossile Energietechnik abzuschaffen.
  • Impfungen für Milliarden Menschen sind ein gigantisches Geschäft für die Pharmaindustrie mit ungewissem Nutzen. Die Impfstoffe kommen zu spät und wirken nicht gegen veränderte oder neue Erreger. Vielmehr wäre es hilfreich, weltweit Gesundheit fördernde und Immunität stärkende Lebensbedingungen zu entwickeln.
  • Digitalisierung aller Lebensbereiche ist ein Irrweg. Damit ersetzt Technologie das Leben. Auch für Krisen sind bessere, menschenfreundliche Lösungen notwendig.

Matthias Kunstmann / maximil

[Dazu:
Wozu Wissenschaft nützt
Das Recht geht alle an
Hinter die Fassaden schauen
Menschen schaffen sich ab
Das Wichtigste von der Bildung]

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

Neues demokratisches Glück

3. April 2020

Wie wir unsere Demokratie rechtzeitig erneuern und weiterentwickeln können

Die Demokratie ist in Gefahr. Es wird immer deutlicher, dass das demokratische Menschenrecht, also das freie und gemeinsame Gestalten des Zusammenlebens, schon demnächst in Deutschland wie in anderen Ländern nicht mehr gelten könnte. Deshalb ist es nicht mehr nur ein Wunsch, die bestehende, allerdings wenig zufriedenstellende Demokratie zu erneuern und weiterzuentwickeln – es ist dringend notwendig, damit sie nicht von Gewaltherrschaft zerstört wird.

Bedroht ist die Demokratie mehrfach. Da sind diejenigen, die von den Menschenrechten nichts halten und aggressiv eigene Vorstellungen durchsetzen wollen. Da sind viele, die von den immer vielfältigeren Zusammenhängen der Welt und der Politik überfordert sind, nicht kritisch denken können und schliesslich irgendwelchen Ansagen folgen. Da sind die wenigen, die schon die Macht haben und sie sich mit allen Mitteln noch bequemer und perfekter machen. Und da sind diejenigen, denen die vorhandene Demokratie wegen ihrer Mängel und ihrer Erstarrung gleichgültig ist, sodass sie sich nicht dafür einsetzen.

Diktatur statt Demokratie – obwohl Deutschland schlimmste Erfahrungen damit hat, bahnt sich wieder Ähnliches an. Die überraschenden Massnahmen und Pläne, die mit dem Gesundheitsschutz vor dem Corona-Virus begründet wurden, zeigen inzwischen eine Neigung zum chinesischen System.

Das deutsche Grundgesetz wurde gefeiert – es war ein demokratischer Fortschritt, aber darin war Entscheidendes immer schon nur Papier, und wer glaubt, es wäre nach sieben Jahrzehnten mit geringen Änderungen noch eine ausreichende Grundlage für das gesellschaftliche Leben, hat den Ernst der Lage nicht begriffen. In diesem Dokument war versprochen, die Bürgerinnen und Bürger könnten bei der Wiedervereinigung des Landes frei über die Verfassung ihres Staates bestimmen, aber die politische Elite hat vor dreissig Jahren wieder alles unter sich ausgemacht und ihre Herrschaft verfestigt, während ein grosser Teil des Volkes dies längst nicht mehr für demokratisch hielt.

Schon lang sind sehr viele Menschen im Land, im Westen und im Osten, nur noch ausnahmsweise einverstanden mit einem Staat, der angeblich alles zu ihrem Besten regelt, ohne dass sie dabei entscheidend mitbestimmen können. Spätestens seit der 1968er-Zeit sind in der BRD Mitbestimmung, Freiheit von Bevormundung und Herrschaft, demokratische Rechte in allen Bereichen zu selbstverständlichen Ansprüchen geworden. Mehr Mut brauchten die Menschen in der DDR, die Bürger- und Bürgerinnenrechte vertraten. In der Wendezeit konnten sich vorübergehend viele in Foren und an Runden Tischen versammeln, um über ihre Gesellschaft zu beraten. Im Bereich der Wirtschaft wurde erkannt, dass es vorteilhaft ist, wenn die Beschäftigten mit ihren Ideen und Vorschlägen in Entscheidungen einbezogen und die Hierarchien flacher sind. Für das Leben in einer komplizierten Zivilisation stellen die Menschen sich immer mehr darauf ein, über Verschiedenstes zu entscheiden und dies zu verantworten.

Dazu bietet die Politik, in der es doch um die Lebensbedingungen geht, bisher kaum Gelegenheit. In einzelnen Bundesländern wurden besonders für Städte und Gemeinden Abstimmungsrechte in Sachfragen eingeführt oder verbessert. Da und dort sind Bürgerbeteiligungsverfahren angesetzt worden, deren Ergebnisse teils nur anerkannt wurden, soweit sie die herrschende Politik bestätigten. Im Übrigen macht die Wirtschaft mit ihren Lobbys die Politik, und je mehr dies durch die Medien bekannt wird, desto unverschämter tritt diese Mafia von Banken, Konzernen und Beratungsorganisationen zusammen mit gewählten Politikern und Politikerinnen auf. Für die Bürger und Bürgerinnen gilt leider der Kalauer, dass sie alle vier oder fünf Jahre ihre Stimme abgeben dürfen und diese dann bis zum nächsten Mal nicht mehr haben.

Anspruch und Wirklichkeit der Demokratie in ihrer bestehenden Form gehen immer weiter auseinander. Verschärfend kommt hinzu, dass die demokratische Politik immer weniger imstande ist, Probleme sinnvoll zu lösen und auch nur ihre mindesten Aufgaben für die Allgemeinheit zu erfüllen. Parlamente und Regierungen erledigen die nötigste Arbeit nicht: Sie schützen die Bevölkerung nicht vor andauernd drohenden Gesundheitsschäden durch Verkehr, Kraftwerke und Industrie, vor Umweltverwüstung und Klimakatastrophe, sie antworten auf die Frage nach sozialer Gerechtigkeit mit minimalen Anpassungen, sie machen die Welt mit militärischer Gewalt unsicherer, sie verstehen nichts mehr von humaner Bildung. Wie sich die Lebensverhältnisse verändern, ist damit der Willkür der globalen Profitinteressen überlassen.

Diese Situation verunsichert vor allem diejenigen Menschen in Deutschland, die von der Geschichte her Herrschaft gewohnt sind und, vielleicht auch aus Resignation, noch eine Haltung von Untertanen gegenüber der Obrigkeit haben. Wie auch andere, die den Staat als mit ihren Steuern bezahlten Dienstleister betrachten, wollen sie von ihm versorgt und geschützt werden. Und wenn dies nicht angemessen geschieht, haben sie üblicherweise gejammert, aber seit einiger Zeit reagieren sie unter dem Einfluss nationalistischer Propaganda zunehmend mit Wut. Es kommt darauf an, dass die demokratisch Gesinnten im Land diesen faschistischen Bestrebungen die Gründe entziehen.

Es ist Zeit für eine neue Demokratie, mit der wir alle das Zusammenleben optimal regeln können. Diese Demokratie muss anders sein als das, was wir in Deutschland und anderswo gewohnt sind. Sie sollte sich an der höchstentwickelten Demokratie der Welt im Nachbarland Schweiz orientieren. Dort wird immer wieder festgestellt, dass die Menschen durch ihre demokratischen Rechte und deren gute Ergebnisse glücklicher sind. Eine solche Demokratie entspricht den Bedürfnissen viel besser. Mit ihr können wir unsere Welt zufriedenstellend gestalten.

Diese Grundsätze und erneuernden Folgerungen sind entscheidend wichtig für unser demokratisches Leben:

Alle Menschen können sich beteiligen. In sämtlichen Bereichen der Gesellschaft versammeln sich, wenn es einen Wunsch nach Änderung oder Gestaltung gibt, besondere Räte. In ihnen können alle, die es betrifft, miteinander beraten und Lösungen entwerfen. Bei staatlichen oder kommunalen Planungen geschieht dies regelmässig und sonst aufgrund einer Zahl von Unterschriften. Es besteht ein gesetzliches Recht auf diese Räte. Sie sind beispielsweise auch in Schulen (als Versammlung von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern) oder für das Gesundheitswesen eines Landkreises (als Versammlung von medizinischem, pflegerischem und sonstigem Personal, Patientinnen und Patienten sowie anderen Interessierten) möglich. Die zuständige Verwaltung organisiert die Räte nach bestimmten Verfahren, stellt die vorhandenen Informationen bereit und erklärt die bisherigen Planungen. Die Räte einigen sich schliesslich auf Ziele und Einzelheiten. Entweder übernehmen die Verwaltung und das zuständige gewählte Parlament (Gemeinderat, Landtag, Bundestag und andere entsprechende Gremien) dann den Beschluss oder es findet (auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene oder in einer Organisation) eine allgemeine Abstimmung statt.

Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden. Sie beschliessen in allgemeinen Abstimmungen über Grundfragen und strittige Einzelthemen der Politik. Eine solche Abstimmung (Bürgerentscheid, Volksentscheid und Entsprechendes) findet statt, wenn ein Antrag (Bürgerbegehren, Volksbegehren) eine bestimmte Zahl von Unterschriften erreicht hat und nicht unmittelbar von der Verwaltung oder dem Parlament angenommen wird; ebenso wenn der Beschluss eines Beteiligungsrats nicht angenommen wird; sowie immer wenn das Parlament bestimmte wichtige Beschlüsse gefasst hat, insbesondere bei Verfassungsänderungen. Zuvor gibt es umfassende Informationen und ausreichend Zeit für den Meinungsaustausch. Das mehrheitliche Ergebnis der Abstimmung gilt unbedingt, nur eine neue Abstimmung kann es ändern.

Die Parlamente beschliessen im Einvernehmen mit den Bürgerinnen und Bürgern. Die gewählten Abgeordneten in den Parlamenten haben die Aufgabe, die Interessen der Menschen in einer Gemeinde, einem Landkreis, einem Bundesland oder der Republik zu vertreten, Lösungen für das Allgemeinwohl zu vereinbaren und vorausschauend zu planen. Die Bevölkerung wird regelmässig mit Räten und Gesprächsforen einbezogen. Dabei werden gesellschaftliche Einzelinteressen (durch Lobbys) transparent und nach Regeln eingebracht. Gegebenenfalls entscheiden Volksabstimmungen.
Die Bürgerinnen und Bürger ab dem Alter von 14 Jahren wählen die Abgeordneten nach jeweils höchstens vier Jahren gemäss einem Verhältnisverfahren, sodass sich die Vielfalt des politischen Willens in der Gesellschaft möglichst genau im Parlament abbildet. Damit nahe Beziehungen zwischen dem Volk und seinen Abgeordneten bestehen, bestimmt es die meisten von ihnen direkt in Wahlkreisen und nur einen kleinen Teil über Parteilisten. In den Wahlkreisen muss jede Partei mindestens zwei Kandidierende anbieten, und es können Abgeordnete mehrerer Parteien gewählt werden. Eine Sperrklausel gibt es nicht, damit die Stimmen für kleine Parteien und Wahlvereinigungen gleichermassen zählen.
Die Parlamente müssen ohne ein Regierungsbündnis arbeiten können, das heisst mit wechselnden Mehrheiten. Dazu werden Beratungs- und Entscheidungsverfahren genutzt, die auch bei vielen widersprüchlichen Interessen nach bestimmten Kriterien zu einem optimalen Ergebnis führen, sodass die einzelnen Ansprüche angemessen und jeweils möglichst weitgehend befriedigt sind. Die Abgeordneten müssen sich an das Wahlprogramm ihrer Partei halten und stimmen offen ab. Alle Tätigkeiten und Dokumente der Parlamente sind öffentlich.

Die Regierungen leiten die volksnahe Verwaltung. Regierungen sollen in der Demokratie nicht mehr massgeblich für Entscheidungen sein. Besonders die Befugnisse der Regierungschefin oder des Regierungschefs (ebenso in den Gemeinden der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters) werden stark reduziert. Eine Person kann und darf nicht die ganze politische Verantwortung tragen. Die Regierung führt mit der Verwaltung Beschlüsse aus, die durch Abstimmungen des Parlaments oder des Volkes zustande gekommen sind, und vertritt den Staat, das Land oder die Gemeinde nach aussen. Sie kann aus Fachleuten auch ohne Parteizugehörigkeit gebildet sein. Grundsätzlich ist sie nicht mit einer festen Mehrheit im Parlament verbunden. Damit wird auch dem Prinzip der Gewaltenteilung entsprochen. Statt eines Staatsoberhaupts gibt es, mit grossteils den gleichen Aufgaben wie bisher für die Bundespräsidentschaft, aber mit einer anderen Stellung, das Amt der oder des Volksbeauftragten.

Diskutieren wir darüber!

Matthias Kunstmann

> Mitentscheiden: Anspruch wird Wirklichkeit
Beitrag zur Debatte beim Berlin Institut für Partizipation

> Bürgerrat Demokratie
> Mehr Demokratie e. V.

[Dazu:
Wir regieren uns selbst am besten!
Die Menschenwürde gilt für alle
Alle gestalten mit - so geht Demokratie
Demokratie und was dran ist
Einsatz für demokratisches Zusammenleben]

→ KommentareThemen: Allgemein · Politik

Wir brauchen Kommunikation

10. März 2020

Warum und wozu?

Miteinander leben – dazu gehört mitteilen, sich verständigen, genauer: sprechen, hören und antworten, mit verschiedenen Mitteln, von denen auch Sprach- und Gehörlose ihre haben. Zwar kann es genügen, zusammenzuhalten und füreinander dazusein, aber erst Sprache in der Vielfalt der Formen regelt, gestaltet und entwickelt die Gemeinschaft. Auf sehr unterschiedliche Weise: Menschen informieren mit ihr über das, was sie empfinden, wahrnehmen, denken. Wissen wird ausgetauscht und erweitert, Bedürfnisse werden vertreten. Dabei lernen sie einander besser kennen. Den Mitteilungen ist aber nicht unbedingt zu trauen, denn es gibt Irrtum und Lüge. Sprache schafft auch Tatsachen, die schädlich oder nützlich sein können: Jemand kann bitten und damit etwas erreichen, oder beleidigen und jemanden verletzen, oder loben und jemanden stärken, kann von Wichtigem ebenso ablenken wie von einer belastenden Lebenslage, kann zu Unsinn verführen oder Sinnvolles anregen, langweilen oder begeistern, ausschliessen oder verbinden. Wenn die Sprache die Welt erklärt, Menschen verbindet, das Zusammenleben fördert und die gemeinsame Kultur aufbaut, dann erfüllt die Kommunikation das, wofür es sie gibt.

Was ist dabei wichtig?

Klar, deutlich und verständlich muss die Aussage sein, wenn es um Informationen geht. Wer diese mit Erfolg vermitteln will, muss auf Folgendes bei sich achten:
- Ich weiss, wovon ich spreche.
- Ich weiss genau, was ich sagen will.
- Ich habe die geeigneten Fakten und Argumente.
- Ich bringe sie in einer schlüssigen Reihenfolge vor.
- Ich wähle die richtigen Worte.
Also: die Botschaft auf den Punkt bringen!

Auch wenn persönliche Bedürfnisse befriedigt werden sollen, ist das zu empfehlen. Allerdings können Bedürfnisse von den Beteiligten eines Gesprächs verschieden eingeschätzt werden, vielleicht werden sie als unbegründet oder überzogen bewertet. Deshalb drücken wir sie üblicherweise in höflichen Formen aus und geben damit zu verstehen, dass es zu einem Interessenausgleich kommen soll.

Einfühlsam, sensibel, empathisch müssen die Beteiligten sein, damit Kommunikation gelingt. Das gilt umso mehr, je problematischer eine Situation ist. Denn es sind Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Vorwissen, mit abweichenden Ansichten, Werten und Erwartungen und mit jeweils eigenen Interessen beteiligt. Jeder Mensch denkt anders. Deshalb kommt es darauf an, dass ich mich auf das Gegenüber einstelle und im Verlauf eines Gesprächs immer wieder herausfinde, wie meine Botschaft verstanden worden ist. Das heisst zuhören und rückfragen. Der Eindruck ist nie dasselbe wie der Ausdruck.

Gefühle sind immer dabei. Sie äussern sich in Mimik und Gestik, und unbewusst können sie das wortsprachliche Kommunizieren beeinflussen und steuern. Es wirkt dann oft nicht wie beabsichtigt: Was scheinbar sachlich gesagt wird, täuscht; wenn die unausgesprochene emotionale Botschaft empfangen wird, irritiert der Widerspruch. Auf dieser Seite können eigene Gefühle vielfach darüber entscheiden, wie eine Nachricht aufgenommen wird. In günstigen Fällen erkennen die Gefühle auf der einen Seite die auf der anderen und veranlassen eine passende Reaktion. Die eigenen Gefühle und die der anderen wahrnehmen macht es leichter, sich zu verständigen.

Schriftlich ist die Kommunikation schwieriger als mündlich. Geschriebene Mitteilungen werden nicht durch die Körpersprache, den Ton (der die Musik macht) und besondere Betonungen unterstützt. Oft werden sie zugleich ernster genommen. Es gibt keine unmittelbaren Rückmeldungen. Nachträgliche Klarstellungen kommen kaum noch an. Andererseits lassen schriftliche Texte beim Lesen wie beim Verfassen Zeit zum Denken. Es ist sehr wünschenswert, dass diese Chance genutzt wird, um nach bestem Wissen und Gewissen die Worte zu wählen und zu setzen. Der kommunikativen Misere des Internets liesse sich damit abhelfen.

Einseitige Kommunikation erfordert besondere Aufmerksamkeit. Bücher, Plakate, Presse, Radio und Fernsehen werden zur Information, Unterhaltung und Bildung genutzt, eine Antwort ist aber nur selten möglich. Ihre Botschaften müssen bewusst und kritisch aufgenommen werden:
- Was sagt mir das?
- Was bringt es mir?
- Was kann ich damit anfangen?
Noch mehr sind solche kritischen Fragen zu der einseitigen Kommunikation geboten, die keinen anderen Zweck hat, als bestimmte Interessen durchzusetzen. Sie gibt es im privaten und sozialen Bereich als Mittel für Intrigen und Ausgrenzung. Wirtschaftsunternehmen und politische Interessengruppen betreiben sie, auch mit den genannten Medien und dem Internet, als effizientes Mittel der Herrschaft von wenigen über die meisten.

Zusammenarbeit, Beteiligung an gemeinsamen Aufgaben und Demokratie brauchen gute Kommunikation: Wir reden miteinander, verständigen uns über das, was wir gemeinsam wollen, und bereiten es mit zielgerichtetem Austausch vor.

Matthias Kunstmann / maximil

[Dazu:
Alle gewinnen mit Empathie
Worte und ihre Folgen
Alle gestalten mit - so geht Demokratie]

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Café de la Paix

27. Dezember 2019

In einer Stadt am Rand Europas, am Atlantischen Ozean, es ist La Rochelle, gibt es ein prächtiges Café aus der Zeit um 1900, das da nicht unbedingt zu erwarten ist, das Café de la Paix. Es liegt an einem weiten Platz, sodass das oft dunstige Licht dieser flachen Küstengegend durch die grossen Fenster hereinkommt. Der Schriftsteller Georges Simenon, der die abgelegenen Orte und Regionen Frankreichs zu schätzen wusste, wohnte eine Zeit lang in der Nähe und hielt sich gern in dem Café auf. Die Räume waren einmal die Cafeteria einer Militärkaserne gewesen, dann wurden sie zivilisiert, im Stil der Belle Époque gestaltet und bekamen einen neuen Namen - Café des Friedens. Ein solcher Fortschritt ist den Menschen der Welt heute erst recht zu wünschen.

Matthias Kunstmann / maximil
Foto: michael clarke stuff, Lizenz CC BY-SA 2.0

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Die Menschenwürde gilt für alle

29. Oktober 2019

IN DIESEM LAND und weltweit werden die grössten Probleme nicht gelöst: Gewalt in politischen Konflikten, soziale Ungerechtigkeit, mangelnde demokratische Mitbestimmung, Naturzerstörung, Klimakrise, Heimatverlust, falscher Fortschritt, Bildungsnotstand. Das alles hat damit zu tun, dass die Menschenwürde missachtet wird. Menschenwürde bedeutet: Alle Frauen, Männer, Diverse sind einzigartig, achtenswert und haben Anspruch auf gleiche Rechte. Weil diese Würde nur für einen kleinen Teil der Menschheit selbstverständlich ist, weil sie zunehmend bedroht ist und verletzt wird, ist es dringlich, über sie zu sprechen, sie bewusst zu machen und für sie einzustehen.

WER DIE WÜRDE anderer Menschen verletzt, beschädigt auch die eigene. Das sollte denjenigen klar sein, die Hass äussern, beleidigen oder schlimmere Gewalt anwenden. Häufig glauben sie, ihre eigene Würde sei zuvor angegriffen worden. Das kann zutreffen, ist aber kein Grund, sie selbst zu riskieren.

IN OSTDEUTSCHLAND VERKRAFTEN es viele nicht, dass Familienangehörige, Kolleginnen, Nachbarn oder Freundinnen in den Westen gegangen sind oder sonst wo mehr Erfolg hatten als die Dagebliebenen. Zusammen mit Erinnerungen an die frühere Gleichheit in der DDR kann das Ohnmachtsgefühle verursachen. Ähnlich fühlen sich Menschen im ganzen Land benachteiligt und machtlos. Dabei entstehen Aggressionen, die das gesellschaftliche Umfeld in eine bestimmte Richtung lenkt. Die Ursachen werden aber oft nicht erkannt und daher kommen keine geeigneten Vorschläge, um die Situation zu verbessern. Manche attackieren gerade die “Politische Korrektheit”, bei der es besonders sprachlich um mehr Respekt im Zusammenleben geht. Wenn sie ehrenwerte Leute als “Gutmenschen” verhöhnen, sind sie vielleicht selbst gern schlechte Menschen. Dennoch: So viel Verzweiflung muss nicht sein. Jeder und jede kann die eigene Würde bewahren und sich entsprechend verhalten.

EBENSO SOLLTEN DIEJENIGEN, die sich für Humanität einsetzen, die Menschen auf der anderen Seite nicht verachten. Sinnvollerweise reagieren sie auf Aggressivität besonnen, versuchen die eigentlichen Probleme herauszufinden und machen brauchbare Vorschläge: Gespräche sind immer möglich, und es muss mehr davon geben, auch veranstaltet und öffentlich, auf Augenhöhe und mit anständigen Regeln.


Straße der Menschenrechte in Nürnberg, gestaltet von Dani Karavan 1993 - Foto:
Martina Nolte, Lizenz
CC BY-SA 3.0 de

GERECHTIGKEIT IST HIER und heute eines der wichtigsten Themen. Ihre Schieflage widerspricht der Menschenwürde. Das ist ein Grund für Empörung. Die einen erben Millionen und brauchen nichts zu leisten, um das Leben geniessen zu können, die anderen werden in eine sozialhilfebedürftige Familie oder ein armes Land hineingeboren und müssen lang arbeiten, damit sie zu etwas Wohlstand gelangen. Gleiche Chancen gibt es da nicht. Statt den noch mehr Benachteiligten Hilfe zu verweigern, ist es richtig, die Bevorzugten in die Pflicht zu nehmen und so den gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtum gerechter zu verteilen.

DIE ANSICHT, DASS “die da oben machen, was sie wollen”, trifft weitgehend zu. Zwar haben die Menschen in Europa die Meinungsfreiheit, aber ihnen wird zu wenig Würde zugestanden, wenn politisch oder wirtschaftlich über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Die Demokratie erfüllt so nicht den Anspruch der Menschenwürde. Bevor sie noch mehr in Misskredit gerät, ist es deshalb notwendig, sie weiterzuentwickeln: Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an allen wichtigen Vorhaben und Entscheidungen, in den Gemeinden, im Staat und darüber hinaus, muss ein Recht sein, einschliesslich verbindlicher Abstimmungen. Nur wenn alle - nicht erst ab dem Alter von 18 Jahren - über die gemeinsamen Angelegenheiten mitbestimmen können, lässt sich das Zusammenleben menschenwürdig gestalten.

PRÄSIDENTEN, KANZLERINNEN UND andere Regierungschefs haben heute noch eine Bedeutung wie früher Könige und Kaiser. Das ist längst nicht mehr zeitgemäss und verletzt die Menschenwürde der Bürger und Bürgerinnen - auch weil diese Führungspersonen mit ihren Aufgaben in den komplizierten Verhältnissen der Welt offensichtlich völlig überfordert sind. Es ist fällig, dass sie ihre Macht abgeben, ihre Ämter teilen und ihre Fähigkeiten so einbringen, wie es die Gemeinschaft beschliesst.

SOWEIT NATUR UND Klima geschädigt werden, beeinträchtigt dies das menschliche Wohlbefinden. Die Menschen sind frei, das zu tun, was sie können, wenn sie dabei die Rechte der anderen nicht verletzen - leider sind viele zu oft rücksichtslos. So greifen sie in natürliche Systeme ein, überschreiten einzuhaltende Grenzen, verschwenden Ressourcen und verbreiten Schadstoffe, verändern mit neuen Produkten oder Abläufen schon täglich die Lebensbedingungen auf der Erde. Damit beunruhigen und verunsichern sie viele andere Menschen, die sich an ihrem Wohnort kaum noch zu Hause fühlen. Zur Menschenwürde gehört neben der Freiheit die Verantwortung. Vor allem diejenigen, die wirtschaftliche und politische Macht haben, sind für die Fehlentwicklungen verantwortlich zu machen. Am besten beraten und entscheiden Gemeinschaften immer wieder darüber, wie sie sich so entwickeln, dass es für alle angenehm ist.

BILDUNG IST DAFÜR wesentlich. Sie ist mehr als Wissen und Information. Bildung vermittelt Werte, fördert Fähigkeiten und klärt Lebensfragen. Mit ihr wird es Menschen möglich, bewusst und verantwortlich das Richtige zu tun. Als Persönlichkeiten können sie sich auf neue Situationen einstellen und in ihrer Gemeinschaft nachhaltig mitwirken. An solcher weitreichender und politischer Bildung, die Menschenwürde zum Ausdruck bringt, mangelt es - umso mehr, als sich durch das Internet ein Informationschaos ausbreitet. Daher stellt sich eine entscheidende Aufgabe für die Schulen und Kitas, für Medien, für gemeinnützige Vereine und für alle Menschen.

MENSCHEN VERHALTEN SICH oft noch wie in der Steinzeit, obwohl die Zivilisation nicht nur zu materiellem Wohlstand, sondern auch zu den Ideen der Humanität gelangt ist. Immer noch soll Gewalt Konflikte lösen, während bessere Mittel nicht angewendet werden. Der Staat selbst handelt so mit seinem Militär, und die Industrie von Ländern, die angeblich den Menschenrechten verpflichtet sind, liefert Waffen und Munition in Kriegsgebiete und Diktaturen. Dadurch können sich gewaltbereite politische Gruppen gerechtfertigt sehen. Andererseits hat eine Zukunft schon begonnen, in der Menschen sich mitsamt ihrer Würde abschaffen, indem sie sich von technischen Geräten abhängig machen: von großen und kleinen Rechnern mit ihren Algorithmen, von selbstfahrenden Autos, Datenbrillen, Robotern, die denken und fühlen …

DASS MENSCHEN VERSUCHEN, menschlicher zu werden, ist das Beste, was sie leisten können.

Matthias Kunstmann / maximil

[Dazu:
Menschen schaffen sich ab
Das Recht geht alle an
Gemeinsamkeit nützt allen
Warum Ethik?
Echt jetzt!
Alle gewinnen mit Empathie
Alle gestalten mit - so geht Demokratie
Wirksamer Einsatz für Menschenrechte und Demokratie
Wir regieren uns selbst am besten!
Fortschritt?
Freiheit?
Gespräch über Grenzen
Das Wichtigste von der Bildung]

> Würdekompass: Initiative von Gerald Hüther

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik

Die Welt verändern

28. August 2019

„Ein Kind, ein Lehrer, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern. Bildung steht am Anfang von allem.“

Malala Yousafzai, Kinderrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin, in ihrer Rede am 12. Juli 2013 vor der Jugendversammlung der Vereinten Nationen in New York

[Dazu:
Das Wichtigste von der Bildung]

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Politik

Hinter die Fassaden schauen

28. Mai 2019

Wer entscheidet über unsere Lebensbedingungen, also die Politik, über soziale Gerechtigkeit, Klima, Frieden, gute Bildung? Es sind nicht unbedingt wir, das Volk, wie es in einer Demokratie sein sollte. Parlamente und Regierungen beschliessen oft etwas anderes als das, was die Mehrheit der Menschen wünscht. Oder sie bleiben untätig, obwohl die Zukunft der jungen Generationen auf dem Spiel steht. Das ist Grund, sich zu empören, aufzustehen, zu handeln.

Wenn Politik gegen Mehrheiten gemacht wird, stecken organisierte Interessengruppen dahinter. Ihren Einfluss auf Abgeordnete und Regierende wollen sie verdeckt halten. Sie liefern Textvorlagen für Gesetze und bringen sogenannte Fachleute in Ministerien unter. Ebenso dienen sich politisch Verantwortliche privaten Unternehmen an und lassen sich von diesen bezahlen. Solche Machenschaften, die der Allgemeinheit nicht nützen, sondern schaden, sollen nicht bekannt werden. Deshalb wird die öffentliche Kontrolle von Lobbys behindert und trotz fortschrittlicher Informationsrechte werden vielfach staatliche Dokumente nicht oder nur mit hohen Gebühren herausgegeben.

Gleichzeitig wirken die mächtigen Gruppen auf die öffentliche politische Diskussion ein. Sie behaupten, ihre Aktivitäten seien im allgemeinen Interesse: Damit werde die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes verbessert, das Wachstum werde gesichert und Arbeitsplätze würden erhalten oder geschaffen. Die Bevölkerung werde vor Terrorismus und militärischen Bedrohungen geschützt. Private Medien, besonders Zeitungen, verbreiten derartige Ansichten gern, denn sie sind selbst kapitalistische Unternehmen.

So wird dafür gesorgt, dass es eine herrschende  Meinung gibt, die ideologisch ist: ein System von Denknormen, mit einer zwingenden Sicht der Welt und dem Aufbau von Feindbildern. Wer dies nicht akzeptiert, weil es eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen widerspricht, riskiert auch in einem erklärten Rechtsstaat, ausgegrenzt, benachteiligt und verfolgt zu werden, sogar durch Zwang in psychiatrische Behandlung zu geraten.

Menschen mit eigenständigem, kritischem Denken brauchen Mut. Ihnen wird immer wieder unterstellt, sie würden an Verschwörungen glauben, die nur eingebildet seien, Folge von Paranoia, also Gespenster. Aber tatsächlich sind diejenigen naiv, die den staatstragenden Aussagen ungeprüft vertrauen, statt zu verstehen, dass Politik auch und nicht zuletzt im Hintergrund sowie heimlich betrieben wird - gerade wenn Unternehmensinteressen gegen Demokratie und Menschenrechte durchgesetzt werden sollen.

Wie mit Erdöl und Kohle zugunsten der Wirtschaftslobby die Umwelt ruiniert wird, so wird auch mit noch mehr Waffen und Munition zerstörerische Gewalt stimuliert, wird in den Schulen mit teuren digitalen Geräten echte Bildung behindert, wird mit einem Übermass an Unterhaltung inklusive Sport in den Medien Wichtigeres verdrängt. Währenddessen tun die Geheimdienste, was wir nicht wissen dürfen, und die Einflussreichen bereiten in ihren Denkfabriken neue Strategien vor. Da müssen wir doch alternative Weltanschauungen zu leben wagen.

Matthias Kunstmann / maximil

[Dazu:
In wessen Interesse?
Wozu Wissenschaft nützt
Das Recht geht alle an
Echt jetzt!
Wir regieren uns selbst am besten!]

→ KommentareThemen: Allgemein · Kultur · Natur · Politik